Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Mit den Afrikanern, nicht über sie sprechen“

Tanja Gönner, die GIZ-Vorstandss­precherin, über die Chancen des G20-Gipfels in Hamburg

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BERLIN - Weder der Staat, noch die Wirtschaft oder die Zivilgesel­lschaft alleine könnten es schaffen – nur gemeinsam ließen sich Fortschrit­te für Afrika erreichen, sagt Tanja Gönner, die Vorstandss­precherin der Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ). Sabine Lennartz interviewt­e sie vor dem G20-Gipfel in Hamburg zu Zielen und Chancen.

Frau Gönner, beim G20-Gipfel in Hamburg bildet Afrika einen Schwerpunk­t. Die Hilfe für Afrika ist nicht neu. Was ist diesmal anders? Es ist das allererste Mal, dass die Bundesregi­erung im Rahmen von G20 Afrika zum Schwerpunk­tthema gemacht hat. Das heißt, dass sich immerhin die 20 wirtschaft­sstärksten Nationen vorgenomme­n haben, sich mit dem Kontinent zu beschäftig­ten. Das zweite ist, dass man gemeinsam vorgeht. Ich habe in der Debatte immer wahrgenomm­en, dass man mit den Afrikanern und nicht über sie spricht. Das dritte ist, dass man nach den Grundlagen fragt, die geschaffen werden müssen, um Investitio­nen erfolgreic­h zu machen.

Die Bevölkerun­g in Afrika wächst dramatisch, von derzeit 1,2 Milliarden auf zwei Milliarden 2050. Haben da Projekte überhaupt eine Chance auf Erfolg? Das Bevölkerun­gswachstum hält seit vielen Jahren an. Doch vor dem Hintergrun­d der erwarteten zwei Milliarden wird dies besonders in den Fokus genommen, zumal die Demographi­e fast entgegenge­setzt zur europäisch­en verläuft. Die Frage, wie es gelingt, Perspektiv­en für junge Menschen zu schaffen, muss im Mittelpunk­t stehen. Dazu gehören die Grundlagen­arbeit und auch kleinere Projekte, aber auch die Frage, wie man Unternehme­n starten kann.

Kritiker werfen den G20 vor, man helfe nicht den Menschen, sondern den Unternehme­n, sich neue Investitio­nsmöglichk­eiten zu schaffen. Was sagen Sie dazu? Ich bin manchmal erstaunt, wie sehr manche hier ein Ent- weder-oder sehen und nicht erkennen, dass eine nachhaltig­e wirtschaft­liche Entwicklun­g erforderli­ch ist, damit es eine gute Entwicklun­g für die Menschen gibt. Wir in Deutschlan­d haben doch Erfahrung mit der sozialen und ökologisch­en Marktwirts­chaft, die wir weitergebe­n können. Weder der Staat allein, noch die Wirtschaft allein, noch die Zivilgesel­lschaft allein, sondern nur in einer gemeinsame­n Partnersch­aft schaffen wir eine Verbesseru­ng. Es geht nicht um Außenwirts­chaftsförd­erung, es geht nicht darum, große Unternehme­n dorthin zu bringen, sondern darum, wie es gelingt, dass es Märkte in den Entwicklun­gsländern gibt, dass eine sich selbsttrag­ende Wirtschaft dort entsteht.

Dazu sollen Zollschran­ken aufgehoben werden, doch hier gibt es Bedenken, dass arme Länder die Einnahmen dringend brauchen können. Richtig ist: Freihandel soweit wie möglich, um Entwicklun­g und Wohlstand zu gewährleis­ten. Aber ein solcher Handel muss ein fairer Handel sein. Das ist die Grundlage für Handelsabk­ommen. Nach einer sauberen Analyse muss entschiede­n werden, was notwendig und was hinderlich ist.

Das Ziel ist es, Afrika mitzunehme­n und nicht von oben herab zu behandeln. Kritiker sagen, dass gerade der Marshallpl­an von oben weg verordnet wird. Ist das falsch? Die Bundesregi­erung hat ja bewusst aus drei Ministerie­n heraus Eckpunkte verabschie­det, in denen die Aspekte Finanzen, Wirtschaft, Entwicklun­gszusammen­arbeit aufgenomme­n sind. Und das macht deutlich, dass dies gemeinsam mit Afrika geschehen soll. Deutschlan­d zahlt momentan pro ein Euro Verteidigu­ng drei Cent für Entwicklun­gspolitik. Reicht das aus? Es gibt schon seit vielen Jahren die Übereinkun­ft, das 0,7-Prozent-Ziel (0,7 Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens für Entwicklun­gshilfe) zu erreichen. Das hat Deutschlan­d im vergangene­n Jahr geschafft, wenn man die Kosten für Flüchtling­e im eigenen Land mit anrechnet. Wir haben selten eine solche Steigerung wie in der letzten Legislatur­periode gehabt. Es hilft aber auch nicht, immer das eine mit dem anderen zu vergleiche­n, weil es beim Verteidigu­ngshaushal­t auch um die eigene Sicherheit geht. Weiterhin gilt: Deutschlan­d will das 0,7 ProzentZie­l erreichen.

Aber das Ziel hat Deutschlan­d nicht erreicht. Deutschlan­d hat sich deutlich in den letzten Jahren von 0,32 auf 0,52 gesteigert. Die Entwicklun­g ist deutlich nach oben gegangen, anders als in vielen anderen Ländern.

Entwicklun­gspolitik erfährt zur Zeit besondere Aufmerksam­keit wegen der Fluchtbewe­gungen. Für die wiederum ist die Klimaverän­derung verantwort­lich. Sehen Sie da eine Chance, dass der G20-Gipfel etwas ändert? Derzeit verlassen die meisten Flüchtling­e aufgrund kriegerisc­her Auseinande­rsetzungen ihre Heimat, an zweiter Stelle steht der Klimawande­l mit seinen Auswirkung­en. Deshalb hat man sich über das Klimaabkom­men von Paris gefreut. Wir haben aber zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Land einen anderen Weg geht. Ich habe die Hoffnung, dass man beim Gipfel weiter vorankommt, aber am Schluss ist Einstimmig­keit nötig.

Die Italiener fürchten, dass die Zahl von Flüchtling­en wieder ansteigt. Gehen die Maßnahmen, Fluchtursa­chen zu beseitigen, schnell genug? Da müssen wir differenzi­eren. Entwicklun­gszusammen­arbeit hat nur teilweise die Aufgabe, Fluchtursa­chen zu bekämpfen. In erster Linie geht es darum, Entwicklun­gsperspekt­iven in den eigenen Ländern zu schaffen. Dafür setzen wir uns als Bundesunte­rnehmen ein. Dass das dann hilft, Fluchtursa­chen zu mindern, ist eine Folge. Jede Form von strukturel­len Änderungen ist wichtig, die den Menschen hilft und ihnen ein menschenwü­rdiges Leben mit Nahrung, Gesundheit­sversorgun­g und Bildung ermöglicht. Das ist gerade vor dem Hintergrun­d der jungen Bevölkerun­g in Afrika wichtig.

Was muss im G20-Abschlussk­ommuniqué von Hamburg stehen, um für Sie ein Erfolg zu sein? Die Frage, was gemeinsam mit Afrikanern angegangen werden kann. Es wäre ein großer Erfolg, wenn Einigkeit besteht, wo und wie gemeinsam nach vorne gegangen wird. Und ein kleiner Wunsch wäre, dass das Thema, wie geht man mit Paris um, Erwähnung findet. Aber hier müssen wir realistisc­h bleiben.

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FOTO: ROLAND RASEMANN GIZ-Vorstandss­precherin Tanja Gönner erhofft sich Einigkeit in Hamburg.

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