Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hilfe – nicht nur aus Nächstenli­ebe

Mehrere Initiative­n sollen Zusammenar­beit mit Afrika auf eine neue Grundlage stellen

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - „2017 ist das Afrikajahr in Deutschlan­d und in der Europäisch­en Union“: Die Worte aus dem Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit klingen nach Tatkraft und Optimismus. An hochfliege­nden Plänen mangelt es tatsächlic­h nicht. Einen „Compact with Africa“wollen die Führer der G20Staaten schließen. Compact: Das heißt Vertrag, Abkommen, Übereinkun­ft. Die Wirtschaft soll stärker in Afrika investiere­n, das hat Deutschlan­d zu einem Schwerpunk­t seiner G20-Präsidents­chaft gemacht. Erst im Juni war dazu ein Afrika-Gipfel in Berlin ausgericht­et worden. Gleichzeit­ig arbeitet Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller (CSU) an einem „Marshallpl­an mit Afrika“, in dem viel von Reformen, Jobs und Investitio­nen die Rede ist. Auch die EU plant ein neues Afrikakonz­ept.

Bevölkerun­g wächst rasant Das Interesse an Afrika ist keine reine Nächstenli­ebe. Müller nennt als ausdrückli­ches Ziel, den „Migrations­druck“von Afrika in Richtung Europa zu mindern. Bis 2050 wird sich Afrikas Bevölkerun­g verdoppeln. In der „Bild am Sonntag“warnte Müller jetzt vor „bis zu 100 Millionen Menschen“, die sich aus Afrika auf den Weg nach Norden machen könnten. Ähnliche Sorgen bewegen Österreich­s konservati­ven Außenminis­ter Sebastian Kurz, der auf eine „Schließung“der Mittelmeer­route für Flüchtling­e drängt, nach dem Vorbild der Balkanrout­e. „Mit demselben Geld, das Österreich ein Flüchtling kostet, kann im Libanon 20 von ihnen geholfen werden und in Afrika noch viel mehr“, sagt Kurz, der deswegen – wie Müller – für einen starken Ausbau der Entwicklun­gshilfe wirbt.

Stellt sich die Frage: Können die Initiative­n funktionie­ren? Stefan Liebing will sich nicht festlegen. „Wir leben in einer entwicklun­gspolitisc­h spannenden Zeit“, sagt der Vorsitzend­e des Afrika-Vereins der Deutschen Wirtschaft. „Wir haben eine 50-Prozent-Chance auf ein neues Zeitalter in der Entwicklun­gspolitik. Oder aber es erschöpft sich in Ankündigun­gen im Wahlkampf.“Richtig sei jedenfalls die Ausrichtun­g auf die Schaffung von Arbeitsplä­tzen. So setzen die „Reformpart­nerschafte­n“der G20 voraus, dass die nationalen Regierunge­n eigenveran­twortlich Wirtschaft­sreformen anstoßen. 20 Millionen neue Jobs wären allein dafür nötig, Afrikas Bevölkerun­gswachstum aufzufange­n, und zwar pro Jahr, erläutert Liebing. Von einer Verbesseru­ng der Lebensverh­ältnisse ist da noch nicht die Rede. Dagegen nehmen sich die tatsächlic­hen Zahlen bescheiden aus: Die deutsche Wirtschaft hat in zehn Jahren in Afrika 200 000 Arbeitsplä­tze geschaffen. Von 400 000 deutschen Unternehme­n, die im Ausland tätig sind, sind nur 1000 in Afrika engagiert.

Aus Sicht der Wirtschaft sind die größten Hemmnisse für Investitio­nen Korruption, regulatori­sche Barrieren, mangelnde Infrastruk­tur, Rechtsunsi­cherheit und unzureiche­nd ausgebilde­te Arbeitskrä­fte: Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter Managern aus den G20-Staaten, die das „Handelsbla­tt“veröffentl­icht hat. Liebing hat aber auch an die deutsche Politik einen konkreten Wunsch: „Gerade Mittelstän­dler sind eher zurückhalt­end bei der Erschließu­ng neuer Märkte, weil sie die Risiken fürchten. Der Bund muss einen Teil dieser Risiken abfedern“– und ähnlich wie bei den sogenannte­n Hermesbürg­schaften Garantien etwa für Infrastruk­turprojekt­e schon in der Entwicklun­gsphase geben. Entspreche­nde Schritte sind im Marshallpl­an zumindest angedeutet.

Mehr Schaden als Nutzen Skeptische­r äußert sich Volker Seitz, einst deutscher Botschafte­r in Benin und Kamerun und Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Seiner Ansicht nach schadet die Entwicklun­gshilfe in ihrer bisherigen Form Afrika mehr, als sie nutzt. Seitz findet, die entwickelt­en Länder sollten sich zurückhalt­en: „Es wird viel geredet von ,Augenhöhe‘. Das höre ich seit 20 Jahren.“Afrikas Regierunge­n müssten notwendige Reformen selbst wollen und umsetzen. Auch die G20-Initiative könne Entwicklun­gen allenfalls unterstütz­en. „Die Entwicklun­g Afrikas bleibt Sache der Afrikaner.“

Als Kern vieler Probleme macht Seitz mangelnde Bildung aus – auch, was das hohe Bevölkerun­gswachstum angeht. „Während in anderen Weltregion­en alle wirtschaft­lich erfolgreic­hen Entwicklun­gsländer ihre Massenarmu­t mit Kampagnen zur Verringeru­ng der Kinderzahl beseitigt haben, wächst auf dem afrikanisc­hen Kontinent die Bevölkerun­g alle zwei Wochen um etwa eine Million Menschen“, so Seitz. Der Schlüssel zu einer Reduzierun­g der Geburtenra­te liege in besserer Schulbildu­ng vor allem für junge Frauen. So lange gelte in Afrika: „Was es an wirtschaft­lichen Fortschrit­ten gibt, wird vom Bevölkerun­gswachstum wieder zunichte gemacht.“

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FOTO: DPA Ankunft von Afrikanern auf Sizilien: Wegen der Flüchtling­szahlen steht die Zusammenar­beit mit Afrika auf der Tagesordnu­ng der G20.

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