Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Juncker findet EU-Parlament „lächerlich“
Kommissionspräsident kritisiert abwesende Abgeordnete
STRASSBURG - „Das Europaparlament ist lächerlich. Sehr lächerlich!“Diese unfreundlichen Worte haute Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstagmorgen den 31 im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten des Europaparlaments um die Ohren. Er geißelte ein Problem, das auch nationale Abgeordnete plagt: Parallel zu den Sitzungen finden hinter den Kulissen oft wichtige Treffen statt. Juncker allerdings verknüpfte den scharfen Tadel mit der Behauptung, dass bei einer Rede von Angela Merkel oder Emmanuel Macron das Haus voll gewesen wäre. Doch es sprach ja nur der nach sechs Monaten scheidende Ratspräsident des kleinen Inselstaates Malta.
Nicht alle süddeutschen Abgeordneten, die von der „Schwäbischen Zeitung“zu dem Thema befragt wurden, verwiesen auf ihren vollen Terminkalender. Der Freiburger EVP-Abgeordnete Andreas Schwab gab, wie sein Fraktionsvorsitzender Manfred Weber, einen anderen Grund zu Protokoll: „Bei wichtigen Debatten versuche ich, regelmäßig im Plenum anwesend zu sein. Etwas anderes galt für mich am Dienstag, als der maltesische Premierminister, dessen Verwicklung in die Panama Papers nach wie vor ungeklärt ist, gesprochen hat. Vor dem zuständigen Ausschuss hat er konkrete Antworten verweigert.“
Deshalb empfing Schwab an besagtem Morgen zwei Besuchergruppen. 70 waren insgesamt im Haus, und sie hielten auch andere Abgeordnete wie den EVP-Kollegen Norbert Lins aus Weingarten auf Trab. Die grüne Abgeordnete Maria Heubuch aus Ravensburg war erst kurz vor zwölf im Plenum, da sie zuvor Landfrauen aus dem Allgäu und eine Schulklasse aus Amtzell traf. „Ich sage das meinen Besuchergruppen auch immer: Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie jetzt ins Plenum gehen, dass dort so wenige Abgeordnete sind. Ich kann ja auch nur entweder mit Ihnen sprechen oder an der Sitzung teilnehmen.“Inge Gräßle (CDU), Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, hatte ebenfalls einen randvollen 18-Stunden-Tag. „Um acht ging es los mit der Vorstandssitzung der CDU/CSUGruppe. Der Dienstag ist der schlimmste Tag in der ‚StressburgWoche‘.“Dem Parlament und der EU habe Juncker mit seiner Kritik jedenfalls einen „Bärendienst“erwiesen.
Der so Gescholtene hat mittlerweile seine Wortwahl bedauert und mit dem Parlamentspräsidenten, einem Parteifreund, eine Art Burgfrieden geschlossen. In der Sache bleibt er aber bei seiner Kritik. Man wartet nun mit Spannung, ob er seine Ankündigung wahr macht, „niemals mehr an einem Treffen dieser Art“teilzunehmen. Mittwoch jedenfalls, als die neue estnische Ratspräsidentschaft ihr Programm im Plenum vorstellte, war Juncker bereits nach Brüssel zurückgekehrt. Er müsse, sagte sein Sprecher, den EU-Japangipfel am Donnerstag vorbereiten.