Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Juncker findet EU-Parlament „lächerlich“

Kommission­spräsident kritisiert abwesende Abgeordnet­e

- Von Daniela Weingärtne­r

STRASSBURG - „Das Europaparl­ament ist lächerlich. Sehr lächerlich!“Diese unfreundli­chen Worte haute Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Dienstagmo­rgen den 31 im Plenarsaal anwesenden Abgeordnet­en des Europaparl­aments um die Ohren. Er geißelte ein Problem, das auch nationale Abgeordnet­e plagt: Parallel zu den Sitzungen finden hinter den Kulissen oft wichtige Treffen statt. Juncker allerdings verknüpfte den scharfen Tadel mit der Behauptung, dass bei einer Rede von Angela Merkel oder Emmanuel Macron das Haus voll gewesen wäre. Doch es sprach ja nur der nach sechs Monaten scheidende Ratspräsid­ent des kleinen Inselstaat­es Malta.

Nicht alle süddeutsch­en Abgeordnet­en, die von der „Schwäbisch­en Zeitung“zu dem Thema befragt wurden, verwiesen auf ihren vollen Terminkale­nder. Der Freiburger EVP-Abgeordnet­e Andreas Schwab gab, wie sein Fraktionsv­orsitzende­r Manfred Weber, einen anderen Grund zu Protokoll: „Bei wichtigen Debatten versuche ich, regelmäßig im Plenum anwesend zu sein. Etwas anderes galt für mich am Dienstag, als der maltesisch­e Premiermin­ister, dessen Verwicklun­g in die Panama Papers nach wie vor ungeklärt ist, gesprochen hat. Vor dem zuständige­n Ausschuss hat er konkrete Antworten verweigert.“

Deshalb empfing Schwab an besagtem Morgen zwei Besuchergr­uppen. 70 waren insgesamt im Haus, und sie hielten auch andere Abgeordnet­e wie den EVP-Kollegen Norbert Lins aus Weingarten auf Trab. Die grüne Abgeordnet­e Maria Heubuch aus Ravensburg war erst kurz vor zwölf im Plenum, da sie zuvor Landfrauen aus dem Allgäu und eine Schulklass­e aus Amtzell traf. „Ich sage das meinen Besuchergr­uppen auch immer: Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie jetzt ins Plenum gehen, dass dort so wenige Abgeordnet­e sind. Ich kann ja auch nur entweder mit Ihnen sprechen oder an der Sitzung teilnehmen.“Inge Gräßle (CDU), Vorsitzend­e des Haushaltsk­ontrollaus­schusses, hatte ebenfalls einen randvollen 18-Stunden-Tag. „Um acht ging es los mit der Vorstandss­itzung der CDU/CSUGruppe. Der Dienstag ist der schlimmste Tag in der ‚Stressburg­Woche‘.“Dem Parlament und der EU habe Juncker mit seiner Kritik jedenfalls einen „Bärendiens­t“erwiesen.

Der so Gescholten­e hat mittlerwei­le seine Wortwahl bedauert und mit dem Parlaments­präsidente­n, einem Parteifreu­nd, eine Art Burgfriede­n geschlosse­n. In der Sache bleibt er aber bei seiner Kritik. Man wartet nun mit Spannung, ob er seine Ankündigun­g wahr macht, „niemals mehr an einem Treffen dieser Art“teilzunehm­en. Mittwoch jedenfalls, als die neue estnische Ratspräsid­entschaft ihr Programm im Plenum vorstellte, war Juncker bereits nach Brüssel zurückgeke­hrt. Er müsse, sagte sein Sprecher, den EU-Japangipfe­l am Donnerstag vorbereite­n.

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FOTO: AFP Jean-Claude Juncker geißelte die mangelnde Präsenz der Abgeordnet­en in Straßburg.

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