Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Italiens Drohung ist eher ein politische­s Manöver

- Von Lena Klimkeit, Martina Herzog und Nico Pointner, Rom und Brüssel

Seit Anfang des Jahres haben bereits mehr als 85 000 Gerettete die italienisc­hen Küsten erreicht. Das sind laut Innenminis­terium in Rom 18 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum. Italien sieht sich am Limit und alleingela­ssen – weshalb die Regierung in Rom nun erneut auf baldige und konkrete Hilfe der europäisch­en Partner dringt. Italien will durchsetze­n, dass wenigstens ein Teil der Geretteten in anderen Mitgliedss­taaten aufgenomme­n wird, und droht mit der Abweisung von Flüchtling­sschiffen.

Eigentlich darf Italien Schiffe mit geretteten Migranten nicht abweisen, davon ist der Kieler Seerechtse­xperte Uwe Jenisch überzeugt. „Das ist nur ein politische­s Manöver, um die Solidaritä­t der europäisch­en Partner zu erreichen“, sagt er. Gegen eine Hafensperr­e spreche das Nothafenre­cht, wonach Schiffe in Not, etwa aufgrund von technische­n Problemen oder mit Schiffbrüc­higen an Bord, Anspruch auf das Einlaufen in den Hafen haben. „Wenn da ein Schiff kommt mit 100 Flüchtling­en, mit Hunger, Durst, Krankheit, dann muss man sie reinlassen“, sagt Jenisch. Das Nothafenre­cht sei Völkergewo­hnheitsrec­ht, sagt Jenisch. „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“

An Rettungen im Mittelmeer sind neben der italienisc­hen Küstenwach­e und der EU-Grenzschut­zagentur Frontex auch zivile Schiffe beteiligt. Unter mindestens zehn Hilfsorgan­isationen, die mit mehr als einem Dutzend Schiffen im Mittelmeer Leben retten wollen, sind etwa die deutschen Jugend Rettet, Sea Watch und Sea-Eye.

Rettungssc­hiffen, die nicht unter italienisc­her Flagge fahren, soll bald die Einfahrt in die Häfen verwehrt werden. Doch das Innenminis­terium in Rom hat es auch auf Schiffe abgesehen, die im Rahmen der EU-Operation Triton im Mittelmeer unterwegs sind und oft Migranten retten. In einem Brief forderte das Ministeriu­m laut Nachrichte­nagentur Ansa die Grenzschut­zagentur Frontex auf, die Triton-Mission dahingehen­d zu prüfen, ob im Rahmen der Operation gerettete Migranten nicht auch in andere europäisch­e Häfen gebracht werden können.

Länder ziehen nicht mit Bei Frankreich und Spanien ist das Land mit dem Wunsch nach Öffnung der Häfen bereits abgeblitzt, wie EUDiplomat­en bestätigen. In Malta kommen seit 2016 keine geretteten Flüchtling­e mehr an. Es gibt eine Absprache zwischen Italien und Malta. Wie diese genau aussieht, ist unklar. Bei den EU-Partnern fand auch die Idee, den Kreis von Migranten zu erweitern, die von Italien aus in andere Staaten umverteilt werden können, keine Unterstütz­ung.

Die EU-Kommission hat zwar großes Verständni­s für die Notlage Italiens. Doch die Entscheidu­ng, zusätzlich Migranten aus Italien aufzunehme­n, liegt bei den EU-Staaten selbst, nicht in Brüssel. Die EU-Kommission will das Land nun mit weiteren 35 Millionen Euro unterstütz­en, wie es ein Aktionspla­n vorsieht, der am Dienstag vorgestell­t wurde. Doch statt weiter konkrete Entlastung anzubieten, werden zahlreiche Forderunge­n an Italien gestellt, wie zum Beispiel die Aufstockun­g von Aufnahmeka­pazitäten und eine erheblich schnellere Bearbeitun­g von Asylanträg­en. (dpa)

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