Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Italiens Drohung ist eher ein politisches Manöver
Seit Anfang des Jahres haben bereits mehr als 85 000 Gerettete die italienischen Küsten erreicht. Das sind laut Innenministerium in Rom 18 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Italien sieht sich am Limit und alleingelassen – weshalb die Regierung in Rom nun erneut auf baldige und konkrete Hilfe der europäischen Partner dringt. Italien will durchsetzen, dass wenigstens ein Teil der Geretteten in anderen Mitgliedsstaaten aufgenommen wird, und droht mit der Abweisung von Flüchtlingsschiffen.
Eigentlich darf Italien Schiffe mit geretteten Migranten nicht abweisen, davon ist der Kieler Seerechtsexperte Uwe Jenisch überzeugt. „Das ist nur ein politisches Manöver, um die Solidarität der europäischen Partner zu erreichen“, sagt er. Gegen eine Hafensperre spreche das Nothafenrecht, wonach Schiffe in Not, etwa aufgrund von technischen Problemen oder mit Schiffbrüchigen an Bord, Anspruch auf das Einlaufen in den Hafen haben. „Wenn da ein Schiff kommt mit 100 Flüchtlingen, mit Hunger, Durst, Krankheit, dann muss man sie reinlassen“, sagt Jenisch. Das Nothafenrecht sei Völkergewohnheitsrecht, sagt Jenisch. „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“
An Rettungen im Mittelmeer sind neben der italienischen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex auch zivile Schiffe beteiligt. Unter mindestens zehn Hilfsorganisationen, die mit mehr als einem Dutzend Schiffen im Mittelmeer Leben retten wollen, sind etwa die deutschen Jugend Rettet, Sea Watch und Sea-Eye.
Rettungsschiffen, die nicht unter italienischer Flagge fahren, soll bald die Einfahrt in die Häfen verwehrt werden. Doch das Innenministerium in Rom hat es auch auf Schiffe abgesehen, die im Rahmen der EU-Operation Triton im Mittelmeer unterwegs sind und oft Migranten retten. In einem Brief forderte das Ministerium laut Nachrichtenagentur Ansa die Grenzschutzagentur Frontex auf, die Triton-Mission dahingehend zu prüfen, ob im Rahmen der Operation gerettete Migranten nicht auch in andere europäische Häfen gebracht werden können.
Länder ziehen nicht mit Bei Frankreich und Spanien ist das Land mit dem Wunsch nach Öffnung der Häfen bereits abgeblitzt, wie EUDiplomaten bestätigen. In Malta kommen seit 2016 keine geretteten Flüchtlinge mehr an. Es gibt eine Absprache zwischen Italien und Malta. Wie diese genau aussieht, ist unklar. Bei den EU-Partnern fand auch die Idee, den Kreis von Migranten zu erweitern, die von Italien aus in andere Staaten umverteilt werden können, keine Unterstützung.
Die EU-Kommission hat zwar großes Verständnis für die Notlage Italiens. Doch die Entscheidung, zusätzlich Migranten aus Italien aufzunehmen, liegt bei den EU-Staaten selbst, nicht in Brüssel. Die EU-Kommission will das Land nun mit weiteren 35 Millionen Euro unterstützen, wie es ein Aktionsplan vorsieht, der am Dienstag vorgestellt wurde. Doch statt weiter konkrete Entlastung anzubieten, werden zahlreiche Forderungen an Italien gestellt, wie zum Beispiel die Aufstockung von Aufnahmekapazitäten und eine erheblich schnellere Bearbeitung von Asylanträgen. (dpa)