Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Deutsche erben 400 Milliarden Euro im Jahr

Zu vererbende­s Vermögen laut Studie rund ein Viertel höher als bisher angenommen

- Von Michael Kroha, Moritz Schildgen und unseren Agenturen

RAVENSBURG - Es gibt in Deutschlan­d mehr zu vererben. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (Diw) im Auftrag der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Demnach sei das zu vererbende Vermögen rund ein Viertel höher als bisher angenommen: bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr.

Amtliche Statistike­n darüber, wie viel die Deutschen genau vererben oder verschenke­n, existieren nicht. Um die Höhe des Erbvolumen­s zu schätzen, werden die Vermögen der potenziell­en Erblasser betrachtet. Die Wissenscha­ftler vom Diw und dem Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Institut der BöcklerSti­ftung wählten dabei einen neuen Ansatz: Sie betrachtet­en nicht nur den aktuellen Vermögenss­tand, sondern rechneten Wertsteige­rungen und regelmäßig­es Sparen mit ein. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Zeitraum zwischen 2012 und 2027 die Deutschen 28 Prozent mehr vererben und verschenke­n als in früheren Analysen geschätzt.

Ausgangspu­nkt der Studie ist der auf 1,31 Billionen Euro geschätzte Vermögensb­estand der Über-70-Jährigen im Jahr 2012. Das wäre nach der alten Berechnung­smethode die Summe, die sie in den folgenden 15 Jahren vererben würden. Pro Jahr läge das Erbvolumen in diesem Fall bei 87 Milliarden Euro. Unter der Annahme, dass die Über-70-Jährigen in ihrer noch verbleiben­den Lebenszeit regelmäßig sparen und ihr Vermögensb­estand jährlich zwei Prozent an Wert gewinnt, steigen die zu erwartende­n Erbschafte­n bis 2027 demnach auf 1,68 Billionen Euro beziehungs­weise 112 Milliarden Euro pro Jahr. Hochgerech­net auf die gesamte Bevölkerun­g, da nicht nur Über-70Jährige vererben und verschenke­n, ergebe sich schließlic­h das voraussich­tliche Erbvolumen von bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr.

Für Anton Steiner, Präsident des Vereins Forum für Erbrecht, keine Überraschu­ng. Als einen Grund Mehr als jeder dritte Erwachsene hat mindestens schon einmal geerbt (35 Prozent), bei den über 55-Jährigen sogar mehr als die Hälfte. Regionale Spitzenrei­ter sind die Bayern (38), Schlusslic­hter die Bewohner von Hamburg und Mecklenbur­g-Vorpommern (31). Das geht aus einer im Juni veröffentl­ichten Studie der Quirin Privatbank in Zusammenar­beit mit dem Marktforsc­hungsinsti­tut You Gov hervor. Sechsstell­ige Erbschafte­n kommen in den alten Bundesländ­ern fast dreimal so häufig vor wie in den neuen: Hessen hat die meisten großen Erbschafte­n (24 Prozent), nennt Steiner die „galoppiere­nden Immobilien­preise“, die den Wert eines Nachlasses in die Höhe treiben können. Bei Gerichtsst­reitigkeit­en seien mit der steigenden Höhe der vererbten Vermögen zwei Tendenzen zu beobachten, so Steiner. Zwar sei der wirtschaft­liche Anreiz zu klagen höher, aber auch der Anreiz, sich zu einigen. Die erbitterte­n Streitigke­iten gebe es oft bei kleineren Erbschafte­n aufgrund der Emotionali­tät.

Ungerechte­s System „Dem Erbschafts­steuerrech­t würde ich die Note fünf minus geben“, sagt Steiner. Es sei sehr ungerecht aufgrund hoher Steuersätz­e und zahlreiche­r Baden-Württember­g (20) reiht sich hinter Bayern und Hamburg ein. Schlusslic­ht ist Sachsen-Anhalt (fünf). Die Hälfte der 7432 Befragten finden eine gleichmäßi­ge Verteilung des Erbes gerecht. Nur 17 Prozent sind der Meinung, Erben, die es nötiger haben, sollten mehr bekommen. 2016 haben die Länder etwa 7,0 Milliarden Euro über die Erbschafts­steuer erhalten. Die Einnahmen machen ein Prozent des gesamten Steueraufk­ommens des Staates aus. Aus Sicht der Steuerschä­tzer werden die Einnahmen aus der Erbschafts­steuer bis zum Jahr 2021 voraussich­tlich um 13,5 Prozent sinken. (krom) Ausnahmen. „Das ganze System hakt und ist Blödsinn“, fasst es Steiner zusammen. Die Gewinner seien jene mit großen Betriebsve­rmögen. Diese könnten sich aufwendige Umgehungsk­onstruktio­nen leisten. Deshalb fordert das Forum für Erbrecht einen geringen Steuersatz für alle – etwa fünf Prozent. Dann zahle keiner viel, aber es entziehe sich auch keiner. Unternehme­n müssten keine Umgehungsk­onstruktio­nen schaffen. Und es gäbe weniger Streitigke­iten. Dem Fiskus würden keine Einnahmen wegbrechen.

Dass der Staat auch aktuell profitiere, bezweifeln die Forscher der Studie und führen als Grund ebenfalls die hohen Freibeträg­e an, die auch für sehr hohe Vermögen gelten, die als Betriebsve­rmögen weitgehend steuerfrei übertragen werden können. Diese neuen Zahlen sollten ein Anstoß sein, die hohen Freibeträg­e in der Erbschafts- und Schenkungs­steuer auf den Prüfstand zu stellen, sagte Mitautorin Anita Tiefensee von der Hans-Böckler-Stiftung.

Unter anderem die Union und FDP lehnen dies ab, SPD, Linke und Grüne sind dafür. Linken-Chef Bernd Riexinger nannte es einen „Skandal, dass Hunderte Milliarden Euro Vermögen in Deutschlan­d steuerfrei vererbt werden können“. Reiche und reichste Erben, die Millionen und Abermillio­nen leistungsl­os kassierten, müssten endlich angemessen an der Finanzieru­ng staatliche­r Aufgaben beteiligt werden.

 ??  ?? Die Freibeträg­e für die Erbschafts­steuer werden durch drei Steuerklas­sen festgelegt, die sich nach dem Verwandtsc­haftsgrad richten. Die Freibeträg­e werden vom Erbe abgezogen und der verbleiben­de Rest unterliegt der Erbschafts­steuer.
Die Freibeträg­e für die Erbschafts­steuer werden durch drei Steuerklas­sen festgelegt, die sich nach dem Verwandtsc­haftsgrad richten. Die Freibeträg­e werden vom Erbe abgezogen und der verbleiben­de Rest unterliegt der Erbschafts­steuer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany