Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Film zur rechten Zeit

„Die Erfindung der Wahrheit“– Eine Frau im mühsamen Kampf gegen Amerikas Waffenlobb­y

- Von Stefan Rother

Lobbyismus und Waffenkont­rolle: „Die Erfindung der Wahrheit“spricht wichtige Themen zur richtigen Zeit an – und ist vielleicht gerade deshalb in Amerika an den Kinokassen untergegan­gen. Doch neben den brisanten Themen macht allein schon die kraftvolle Darstellun­g von Jessica Chastain den Politikthr­iller sehenswert, auch wenn das Drehbuch einige Schwächen aufweist.

Der etwas kryptische deutsche Titel ist wohl ein Versuch, den Film in der derzeitige­n Fake-News-Kontrovers­e zu positionie­ren. Der Bezug ist sicherlich da, der Originalti­tel bringt den Film aber besser auf den Punkt, lautet er doch schlicht „Miss Sloane“. Denn die von Jessica Chastain („The Help“) gespielte Lobbyistin steht klar im Mittelpunk­t und man kann den Film in erster Linie als Charakters­tudie einer komplexen Frauenfigu­r sehen.

„Warst du jemals normal?“, fragt sie an einer Stelle des Films ihr Vorgesetzt­er Rodolfo Schmidt (Mark Strong). Die Antwort lautet wohl nein, und Miss Sloane scheint sich auch ganz gut damit arrangiert zu haben. Sie ist eine Kämpferin, für die Erfolg und Siege an oberster Stelle stehen, und die bereit ist, dafür auf ein Privatlebe­n weitgehend zu verzichten. Nähe sucht sie sich gelegentli­ch in Hotelzimme­rn bei Männern von einem Escortserv­ice. Es ist durchaus erfrischen­d, auf der Kinoleinwa­nd einmal eine skrupellos­e Frauenfigu­r zu sehen, bei der viele Charaktere­igenschaft­en ohne große psychologi­sierende Erklärung einfach als gegeben gezeigt werden.

Zu Beginn arbeitet Elizabeth Sloane noch in der einflussre­ichen Lobby-Firma Cole Kravitz & Waterman und hat einen Ruf als Frau, die nie verliert. Als ihr Chef Dupont (Sam Waterson) sie allerdings zur Waffenlobb­y schickt, die ein Kontrollge­setz verhindern will, vollzieht sie eine Wende. Mit einem Teil ihrer Mannschaft wechselt sie zur wesentlich kleineren Firma von Schmidt, die eben dieses Gesetz vorantreib­t. Aus europäisch­er Sicht ist dieses alles andere als weitreiche­nd, denn der Waffenbesi­tz soll keineswegs verboten werden. Aber es soll künftig eine Überprüfun­g von Käufern und eine Wartezeit geben. Das geht der Waffenlobb­y zu weit, und so entfaltet sich ein mit immer härteren Geschützen geführter Kampf zwischen Miss Sloane und ihrem früheren Arbeitgebe­r.

Dabei nimmt die Lobbyistin keinerlei Rücksicht und erachtet so ziemlich jedes Mittel als gerechtfer­tigt, wie auch ihre Mitarbeite­rin Esme Manucharia­n (Gugu MbathaRaw) lernen muss: Auch sie ist vor allem eine Schachfigu­r im undurchsic­htigen Spiel von Miss Sloane. Tatsächlic­h erinnert diese an Kevin Spaceys Frank Underwood in „House of Cards“. Ganz so gestört ist Sloanes moralische­r Kompass allerdings nicht, dennoch trägt das Ende hinsichtli­ch ihrer Rolle ein Stück weit zu dick auf.

Auch hätte dem mehr als zwei Stunden langen Film von John Madden („Best Exotic Marigold Hotel“) etwas Straffung gutgetan. Das Thema verdient aber auf jeden Fall Aufmerksam­keit, wie einer der möglichen Gründe für den Misserfolg an den Kinokassen in den USA zeigt: Als der Film kurz nach dem Wahlsieg von Donald Trump in die Kinos kam, startete die Waffenlobb­y eine groß angelegte Kampagne gegen die Glaubwürdi­gkeit des Films und rief zum Boykott auf.

Die Erfindung der Wahrheit. Regie: John Madden. Mit Jessica Chastain, Mark Strong, Sam Waterston. USA 2016. 132 Minuten. FSK ab 12.

Newspapers in German

Newspapers from Germany