Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Es ist ein Treffen von Freunden“
50 Jahre Literarisches Forum Oberschwaben – Oswald Burger erzählt von den „Drei Marien“
RAVENSBURG - Seit 50 Jahren treffen sich einmal im Jahr Schriftsteller, literarisch Interessierte und Kulturschaffende zum Literarischen Forum Oberschwaben. So auch am kommenden Samstag im Weberzunfthaus in Wangen. Dabei stellen sich Autoren der Kritik und dem Urteil eines fachkundigen, geladenen Publikums. Katja Waizenegger hat sich mit Oswald Burger, dem Forumsleiter, über die „Drei Marien“, das Auswahlverfahren auf hoher See und die Bedeutung des Gründungsmitglieds Martin Walser unterhalten.
Wodurch unterscheidet sich das Literarische Forum Oberschwaben von anderen Literaturwettbewerben? Unser Forum ist kein Wettbewerb. Es ist ein Treffen von Freunden, von Literaten, die einander unveröffentlichte Texte vorlesen. Im Grunde stellen die Autoren ihre Texte zur Debatte. Oft sind das Texte, in denen neue Formen ausprobiert werden, oder es sind Passagen aus einem entstehenden Roman. Die ideale Situation ist die, dass der Autor einen unfertigen Text vorliest und die Diskussion aus diesem Text dann einen besseren macht.
Der Autor Peter Renz sagt, dass, wer sich der Öffentlichkeit stelle, vom Schreibenden zum Schriftsteller werde. Ja, so ist es. Und unser Forum ist eine erste Chance für den Schreibenden, sich in einem halbgeschützten Raum einer kundigen Zuhörerschaft zu stellen. Beim Forum sind auch einige Verleger anwesend, die auf der Suche nach neuen Autoren sind, nach neuen Texten.
Was waren die Sternstunden in 50 Jahren Literarisches Forum Oberschwaben? Die Sternstunden des Forums waren die Auftritte der drei großen oberschwäbischen Autorinnen, der sogenannten „Drei Marien“. Das war zum einen Maria Müller-Gögler, die Schriftstellerin aus Weingarten, die in der Nachkriegszeit viele Romane geschrieben und immer wieder Texte im Forum vorgestellt hat. Dann die Lyrikerin Maria Menz aus Oberessendorf, die schon beim allerersten Forum, damals noch unter einem Pseudonym, gelesen hat und dort entdeckt wurde. „Endlich einmal Pfingsten!“– mit diesem begeisterten Urteil hat Martin Walser der religiösen Dichtung von Menz zum Erfolg verholfen. Und dann in den 80er-Jahren Maria Beig, die dem Leben von Frauen auf dem Land eine Stimme verliehen hat. Alle drei Autorinnen wurden durch das Literarische Forum bekannt. Bei Maria Beig war es am eindruckvollsten. Sie hat damals aus ihrem noch nicht erschienenen ersten Buch „Rabenkrächzen“vorgelesen.
Gab es auch Bücher, die beim Forum durchgefallen sind? Ja, „Schlafes Bruder“von Robert Schneider. Er hat 1992 beim Forum gelesen, nachdem er sein Manuskript schon erfolglos bei mehreren Verlagen eingereicht hatte. Wir waren sehr skeptisch. Der gelesene Ausschnitt erschien uns übertrieben, überinstrumentiert und zu fantastisch. Und dann ist der Roman doch im darauffolgenden Jahr bei Reclam erschienen und wurde ein großer Erfolg. Wir urteilen nur über das, was wir tatsächlich hören, das sind etwa 15 Minuten Lesezeit.
Das heißt, auch Sie kennen nur diese kurze Passage des Werks? Ja, es geht um Details. Robert Schneider zum Beispiel hat eine antiquierende Sprache erfunden. Da haben wir gedacht: Das ist doch nicht die moderne Literatur. Denn beim Forum geht es immer auch um Modernität, um aktuelle Strömungen in der Sprache.
Welche Rolle spielt Martin Walser für das Literarische Forum? Er hat im Dezember 1966 die Einladungen für das erste Forum mitunterschrieben, neben ein paar anderen bekannten Autoren wie Maria Müller-Gögler und Josef Janker. Martin Walser war immer einer der wichtigsten Kritiker und Förderer. In den ersten 25 Jahren hat er das Forum in gewisser Weise auch dominiert, auf seine Weise. Er ist ja ein Meister des Lobens, einer, der die Autoren immer ermuntert hat, ihren Weg weiter zu gehen, sich weiter zu entwickeln. Autoren wie Peter Renz und Arnold Stadler wurden von ihm gefördert. Man kann die Bedeutung von Martin Walser für die Literatur in der Region Bodensee-Oberschwaben gar nicht hoch genug einschätzen.
Was sind für Sie als Forumsleiter die schwierigsten Augenblicke? Die schwierigsten Augenblicke sind die zehn Sekunden, nachdem ein Autor gelesen hat und jeder seine Gedanken sammelt – bis dann einer eine erste Stellungsname abgibt. Wenn alle zögern, dann ist das eigentlich schon ein Urteil.
Wer entscheidet, welche Beiträge gelesen werden? In den ersten 25 Jahren hat Walter Münch die Auswahl getroffen. Ab 1991 habe ich das einige Jahre allein gemacht. Ich habe das manchmal schon als Belastung empfunden. Dann kam die schöne Idee auf, eine kleine Jury einzuberufen, die auf einer Bodenseefähre so lange hin und her fährt, bis die Entscheidungen getroffen sind.
Oder bis allen schlecht wird! Nein, nein, das ist immer ein wunderbarer Tag, ein Sonntag im Juni. Und es ist egal, ob schlechtes oder gutes Wetter ist, weil wir nämlich in diesem Fährschiff unten drin sitzen, einem Schiff, das die Strecke zwischen Überlingen und Wallhausen bedient. In der Jury sitzen etwa sieben, acht Leute, von denen ich weiß, dass sie gut urteilen können und renommierte Autoren sind. Dieses Jahr sind wir achtmal hin und her gefahren, bis wir entschieden hatten, wen wir einladen.
Wie stark ist das Forum in der Region verwurzelt? Eigentlich kommen die Autoren aus Oberschwaben, aber wir haben dieses Oberschwaben immer sehr, sehr großzügig bemessen. Vielleicht so im Sinne des mittelalterlichen Großherzogtums Schwaben. Das geht dann schon bis zum Gotthard in die Schweiz, bis zum Arlberg, bis ins bayerische Allgäu hinein. Im Unterland reicht es durchaus bis Tübingen und Stuttgart, oder im Westen bis Freiburg. Manche Teilnehmer sind auch aus Oberschwaben, wohnen aber schon längst woanders, wie Günter Herburger, der aus Isny stammt und nun in Berlin lebt.
Wie sieht die Zukunft aus? Ich werde das Forum noch ein paar Jahre lang leiten, schaue mich aber schon nach einem Nachfolger um. Es ist aber noch niemand in Sicht.
Hat sich die Institution dennoch so gefestigt, dass es weitergehen wird? Es gibt keine Institution, das ist das Geheimnis. Das Literarische Forum Oberschwaben ist kein eingetragener Verein, es gibt keinen Etat, kein Honorar, keinen Schriftführer oder Kassenprüfer. Das empfinde ich als großen Vorteil. Ich arbeite ehrenamtlich und die Stadt Wangen unterstützt uns als Gastgeber großzügig. Das ist alles, was wir an Strukturen haben und brauchen.