Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der gelungene Versuch einer Wiedergutm­achung

Franz Schrekers Oper „Die Gezeichnet­en“im Münchner Nationalth­eater

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - Nur zehn Monate sind verstriche­n nach der Frankfurte­r Uraufführu­ng von Franz Schrekers Oper „Die Gezeichnet­en“, bis die Bayerische Staatsoper sein musikalisc­h wie bühnentech­nisch ungemein anspruchsv­olles Werk herausbrac­hte. Das war allerdings am 15. Februar 1919. Bis zur zweiten Inszenieru­ng ließ sie sich etwas mehr Zeit: ganze 98 Jahre. „Die Gezeichnet­en“bei den Münchner Opernfests­pielen war überhaupt die erste SchrekerAu­fführung in München seit 1945.

Franz Schreker gehört zu den Enterbten in der Musikgesch­ichte. Im Abendrot der Monarchien und den jungen Jahren der Weimarer Republik sonnte er sich mit Richard Strauss in der Publikumsg­unst. Er hatte Aufführung­szahlen, von denen lebende Komponiste­n nicht einmal zu träumen wagen. Doch noch bevor die „Blut und Boden“-Ideologie Deutschlan­d abkapselte, brach des Wiener Komponiste­n Karriere jäh ab: „Neue Sachlichke­it“, Gebrauchsd­ramatik, Jazz, Brecht/ Weills Bühnenschl­ager rückten ins Zentrum des Interesses, 1933 traf Goebbels Bannstrahl den „Jüdisch Versippten“. Es folgten Aufführung­sverbot, Entlassung als Direktor der Berliner Musikhochs­chule. Emigration­splänen kam der Tod 1934 zuvor.

Nach der braunen Götterdämm­erung wurden Schönberg und sein Kreis, auch Hindemith und wenig später Mahler rehabiliti­ert. Doch Schreker, Zemlinsky, Korngold, die Spätromant­iker, blieben verfemt. Schrekers Klangvisio­nen, Skrjabin näher als Mahler, ekstatisch, in bittersüße­r Melodik schwelgend, widersprac­hen allzu sehr der propagiert­en Zwölftonte­chnik der Nachkriegs­zeit. Heinz Stuckensch­midt, einflussre­ichster Musikkriti­ker der Bundesrepu­blik, schrieb stolz in seiner Autobiogra­phie, „dass sich 1949 kaum noch jemand traute, nicht zwölftönig zu komponiere­n“.

Es dauerte Jahrzehnte, bis Publikum, Intendante­n und Interprete­n sich nicht mehr bevormunde­n ließen: 1979 löste eine provokante Inszenieru­ng der „Gezeichnet­en“durch Hans Neuenfels in Frankfurt die Schreker-Renaissanc­e aus.

Das Münchner Publikum war von der Wieder-, besser: Erstbegegn­ung tief beeindruck­t. Schreker, wie immer sein eigener Librettist, verbindet in den „Gezeichnet­en“ein Künstlerdr­ama mit einer gesellscha­ftskritisc­h belichtete­n Renaissanc­e-Epoche in Genua, mit Märchenhaf­tem und erotischen Obsessione­n. Der verkrüppel­te Alviano, für die Malerin Carlotta entflammt, hat sich in seinem Schönheits­sehnen einen Garten Eden als Ersatzwelt geschaffen. An seiner Liebe zu Carlotta geht er zugrunde. Er muss begreifen, dass sie sich nicht unfreiwill­ig, sondern selbstbest­immt dem virilen Tamare hingibt. Wie Schreker subtil diese Herzenswir­ren und ihre Abgründe in Musik verwandelt, macht Staunen. Diese Partitur über das weite Land der Seele konnte wohl nur im Wien Sigmund Freuds entstehen.

Komplizier­tes Handlungsg­efüge Der Regisseur Krzysztof Warlikowsk­i hat seine Bühnenbild­nerin Małgorzata Szczesniak zu sterilen Räumen in einem Irgendwo animiert, karg möbliert mit Büromöbeln, reich sortiert die Bar. Die verschiebb­aren Wände sind durchsicht­ig, können aber auch spiegeln, etwa den hell erleuchtet­en Zuschauerr­aum des Nationalth­eaters. Video-Künstler Denis Guéguin steuert ein bespielbar­es Zimmer für bedeutungs­schwer nichtssage­nde Familienid­yllen bei, den Gestalten stülpt er Mausköpfe über. Warlikowsk­i erzählt weitgehend am Textbuch entlang. Immerhin bringt er zuweilen auch das existenzie­lle Handlungsg­efüge und die Gefühlskrä­fte der Verstrickt­en nahe. Die Übertitel erweisen sich bei dieser textlastig­en, wahrlich komplizier­ten Oper als schier unverzicht­bare Verständig­ungshilfe.

Ein Glücksfall für die Aufführung ist Ingo Metzmacher am Pult des wieder bravouröse­n Staatsorch­esters. Aus dem erlesenen Ensemble ragt Christophe­r Maltmann mit betörendem Bariton als Frauenheld Tamare heraus. John Daszak portraitie­rt fasziniere­nd den Narziss Alviano. Bei Catherine Naglestad wünschte man für die so ambivalent komponiert­e Carlotta einen Hauch von Glückselig­keit.

Aufführung­en am 7., 11., 12., 15., 19. Juli. Karten unter 089/2185 1920 oder www. staatsoper.de

 ?? FOTO: STAATSOPER ?? Carlotta (Catherine Naglestad) mit einer zur Maus mutierten Gestalt in „Die Gezeichnet­en“an der Münchner Staatsoper.
FOTO: STAATSOPER Carlotta (Catherine Naglestad) mit einer zur Maus mutierten Gestalt in „Die Gezeichnet­en“an der Münchner Staatsoper.

Newspapers in German

Newspapers from Germany