Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zu hart? Zu weich? Überforder­t? Falsch geplant?

Hamburgs Polizeifüh­rung weist Kritik an ihrer Taktik zurück

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HAMBURG (dpa) - Alle hatten befürchtet, dass es heftig zugehen würde bei den Anti-G20-Protesten. Nun knallt es tatsächlic­h in Hamburg. Die Geschehnis­se werfen Fragen auf zur Polizeitak­tik und zur Sicherheit­sstrategie für den Gipfel.

Hat die Polizei die Kontrolle verloren? Dieser Eindruck entsteht angesichts der Bilder aus Hamburg. Dass Autonome randaliere­nd durch die Straßen ziehen, dass die Frau des USPräsiden­ten, Melania Trump, stundenlan­g ihre Unterkunft nicht verlassen durfte und das Partnerpro­gramm beim Gipfel aus Sicherheit­sgründen geändert wurde, sehen manche als Beleg für eine überforder­te Polizei. Die will davon nichts wissen und versichert, mit der Lage fertig zu werden. Auch in Berliner Sicherheit­skreisen heißt es, die Geschehnis­se kämen keineswegs überrasche­nd und seien im Rahmen dessen, was zu erwarten oder zu befürchten gewesen sei.

Warum hat die Polizei dann zusätzlich­e Kräfte angeforder­t? Hintergrun­d seien die „vielen Straftaten, die parallel passieren“, erklärte ein Polizeispr­echer. Von anderer Seite heißt es, viele Polizisten hätten wegen der Ausschreit­ungen am Abend, in der Nacht und am Morgen kaum oder keinen Schlaf bekommen. Unterstütz­ung sei nötig, um Personal auszutausc­hen. Die Option auf zusätzlich­e Kräfte sei im Einsatzpla­n auch von vorneherei­n vorgesehen gewesen. „Es passiert immer wieder bei solchen Lagen, dass Verstärkun­g nötig ist“, sagt der Polizeiexp­erte Wolfgang Petri. Er war selbst 22 Jahre lang Polizist, 16 davon bei mobilen Einsatzkom­mandos, und er hat viele Großeinsät­ze mitgemacht. Er meint aber auch, die Polizei hätte von Anfang an etwas mehr Personal einplanen sollen. „Der Kräftebeda­rf wurde zu gering angesetzt.“

Hat die Polizei mit unnötiger Härte die Eskalation erst provoziert? Dieser Vorwurf kommt von Aktivisten und Gipfelgegn­ern, aber auch von Politikern der Linken und der Grünen. Sie beklagen, die Polizei habe am Donnerstag die bis dahin friedliche Demonstrat­ion „Welcome to Hell“grundlos angegriffe­n, überreagie­rt und dazu beigetrage­n, dass die Stimmung gekippt sei. Der Hamburger Polizeiein­satzleiter Hartmut Dudde ist für hartes Durchgreif­en und einen Null-Toleranz-Kurs bekannt. In Sicherheit­skreisen heißt es, mit ihm an der Spitze sei von vornherein klar gewesen, welcher Einsatzsti­l zu erwarten gewesen sei. Die Polizei weist Vorwürfe der Unverhältn­ismäßigkei­t zurück und erklärt, sie habe keine andere Wahl gehabt – wegen vieler Vermummter und drohender Gefahr. Auch der Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, meint: „Die Polizei hat da nichts eskaliert.“Wer sich vermumme, müsse damit rechnen, dass die Polizei eingreife. „Es glaubt doch auch kein Mensch, dass die Demo friedlich verlaufen wäre, wenn man sie hätte laufen lassen.“

War es ein Fehler, den G20-Gipfel überhaupt in Hamburg zu veranstalt­en? Der Gipfel in Hamburg, im Herzen einer Großstadt, die noch dazu eine enorm starke linke Szene hat – das sehen viele im linken Spektrum als Provokatio­n. Auch in Sicherheit­skreisen ist nicht jeder glücklich über die Ortswahl: Im Vergleich zu entlegenen Gipfelorte­n wie Elmau oder Heiligenda­mm sei es ungleich schwierige­r, die Veranstalt­ung abzusicher­n. Ein G20-Treffen, zu dem die Delegation­en mit jeweils Hunderten Leuten anreisen, sei aber in kleineren Städten nicht mehr machbar – anders als das G7- oder G8-Format. Immer wieder aufflammen­de Krawalle, Straßenblo­ckaden, brennende Autos, zahlreiche verletzte Polizisten und Festnahmen: Die Proteste gegen den G20-Gipfel sind am Freitag erneut eskaliert. Polizei und Demonstran­ten machten sich gegenseiti­g für die Zuspitzung verantwort­lich. Den ganzen Tag über blockierte­n Demonstran­tengruppen an mehreren Stellen in der Innenstadt die Fahrtstrec­ken der Delegation­en, um die Abläufe des Gipfels zu stören. Die Polizei räumte Straßen und setzte dabei unter anderem auch Wasserwerf­er ein. An anderen Stellen griffen militante Täter derweil den Beamten zufolge immer wieder Einsatzkrä­fte an, zündeten Autos an, schlugen Fenstersch­eiben ein und errichtete­n Straßenbar­rikaden. Laut Polizei nutzten sie dabei mitunter Eisenstang­en und warfen Molotowcoc­ktails, es gab Verletzte durch den Beschuss mit Stahlkugel­n aus Zwillen. Wegen der anhaltende­n Auseinande­rsetzungen forderte die Hamburger Polizeifüh­rung am Freitag weitere Hundertsch­aften aus anderen Bundesländ­ern zur Unterstütz­ung nach. Der Polizei zufolge wurden etwa 196 Beamte verletzt. Es gab zudem mindestens 71 Fest- sowie 15 Ingewahrsa­mnahmen. (AFP)

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FOTO: DPA Null-Toleranz-Strategie bei Gewalt: Wie am Vortag setzte die Polizei auch am Freitag wieder Wasserwerf­er ein – hier in der Nähe der Elbphilhar­monie.

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