Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„In der Not darf es keine Tabus geben“
Bürgermeisterin Sandra Flucht berichtet von Klausurtagung des Wilhelmsdorfer Gemeinderats
WILHELMSDORF/WOLFEGG - Die Wilhelmsdorfer Gemeinderäte trafen sich jetzt gemeinsam mit den Spitzen der Verwaltung zur zweitägigen Klausurtagung in Alttann bei Wolfegg. Beim Blick auf die aktuelle und künftige finanzielle Situation der Gemeinde sowie auf die Aufgaben in den kommenden Jahren war sicher keinem Beteiligten nach Scherzen zumute. Laufende Ausgaben der Gemeinde können nicht mehr gedeckt werden, zeigt die schonungslose Analyse.
Was Gemeinderäte, nur zwei fehlten, Ortsvorsteher sowie die Amtsleiter mit ihren jeweiligen Stellvertretern bewegte, schilderte Bürgermeisterin Sandra Flucht im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Ihr Fazit zeigt, dass auch sie, die seit einem Jahr die Geschicke der Gemeinde verantwortet, künftig manche schlaflose Nacht haben wird. Schließlich hat die Kommunalaufsicht im Landratsamt Ravensburg ein waches Auge über die Haushaltsplanungen. Gefordert wird bis 2020 ein ausgeglichener Haushalt. Doch wie das verwirklicht werden soll, das steht derzeit noch in den Sternen, wie Sandra Flucht einräumt. „Bei uns gilt das Prinzip Hoffnung und Zuversicht, mit dem man in Wilhelmsdorf schon immer Erstaunliches bewegt hat.“
Zwar wurden auf der Klausursitzung keine konkreten Beschlüsse gefasst. Die Runde einigte sich aber darauf, verschiedene Projekte genauer aufzuarbeiten, finanzielle Rahmen abzustecken und die Konsequenzen möglicher Beschlüsse zu durchleuchten. „In diesen Prüfaufträgen sind auch heiße Eisen enthalten. Aber in der Not darf es keine Tabus geben“, zeigt sich Sandra Flucht kämpferisch. Ihr Optimismus gründet auch in der Tatsache, dass sie in der Tagung einen „ganz tollen konstruktiven Austausch“, gepaart mit geballter Fachkompetenz, aller Beteiligter sah.
Bevor es in der Klausur ans Eingemachte ging, schilderte Sandra Flucht die Gemeinde Wilhelmsdorf als einen Ort mit unglaublich breiter Infrastruktur. Geboten werde eine außergewöhnliche Attraktivität als Wohngemeinde mit knapp 5000 Einwohnern. „Da schlecken sich einige Gemeinden unserer Größe die Finger danach“, zeigt sich Flucht stolz. Die Kehrseite davon ist, dass diese Infrastruktur jährlich viel Geld verschlingt. Negativ zu bewerten ist, dass die Gemeinde als überaus einkommensschwach gilt. Und das bei überdurchschnittlichen Hebesätzen sowie einem unterdurchschnittlichen Steueraufkommen. „Wir sind zu 70 Prozent abhängig von Zuschüssen. Nur 16 Prozent der Einnahmen kommen aus Steuern und Abgaben, die wir selbst beeinflussen können.“Der Schuldenstand im Jahr 2016 belief sich auf 2,84 Millionen Euro. Das ist eine Pro-Kopf-Verschuldung von 570 Euro und liegt über dem Landesdurchschnitt. „Für sich gesehen erscheint diese Zahl nicht so schlimm. Aber wir müssen die Kredite bedienen und den Haushalt ausgleichen.“Um Investitionen zu tätigen, hatte die Gemeinde in den vergangenen Jahren zwischen 500 000 und einer Million Euro aus Eigenmitteln zur Verfügung, vor allem aus Erlösen für Bauplätze. Doch diese Einnahmequelle ist endlich.
Lang ist die Liste von Aufgaben, die die Bürgermeisterin darlegt (siehe Kasten). Finanzielle Verpflichtungen aus gültigen Verträgen, unumgängliche Maßnahmen, beschlossene Projekte sowie gesetzliche Verpflichtungen und dringende Betriebskosten verschlingen viel Geld. Nicht enthalten sind mögliche Ausgaben für die künftige medizinische Versorgung oder die EDV-Ausstattung der Schulen.
Projekte, die als nötig, sinnvoll und wünschenswert eingestuft werden, schlagen mit geschätzt 1,6 Millionen Euro zu Buche. Und dann kommen die ganz dicken Brocken, deren Kosten allein an Eigenmitteln der Gemeinde, also ohne mögliche Zuschüsse, auf rund zwölf Millionen Euro veranschlagt werden. Es handelt sich dabei um die Sanierung und Erweiterung des Schulzentrums, die räumliche Weiterentwicklung der Feuerwehr sowie die Breitbandversorgung im kompletten Gemeindegebiet. Das Projekt Schulzentrum wurde auf der Klausur nicht infrage gestellt. Wir können aber keine 3,2 Millionen Euro aus Eigenmitteln zur Verfügung stellen“, sieht Flucht die Lage nüchtern. Das Gleiche gilt für die Neuorganisation mit Neubau der Feuerwehr, die früher einmal auf über vier Millionen Euro Kosten veranschlagt wurde. „Wir müssen bei diesen Projekten Vollgas geben. Da bleiben aber zunächst andere Dinge auf der Strecke“, stimmt Sandra Flucht die Bevölkerung auf kommende Jahre ein, in denen der Gürtel wieder enger geschnallt werden muss. Gehofft wird darauf, dass hohe Zuschüsse fließen werden.
„Es ist eine Riesenaufgabe, alle diese Vorhaben innerhalb der kommenden zehn Jahre zu stemmen. Alles ist unglaublich wichtig, alles schon lange in der Warteschleife. Jetzt besteht dringender Handlungsbedarf“, schildert sie die Lage.