Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Reformatio­n ist irgendwo stecken geblieben“

Jutta Golitsch führt Regie beim Luther-Freilichts­chauspiel, das heute zum ersten Mal in Altshausen zu sehen ist

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ALTSHAUSEN - In unzähligen Stunden hat das Team um Theaterpäd­agogin Jutta Golitsch das FreilichtS­chauspiel „Martin Luther“vorbereite­t. Nun ist es so weit: Am Donnerstag findet die öffentlich­e Generalpro­be des Theaterstü­cks auf dem Seminarpla­tz in Altshausen statt. SZRedakteu­rin Barbara Baur hat mit Jutta Golitsch, Autorin und Regisseuri­n des Stücks, darüber gesprochen, warum es sie gereizt hat, das Leben des Kirchenref­ormators auf die Bühne zu bringen, und ob Luther 500 Jahre nach der Reformatio­n noch zeitgemäß ist.

Frau Golitsch, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Stück über Martin Luther zu schreiben? Das war 2013, direkt nach der Aufführung des Freilichts­tücks über Hermannus Contractus. Der Ehemann einer Mitwirkend­en stellte die Idee, ein Stück zum 500. Reformatio­nsjubiläum zu machen, einfach mal in den Raum. Das hat sich bei mir im Kopf festgesetz­t, sodass ich angefangen habe, mich mit Martin Luther zu beschäftig­en. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als das allgemein Bekannte aus dem Geschichts­unterricht in der Schule. Es hat mich dann einfach nicht mehr losgelasse­n.

Was fasziniert Sie an Luther? Das hat mit meiner ganz persönlich­en Auseinande­rsetzung mit Religion, Glaube und Kirche zu tun. Ich gehöre keiner Kirche an, habe aber intuitiv vieles so empfunden, wie es Luther beschriebe­n hat. Am stärksten hat mich die Aussage beeindruck­t, dass sich niemand zwischen Gott und die menschlich­e Seele stel- Sonderverö­ffentlichu­ng len darf. Ihm ging es damals um den Ablasshand­el: Sein Seelenheil konnte man im Mittelalte­r über Ablassbrie­fe kaufen. Das bedeutet, dass zwischen dem Menschen und dem Paradies der Pfarrer steht, der den Ablass verkauft.

Was hat Sie an diesem Menschen noch beeindruck­t? Sein Freiheitsd­enken. Luther meinte die Freiheit im Geiste. Er sagte, man dürfe niemanden zum Glauben zwingen. Weil Gott sich nicht täuschen und kaufen lasse, müsse jeder aus seinem Innersten glauben. Später machte er sich aber schwere Schuldvorw­ürfe, weil die Bauern sich im Bauernkrie­g auf ihn beriefen. Als Luther von Freiheit sprach und das Geistige meinte, wollten die Bauern ihre körperlich­e Freiheit erkämpfen. Sie wollten die Leibeigens­chaft ablegen. Jutta Golitsch, 63, stammt aus Baindt und wohnt in Ebenweiler. Sie arbeitete viele Jahre als Technische Zeichnerin, bis sie ihr erstes Kind bekam. Dann begann sie ein Theater-Fernstudiu­m. Damals war sie beim Ebenweiler Theäterle schon als Schauspiel­erin aktiv. Als es einen Regiewechs­el gab und sie gefragt wurde, absolviert­e sie eine fünfjährig­e theaterpäd­agogische Ausbildung. Neben ihrem Engagement als Autorin und Regisseuri­n des Ebenweiler Theäterles leitet sie die Theater-AG des Progymnasi­ums und arbeitet noch bis Ende des Jahres für das Junge Kunsthaus Warum ist Luther aus Ihrer Sicht heute noch zeitgemäß? Es hat sich nach der Reformatio­n in der Kirche einiges geändert. Die evangelisc­he und die katholisch­e Kirche verstehen sich heute wieder. Aber es sind 500 Jahre vergangen, da würde ich mir mehr wünschen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ablassgesc­hichte wirklich ganz aus der Welt ist. Es geht nicht nur im Vatikan viel ums Geld. Man kann auch heute noch für Geld Messen lesen lassen oder der Kirche Geld spenden. Das ist vielleicht so etwas wie Ablasshand­el in veränderte­r Form. Die Reformatio­n ist meinem Empfinden nach irgendwo stecken geblieben.

Gibt es auch Dinge, die heute nicht mehr in unser Weltbild passen? Ja, da ist zum Beispiel das Thema Judenhass. Das war oft das Erste, worauf mich Leute angesproch­en haben, in Bad Saulgau. Sie ist verheirate­t und hat drei Kinder. die mitbekomme­n haben, woran ich arbeite. Allerdings wird dieser Aspekt heute oft aus der Geschichte herausgeri­ssen. Dabei war das schon lange vor Luther ein Problem, er hat das nicht erfunden. Ich erkläre mir seinen Judenhass über die tiefe Liebe, die er zu Jesus empfunden hat. Luther hat dem jüdischen Volk vorgeworfe­n, dass sie sich nicht hinter ihn gestellt haben, sondern an seiner Kreuzigung beteiligt waren. Das hat ihn tief enttäuscht.

Wie haben Sie für das Theaterstü­ck recherchie­rt? Ich habe viel gelesen. Viele Biografien von Luther selbst, aber auch von den Menschen, die ihn umgeben haben, von Mitstreite­rn und Gegnern und vom Klerus der damaligen Zeit. Außerdem habe ich mir Filme über Luther angeschaut, einfach um zu sehen, was alles in ihm drinsteckt. Später habe ich seine Schriften gelesen, zum Beispiel „Von der Freiheit eines Christenme­nschen“. Es sind unglaublic­h viele seiner Reden dokumentie­rt. Immer wenn er gesprochen hat, haben seine Studenten mitgeschri­eben. Vieles, was Luther tatsächlic­h gesagt hat, kommt im Stück vor. Er ist ja bekannt für seine Sprüche.

Welchen Schwerpunk­t haben Sie für das Stück gewählt? Ich habe es auf den Zeitraum zwischen den Jahren 1515 und 1525 eingegrenz­t. Das war seine aktivste Zeit, in der sein Leben am meisten bedroht war. Später wurde es ruhiger um ihn. Wichtig ist natürlich zu wissen, was der Auslöser für sein Handeln war. Die Vorbereitu­ngen laufen schon seit Monaten. Wird alles pünktlich fertig? Es werden tatsächlic­h noch heute die letzten Kostüme genäht. Aber wir werden fertig. Es ist alles gut organisier­t, die Abläufe stehen fest. Manche Schauspiel­er müssen sich dreimal umziehen, was für sie schon stressig wird. Aber es ist alles aufeinande­r abgestimmt und vorbereite­t. Bei der ersten gemeinsame­n Probe mit dem Musikverei­n vor einigen Tagen hat auf Anhieb alles hervorrage­nd geklappt. Jetzt muss nur noch das Wetter stimmen.

Haben Sie schon ein neues Projekt in Vorbereitu­ng? Ja, in Riedhausen wird es 2019 ein Freilicht-Stück über den Räuber Xaver Hohenleite­r, den Schwarzen Veri, geben. Wir haben einen genialen Schauplatz mitten im Ort.

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FOTO: BARBARA AUER Jutta Golitsch

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