Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aus der untersten Kaste an die Staatsspit­ze

- Von Nick Kaiser und Siddhartha Kumar

NEU-DELHI (dpa) - Indiens neuer Staatspräs­ident wird von ganz unten im Kastensyst­em kommen: Beide Kandidaten bei der Wahl sind Dalits – früher „Unberührba­re“genannt. Die gesellscha­ftliche Stellung dieser Gruppe wird dadurch im Moment aber nicht unbedingt besser.

Den Dalits in Shabbirpur ist es egal, dass Indiens nächstes Staatsober­haupt wie sie von der niedrigste­n Stufe des Kastensyst­ems stammen wird. Die Bewohner des nordindisc­hen Dorfes stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Spannungen mit Angehörige­n der höheren Thakur-Kaste eskalierte­n vor einigen Wochen. Ein Thakur-Mob brannte 50 ihrer Häuser nieder und tötete einen Jugendlich­en.

Angriffe auf Dalits sind keine Seltenheit. Daran wird nach Ansicht der Menschen in Shabbirpur auch ein Dalit-Staatschef nichts ändern. Indiens Parlamenta­rier wählen heute zwar einen neuen Staatspräs­identen, und sowohl die Regierungs­partei BJP als auch die Opposition haben einen Dalit als Kandidaten aufgestell­t. Allerdings: Das indische Staatsober­haupt erfüllt vor allem repräsenta­tive Aufgaben. Die Macht liegt beim Premiermin­ister.

Auch wenn Indiens gesellscha­ftliche Hierarchie nach dem etwa 3000 Jahre alten hinduistis­chen Kastensyst­em in den vergangene­n Jahrzehnte­n eine Lockerung erfahren hat: Den rund 200 Millionen Dalits wird weiter der Zutritt zu Tempeln oder das Trinken aus gemeinscha­ftlichen Brunnen verboten. Noch heute haben die meisten Dalits kein Land und üben vor allem körperlich­e Arbeit aus. Viele sind Müllsammle­r.

Es gibt aber auch Dalits, die es weit gebracht haben. Dazu gehören die zwei Präsidents­chaftskand­idaten: der Regierungs­chef des Bundesstaa­tes Bihar, Ram Nath Kovind von der BJP, und die Kandidatin der Opposition­sparteien, Meira Kumar, eine frühere Diplomatin und Parlaments­präsidenti­n.

Selbstbewu­sst und kämpferisc­h Der Nachfolger oder die Nachfolger­in des amtierende­n Präsidente­n Pranab Mukherjee wird von den insgesamt knapp 5000 Abgeordnet­en der Parlamente des Landes und der Bundesstaa­ten gewählt. Egal wie es ausgeht, wird Indien seinen zweiten Dalit-Präsidente­n nach K.R. Narayanan, der das Amt von 1997 bis 2002 innehatte, bekommen. Für den DalitIntel­lektuellen Chandra Bhan Prasad ist das vergleichb­ar mit einem etwaigen zweiten schwarzen US-Präsidente­n nach Barack Obama.

Doch für die Dalits in Shabbirpur sind die Politik in Neu-Delhi und das Großstadtl­eben weit weg von ihrem Alltag. Trotzdem kommt auch in dem Ort im Bundesstaa­t Uttar Pradesh bei den Dalits Selbstbewu­sstsein auf. Die jüngere Generation ist gebildet und will sich gegen die Unterdrück­ung wehren. „Früher durften wir höheren Kasten nicht in die Augen schauen“, erzählt der Mittzwanzi­ger Srikanth, der in Shabbirpur einen Holzhandwe­rk-Betrieb hat. „Jetzt, da wir aufsteigen und uns bilden, begegnen wir ihnen auf Augenhöhe. Sie können es nicht ertragen, ihre Vorherrsch­aft zu verlieren.“Er fügt hinzu: „Sie müssen sich aber daran gewöhnen.“

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