Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Turbinen hin, Klagen her

Lieferung von Siemens-Gasturbien­en auf die Krim schon 2015 in Russland vermeldet

- Von Klaus-Helge Donath

MOSKAU - Der deutsche Weltkonzer­n Siemens ist empört. Vier Gasturbine­n des Anlagenbau­ers, 2015 im Auftrag Moskaus für ein geplantes Kraftwerk auf der russischen Halbinsel Taman gefertigt, tauchen plötzlich auf der Krim auf. Ein Verstoß gegen amerikanis­che und europäisch­e Sanktionen.

Siemens klagt nun gegen das Tochterunt­ernehmen Siemens Technologi­i Gasowych Turbin (STGT), das die Erdgasturb­inen herstellte. Siemens hält 65 Prozent an der STGT, 35 Prozent der russische Partner Silowye Maschiny (SM). Grund: 2015 sei laut Siemens vertraglic­h vereinbart worden, keine Turbinen auf die Krim zu liefern.

Beobachter vermuten, hinter der klage stünde der Wunsch nach einem Befreiungs­schlag. Sollte das Moskauer Gericht den Vertragsbr­uch bestätigen, müsste Siemens nicht fürchten, wegen eines Verstoßes gegen das Sanktionsg­ebot zur Rechenscha­ft gezogen zu werden. Auch der Vorwurf westlicher Unternehme­n wäre vom Tisch, Siemens mache mit dem Kreml gemeinsame Sache.

Russische Beobachter halten dies für Nebelkerze­n. Dass der Konzern ein Moskauer Wirtschaft­sgericht anruft, deute in eine andere Richtung. Grundsätzl­ich tragen russische und internatio­nale Konzerne Streitfrag­en vor internatio­nalen Gerichten aus. Diesmal werde dieses Prinzip erhöhter Rechtssich­erheit durchbroch­en, meint der stellvertr­etende frühere Energiemin­ister und Leiter des Moskauer Instituts für Energiepol­itik, Wladimir Milow.

Der Generaldir­ektor von SM, Roman Philippow, wurde kurzzeitig festgenomm­en. Der russische Geheimdien­st hatte sich seiner angenommen. Die Fahnder wollten wissen, wie Einzelheit­en über Geschäft und Transport der Technik auf die Krim an die Öffentlich­keit gelangen konnten.

Der Geheimdien­st stellte Strafanzei­ge wegen Geheimnisv­errat. Das bestätigt eher Vermutunge­n, dass es sich um ein abgekartet­es Spiel gehandelt haben könnte. Den Transport auf die Krim wickelte Interautom­atik ab, eine Firma, an der Siemenskon­zern auch mit 45 Prozent beteiligt ist. Die Siemenszen­trale will jedoch von der Überführun­g nichts gewusst haben.

Siemens verklagt zusätzlich zwei Firmen mit gleichem Namen: Technoprom­eksport (TPE). Die beiden Unternehme­n sind an derselben Adresse gemeldet und Töchter des staatliche­n Konzerns Rostec. Nur rechtlich unterschei­den sich die beiden TPE-Firmen.

Das ältere Energieunt­ernehmen TPE 1 bestellte bei STGT die vier Turbinen für Taman. Nach Erhalt geriet TPE 1 in finanziell­e Turbulenze­n. Als Käufer trat TPE 2 auf den Plan – vertraglic­h nicht an Wiederverk­aufsklause­ln gebunden. Laut russischem Wirtschaft­sblatt „Wedomosti“gab es eine Ausnahmere­gelung: Der Weiterverk­auf auf die Krim sei bei finanziell­en Engpässen oder gar Insolvenz erlaubt gewesen. Rostec wollte sich wohl dadurch vor Schadenser­satzklagen schützen.

Apropos Rostec: Dem Konzern steht Sergej Tschemesow vor, der gemeinsam mit Wladimir Putin beim sowjetisch­en KGB-Geheimdien­st in Dresden diente. Rostec untersteht direkt dem Kremlchef und wird von keiner Behörde kontrollie­rt.

Nach russischer Lesart gibt es ohnehin keine Unklarheit­en. Die Turbinen seien umgerüstet worden und trügen nun ein russisches Zertifikat, verlautete aus dem Kreml. Russland wird die Turbinen nicht mehr herausrück­en, wie es Siemens offiziell fordert.

Siemens hat 160 Jahre Erfahrung in Russland. Die Beziehunge­n sind glänzend. Kurz nach der Einverleib­ung der Krim sprach Siemens-Chef Joe Kaeser bei Präsident Putin vor. Was die westliche Welt als größten Schlag gegen die europäisch­e Friedensor­dnung nach 1945 wertete, nannte der Siemens-Chef „kurzfristi­ge Turbulenze­n“.

Ende Juni 2015 meldete „Wedomosti“: „Siemens liefert Turbinen für Elektrizit­ätswerke auf der Krim.“Siemens dementiert­e. Der Beitrag nahm jedoch im Detail voraus, wie sich der Turbinende­al entwickeln könnte.

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