Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sekundenhatz im Gebirge
Die Tour wird zum Thriller – Froome zurück in Gelb – Vier Fahrer innerhalb von 30 Sekunden
LE PUY-EN-VELAY (SID/dpa) - Christopher Froome winkte hektisch, erst Teamkollege Michal Kwiatkowski half ihm aus der Not. Als ein Defekt am Hinterrad ihn in einem denkbar ungünstigen Augenblick stoppte, geriet der britische Champion kurz in Panik. „Das war richtig Stress für mich. Ich musste das Maximum geben, um zurückzukommen“, sagte der dreimalige Tour-Sieger, nachdem er am Sonntag unter Aufbietung aller Kräfte sein Gelbes Trikot doch noch behauptet hatte.
Die Panne hatte den Titelverteidiger ereilt, als der drittplatzierte Franzose Romain Bardet am Col de Peyra Taillade, ein Berg der ersten Kategorie, rund 40 Kilometer vor dem Ziel attackierte. Erst nach Unterstützung seines Helfers und einer beherzten Aufholjagd im Zentralmassiv, kam der erschöpfte Froome wieder an die Seite seiner härtesten Rivalen, Fabio Aru und Bardet. 6:25 Minuten hinter Tagessieger Bauke Mollema (Niederlande) erreichte die Gruppe nach 189,5 km schließlich das Ziel in Le Puy-en-Velay, Froome wahrte damit den Status quo.
Der 104. Frankreich-Rundfahrt winkt nun nach einer knallharten 15. Etappe, die in Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin einen glücklosen Ausreißer erlebte, auf dem Weg durch die Alpen nach Paris endgültig ein Herzschlagfinale sondergleichen – nach einem Wochenende, an dem Froome zumindest vorerst die Hackordnung wiederherstellte. Der TourRegent fährt wieder in Gelb, doch die Konkurrenz verlangt ihm alles ab.
„Dass ich so schnell wieder die Gesamtführung besitze, hätte ich nicht geglaubt“, sagte der 32 Jahre alte Sky-Kapitän: „Es ist so eng an der Spitze, ab jetzt kämpfen wir um jede Sekunde.“
Mit seinem Husarenstück auf der 14. Etappe am Samstag, als er beim Sieg des Australiers Michael Matthews vom deutschen Team Sunweb im Bergaufsprint die Schwäche des jetzt wieder Gesamtzweiten Aru eiskalt ausgenutzt hatte, kehrte Froome an die Spitze zurück – 48 Stunden nachdem der Italiener ihn verdrängt hatte. „Er liebt einfach Überraschungen“, schrieb das Tour-Organ „L'Équipe“. Aru hatte sich in der entscheidenden Rennphase viel zu weit hinten im Feld aufgehalten und damit im Etappenfinale nicht mehr reagieren können. Der Italiener vom team Astana bezahlte für seine schlechte Position und ist für den restlichen Verlauf der Tour nach den Ausfällen zweier wichtiger Helfer auch noch nahezu auf sich allein gestellt. Froomes Team Sky unterstrich dagegen wieder seine Dominanz.
Damit liegt Froome vor dem Ruhetag am heutigen Montag in der Gesamtwertung wieder 18 Sekunden vor Aru und 23 Sekunden vor dem französischen Hoffnungsträger Romain Bardet. Auch der kolumbianische Außenseiter Rigoberto Uran ist mit einem Rückstand von 29 Sekunden noch gut im Rennen.
Marcel Kittels Quick-Step-Kollege Daniel Martin (Irland/+ 1:12), der als Einziger am Sonntag Zeit auf Froome gutmachte, und der Spanier Mikel Landa (+ 1:17) als zweiter SkyTrumpf liegen ebenfalls in Schlagdistanz. „Ich habe prophezeit, dass diese Tour meine größte Herausforderung wird“, sagte Froome – und darf sich bestätigt sehen. Insbesondere die Alpen-Etappen am Mittwoch über den legendären Galibier und am Donnerstag auf den Col d'Izoard versprechen Höchstspannung. „Wir wussten, es wird ganz eng zugehen, und so ist es jetzt auch“, sagte Froome.
Kaum einer der Mitfavoriten hatte bislang die Gelegenheit und auch das Vermögen, sich von seinen Konkurrenten entscheidend zu lösen. Die Tour-Choreografie mit insgesamt nur drei reinen Bergankünften und wenigen Zeitfahrkilometern hat bislang die Erwartungen des Veranstalters erfüllt. Die Dramaturgie spitzt sich zu.
Als Einziger der Sieganwärter verfügt Bardet über eine annähernd starke Mannschaft wie der Mann in Gelb – und zwang Sky auch in die Defensive. „Nichts ist unmöglich“, sagte der 26-Jährige, der die Hoffnungen der Franzosen auf den ersten TourTriumph seit Bernard Hinault (1985) trägt.
Deutsches Team feiert Beim deutschen Team Sunweb herrschte derweil allerbeste Stimmung. Erst hatte der Franzose Warren Barguil am Nationalfeiertag in Foix am Freitag triumphiert, dann hängte Matthews am Samstag den favorisierten belgischen Olympiasieger Greg Van Avermaet ab. „Zwei Tage Champagner – es könnte schlimmer sein“, sagte Simon Geschke, einer von zwei deutschen Fahrern in Sunwebs Tour-Team, am Samstag.
Etwas gedämpfter war die Stimmung gestern bei Tony Martin. Nach gut vier Stunden Schwerstarbeit an der Spitze, darunter fast 30 Kilometer im Alleingang, war der Traum von einem Etappensieg dahin – wurde er erst ein- und später überholt. Womit sich die diesjährige Frankreich-Rundfahrt für den KatushaProfi endgültig zu einer Tour zum Vergessen entwickelte.
„Enttäuscht bin ich nicht. Das war die einzige Etappe, die vom Profil gepasst hat. Ich habe es versucht und bin weggekommen, aber der vorletzte Berg war zu steil für mich“, sagte Martin nach seiner Schinderei.