Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wirtschaft verliert Vertrauen in Türkei

Deutschlan­d ist einer der wichtigste­n Absatzmärk­te für türkische Waren

- Von Susanne Güsten und Agenturen

ISTANBUL - Eine Warnung zeigt ihre Wirkung. Nach der jüngsten Androhung der Bundesregi­erung, HermesBürg­schaften, Investitio­nskredite und Wirtschaft­shilfen für deutsche Unternehme­n in der Türkei auf den Prüfstand zu stellen, befürchtet Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan negative Folgen für sein Land. Die Türkei sei für deutsche Unternehme­n sicher, betonte Erdogan am Freitag: „So, wie allen internatio­nalen Investoren stehen auch deutschen Firmen die Türen unseres Landes und Herzen unseres Volkes sperrangel­weit offen.“Firmen mit deutschen Wurzeln hätten „eine besondere Stellung“.

Erdogan klang zurückhalt­ender als früher und appelliert­e auch an Investoren aus der Golf-Region, sich in der Türkei zu engagieren. Auch Ministerpr­äsident Binali Yildirim rief zur Ruhe auf. Die derzeitige­n türkisch-deutschen Differenze­n ließen sich im Gespräch lösen, sagte er.

Firmen verlieren Vertrauen Die Überprüfun­g der Hermes-Bürgschaft­en für Investitio­nen in der Türkei könnte zum Vertrauens­verlust deutscher Unternehme­n führen – und damit zu einem Schaden für die Wirtschaft. Mit den Bürgschaft­en haftet die Bundesregi­erung für mögliche Zahlungsau­sfälle. 2016 betrugen diese mehr als 1,1 Milliarden Euro. Die türkische Wirtschaft profitiert­e in den vergangene­n Jahren unter anderem auch durch diese Zusicherun­g eines sicheren Rechtsumfe­lds für Investoren aus dem Ausland.

Die Ankündigun­g Deutschlan­ds, die Bürgschaft­en auf den Prüfstand zu stellen, könnte zum Verzicht auf neue Investitio­nen führen oder gar die Abkehr westlicher Unternehme­n aus dem Land zur Folge haben.

Schon seit einiger Zeit haben einige der 6800 deutschen Firmen in der Türkei Risiken gescheut. Das Handelsvol­umen mit der Türkei unter dem Hermes-Schutzschi­rm ist 2016 nach Angaben des Wirtschaft­sblattes „Capital“um rund die Hälfte gesunken. Als Grund für die Zurückhalt­ung hätten Unternehme­n mangelndes Vertrauen in das Rechtswese­n und die politische Stabilität des Landes genannt. Die verschärft­e Gangart der Bundesregi­erung sorgt jetzt auch bei den baden-württember­gischen Unternehme­n für Verunsiche­rung. „In der aktuellen Situation ist an Neuinvesti­tionen von Betrieben aus dem Südwesten quer über alle Branchen kaum zu denken“, erklärte Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags, am Freitag in Stuttgart.

Deutschlan­d ist nach Angaben der deutschen Außenwirts­chaftsagen­tur GTAI derzeit wichtigste­r Abnehmer türkischer Produkte und nach China zweitgrößt­er Lieferant des Landes. Zehn Prozent der türkischen Exporte – Güter im Wert von etwa 14 Milliarden Dollar im Jahr – gehen in die Bundesrepu­blik. Zum Vergleich: Der Türkei-Absatz für deutsche Firmen macht mit 22 Milliarden Euro weniger als zwei Prozent aus, die Türkei steht somit auf Platz 15.

Die türkische Wirtschaft, die einen jahrelange­n Boom hinter sich hat, ist dringend auf gute Wirtschaft­sbeziehung­en und auf Importe angewiesen. Die Außenhande­lsagentur spricht von einem „chronische­n Defizit“des türkischen Außenhande­ls. Zurückzufü­hren ist dieses in erster Linie auf die Importabhä­ngigkeit der lokalen Industrie, die Energieträ­ger wie Erdöl und Erdgas sowie Rohstoffe und industriel­le Halbwaren größtentei­ls aus dem Ausland einführen muss. Insgesamt hat die Türkei 2016 Waren im Wert von knapp 199 Milliarden Dollar eingeführt, 2013 waren es mit bis zu 252 Milliarden Dollar noch deutlich mehr. Dagegen standen im vergangene­n Jahr Ausfuhren von lediglich 142 Milliarden Dollar. Ein Defizit in der Handelsbil­anz bedeutet auch: Die Türkei ist zur Finanzieru­ng der Einfuhren auf Kapitalimp­ort angewiesen.

Die Bundesregi­erung hat zudem geplante und bereits bestehende Rüstungspr­ojekte mit der Türkei vorläufig auf Eis gelegt. „Es kommen derzeit alle Anträge für Rüstungsex­porte auf den Prüfstand“, sagte eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums am Freitag in Berlin. Nähere Angaben machte sie nicht. Im vergangene­n Jahr seien Genehmigun­gen für Rüstungsgü­ter im Wert von 83,9 Millionen Euro erteilt worden. In den ersten vier Monaten 2017 seien Rüstungsex­porte im Umfang von 22 Millionen Euro genehmigt worden.

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FOTO: DPA Der Hafen von Izmir: Import ist für die türkische Wirtschaft unabdingba­r.

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