Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Am Ende der Geduld
EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska droht 2018 Dieselautos stillzulegen, wenn sie nicht umgerüstet sind
RAVENSBURG - Die Kommission der Europäischen Union (EU) verliert in der Affäre um manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen die Geduld mit Mitgliedsstaaten und Automobilkonzernen. Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska soll alle Verkehrsminister schriftlich aufgefordert haben, die betroffenen Autos aus dem Verkehr zu ziehen.
Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“, der der Brief Bienkowskas an die Minister vorliegt. Nach Angaben des Blattes droht die Polin, dass zum Beispiel die Fahrzeuge von Volkswagen von 2018 stillgelegt werden müssten, wenn sie bis Ende dieses Jahres nicht umgerüstet seien. Die Forderung ist brisant, weil europaweit Millionen von Dieselautos noch nicht umgerüstet sind.
Die EU-Kommission wirft den nationalen Kontrollbehörden, vor allem dem deutschen Kraftfahrtbundesamt, Versagen vor. Bienkowskas nennt es nach Angaben der Tageszeitung bestürzend, dass die neuen Verdachtsfälle bei Audi und Porsche nicht von den zuständigen Aufsichtsbehörden entdeckt wurden, sondern dass Staatsanwaltschaften sie aufgedeckt haben. Dem Blatt zufolge warnt die EU-Kommission allerdings auch vor einem generellen Fahrverbot für Dieselautos. Politik und Industrie könnten kein Interesse an einem „rasant kollabierenden DieselMarkt infolge lokaler Fahrverbote“haben – „das würde der Industrie nur die Mittel entziehen in emissionsfreie Autos zu investieren“. Für den Fall, dass nur Verbote den Schutz der Bürger sicherstellten, schließt die Kommission sie aber nicht aus. Die Regeln für solche Verbote müssten Bienkowska zufolge dann europaweit vereinheitlicht werden.
Schnelle Stilllegung unrealistisch Auch wenn die Kommission den Ton mit dem Schreiben an die Verkehrsminister spürbar verschärft hat, ist es nach Meinung von Autoexperten unwahrscheinlich, dass Anfang 2018 nicht umgerüstete Fahrzeuge wirklich stillgelegt werden. „Ich denke, es ist eher eine Drohung, denn für die Zulassung sind die nationalen Behörden zuständig“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, der Chef des Center Automotive Research (Car) an der Universität Duisburg-Essen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Bienkowska könnte nach Meinung von Dudenhöffer wohl anordnen, dass die Zulassung entzogen wird. „Vermutlich würden sich die nationalen Behörden weigern oder nicht reagieren, und dann würden Vertragsverletzungsverfahren kommen“, erläutert der Car-Chef. Die Folge wäre eine längere Diskussion zwischen Kommission und den nationalen Regierungen.
Nach Daimler hat auch der zu Volkswagen gehörende Autobauer Audi eine freiwillige Rückrufaktion Softwarelösung: Die Vergrößerung des sogenannten Thermofensters per Update der Steuerungssoftware soll den Schadstoffausstoß verringern. Das Thermofenster sorgt dafür, dass die Abgasreinigung außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs abgeschaltet wird. Auch der Ausstoß schädlicher Stickoxide (NOx) soll durch neue Software sinken. Nähere Angaben, wie das funktioniert, machten die Automobilkonzerne keine. für Diesel-Fahrzeuge auf den Weg gebracht. Audi biete ein Nachrüstungsprogramm für bis zu 850 000 Fahrzeuge mit den Abgas-Grenzwerten Euro 5 und Euro 6, teilte das Unternehmen am Freitag mit. Die Autos sollen ein kostenloses Software-Update bekommen. Erst vor wenigen Tagen hatte der Automobilkonzern Daimler eine bestehende Rückrufaktion auf über drei Millionen DieselFahrzeuge der Marke MercedesBenz ausgeweitet. Ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Abgase so zu reinigen, dass sie den Grenzwerten entsprechen, ist umstritten. Hardwarelösung: Der nachträgliche Einbau eines Selective Catalytic Reduction Systems, ein System zur Abgasnachbehandlung, kann den Stickstoffausstoß verringern. Dabei wird eine wässrige Harnstofflösung, unter dem Markennamen AdBlue bekannt, in die Abgase eingespritzt, Stickoxide und Ammoniak reagieren zu Wasserstoff und ungefährlichem Stickstoff. 1500 Euro könne so eine Nachrüstung kosten, sagt BoschChef Volkmar Denner. (dpa/AFD)