Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nur im Tod vereint

Festival „Rossini in Wildbad“: Opern des Meisters mit sensatione­llen Stimmen

- Von Werner M. Grimmel

WILDBAD - Seit fast drei Jahrzehnte­n lockt das Festival „Rossini in Wildbad“jeden Sommer Freunde des italienisc­hen Ziergesang­s in das beschaulic­he Kurstädtch­en des nördlichen Schwarzwal­ds. Am vergangene­n Sonntag ist das zweieinhal­bwöchige Programm dieser Saison mit einer triumphale­n Aufführung von Gioachino Rossinis selten gespielter Oper „Maometto secondo“zu Ende gegangen. Zuvor hatten zahlreiche Konzerte und weitere Opernprodu­ktionen das aus aller Welt angereiste Publikum begeistert.

Mal Konzert, mal Oper Im kleinen Kurtheater wurde der vom Festivalle­iter Jochen Schönleber reizend inszeniert­e Rossini-Einakter „L’occasione fa il ladro“(„Gelegenhei­t macht Diebe“) präsentier­t. Außerdem kam dort als Gastspiel des prominente­n Festivals Maggio Musicale aus Florenz Manuel Garcías brillante Musikkomöd­ie „Le cinesi“auf die Bühne. Konzertant präsentier­te man kaum bekannte Rossini-Opern in der Wildbader Trinkhalle. Gianluigi Gelmetti dirigierte das Pasticcio „Edoardo e Cristina“, ein Patchwork-Stück, das Rossini 1819 unter Zeitdruck aus eigenen Bühnenwerk­en zusammenge­flickt hat. Der frühere Chefdirige­nt des Radio-Sinfonieor­chesters Stuttgart erhielt bei dieser Gelegenhei­t den erstmals verliehene­n Festivalpr­eis „Rossini in cima“.

Schauplatz der „ernsten“Oper „Aureliano in Palmira“ist die antike Wüstenstad­t Palmyra, die vor zwei Jahren wegen der Zerstörung historisch­er Bauwerke aus römischer Zeit durch islamistis­che Terrortrup­pen traurige Berühmthei­t erlangte. Das exzellente Libretto von Felice Romani entfaltet eine Liebesgesc­hichte vor dem Hintergrun­d der Rückerober­ung Palmyras durch den römischen Kaiser Aurelian. Die 1813 an der Mailänder Scala uraufgefüh­rte Oper gehört zu den besten Partituren Rossinis. José Miguel Pérez-Sierra animierte die als Wildbader Hausorches­ter bewährten Virtuosi Brunenses zu farbenpräc­htigem, dynamisch fein gestaffelt­em Spiel. Fabio Maggio begleitete die Rezitative virtuos am historisch­en Pleyel-Flügel (1849).

Die wie geölt laufende „Aureliano“-Ouvertüre dürfte den meisten Zum Abschluss des BelcantoFe­stivals „Rossini in Wildbad“hat Intendant Jochen Schönleber gleich zwei erste Preisträge­r präsentier­t. Die Gewinner des „Internatio­nal BelCanto Prize 2017“sind Vera Talerko und Patrick Kabongo Mubenga. Sie erhalten 1000 Euro und ein Rollenange­bot für ein kommendes Festival. Ein zweiter Preis ging an den jungen chinesisch­en Tenor Xiang Xu. Den Publikumsp­reis erhielt der Bariton Zuhörern bekannt vogekommen sein. Rossini hat sie drei Jahre später für seinen „Barbier von Sevilla“wiederverw­endet. Dass er nicht selten ernste und komische Sujets mit derselben Musik unterlegt hat, fanden manche deutsche Kritiker einst unseriös. Was Anhänger solcher Opernästhe­tik auch heute noch bemängeln, muss indessen kein Widerspruc­h sein. Rossinis musikdrama­tischer Stil funktionie­rt wie die Textund Bildsprach­e eines Comic-Künstlers, der tragische und heitere Inhalte gleicherma­ßen glaubhaft erzählen kann.

Ein Höhepunkt des Festivals war die von Schönleber inszeniert­e „Maometto“-Produktion. Auch hier entfaltet das Libretto (Cesare Della Valle) einen historisch­en Stoff. Der osmanische Sultan Mehmet II. erobert die venezianis­che Kolonie Roberto Maietta. Die Sopranisti­n Talerko machte 2016 ihren Master an der Litauische­n Musik- und Theateraka­demie in Vilnius und arbeitet derzeit an der Norwegisch­en Staatsoper. Der Tenor Mubenga ist seit seiner Kindheit im Kongo begeistert­er Sänger. Seine Ausbildung erhielt er am Königliche­n Konservato­rium in Brüssel. Seit 2015 ist er Mitglied der Academia del Maggio Musicale in Florenz. (dpa) Negroponte. Rossini hat aus der patriotisc­hen Geschichte eines Kampfs der Kulturen eine Tragödie über die Unmöglichk­eit romantisch­er Liebe gemacht. Im Zwiespalt zwischen Familieneh­re und vaterländi­scher Pflicht einerseits und ihrer heimlichen Liebe zum generösen feindliche­n Sultan bleibt Anna, der Tochter des venezianis­chen Statthalte­rs Erisso, nur der Freitod.

Vokale Glanzleist­ungen Bei Rossini liefern sich die Kombattant­en sinnlose Gemetzel. Wer hier die Guten und wer die Bösen sind, bleibt offen. Konsequent hat Schönleber Annas vom Vater verordnete­n Selbstmord als Opfergang angelegt. Im weißen Kleidchen (Kostüme: Claudia Möbius) wirft sich die Unglücklic­he wie eine Heilige ihrem Geliebten in die Arme und stößt sich dabei ein Messer in den Leib. Für diesen kurzen Moment bringt sie Liebe und Pflicht auf einen Nenner. Der Preis dafür ist der Tod.

Die vom musikalisc­hen Festivalle­iter Antonino Fogliani subtil dirigierte Aufführung lotete alle Facetten der formal und musikalisc­h innovative­n Partitur aus. Mirco Palazzi (Maometto), Merto Sungu (Erisso), Elisa Balbo (Anna), Victoria Yarovaya (mit sensatione­llen Kolorature­n) und Patrick Kabongo Mubenga boten vokale Glanzleist­ungen, die jedes Staatsthea­ter neidisch machen könnten. Für einzelne Arien gab es minutenlan­gen Beifall, am Ende furiosen Applaus.

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FOTO: PATRICK PFEIFFER Höhepunkt des Festivals war die von Jochen Schönleber inszeniert­e „Maometto“-Produktion. In den Hauptrolle­n von Anna und Maometto glänzten Elisa Balbo und Mirco Palazzi.

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