Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schreie wie beim Justin-Bieber-Konzert
Laura Glißmeier und Paul Kull gewinnen die Adlerschießen der Ravensburger Gymnasien
RAVENSBURG - Das Mädchen auf dem Schützenpodest wirkte fast ein wenig geschockt. Als hätte sie gerade ihr Schulzeugnis aufgeschlagen und entdeckt, dass ihr Mathe-Lehrer dort nicht den erwarteten Zweier, sondern einen Dreier eingetragen hat. Nun ist nicht bekannt, welche Noten in Laura Glißmeiers Zeugnis vermerkt sind, derlei Gedanken dürften sie an diesem Dienstagnachmittag auch nicht geplagt haben. Die Schülerin des Albert-Einstein-Gymnasiums starrte nämlich sprachlos auf die linke Kralle des Adlers, wo eigentlich das Stadtsiegel ruht, der Hauptpreis des Adlerschießens, nun jedoch eine große Lücke klaffte.
Lauras Freundinnen reagierten sofort. Sie stürzten sich auf die neue Schützenkönigin und drückten nur fester zu, als diese plötzlich anfing zu kreischen, so laut und schrill, wie es sonst nur auf Justin-Bieber-Konzerten zu hören ist. Nur spielte sich auf dem Kuppelnauplatz natürlich kein Konzert ab, sondern das Adlerschießen der Ravensburger Gymnasien. Und natürlich war auch Justin Bieber nicht da, wohl aber die Trommlergruppen der Landsknechte und des Trommlerkorps samt ihren Ehemaligen, ein Teil der knapp 640 Schützinnen und 730 Schützen sowie die Vertreter der Stadt und der Schulen in dunklen Anzügen.
Und vor allem war da Laura Glißmeier, 15, die sich als 43. Schützin mit einem präzisen Armbrustschuss zur Siegerin der 15. Ausgabe des Mädchenschießens gekrönt hatte. Ein Treffer, der sie selbst wohl am meisten überraschte. „Ich habe so gezittert vor Aufregung“, gestand die Neuntklässlerin hinterher. „Die Armbrust hat gewackelt, dann habe ich einfach geschossen.“
Und nachdem sie über den Blauen Platz getragen worden war und den Fotografen das Stadtsiegel mit einem breiten Grinsen vor die Kamera gestreckt hatte, drängten sich schon die nächsten Fragen auf. Etwa, wo sie am Abend ihre kleine Siegesfeier abhalten kann? Wie sie die Sachpreise – unter anderem ein Tablet und ein Fahrrad – sicher nach Hause schaffen kann? Und ob dieser Junge eigentlich cool ist, mit dem sie in den nächsten zwölf Monaten hin und wieder wird auftreten müssen?
Dieser Junge heißt Paul Kull, 17, pfeift für die Landsknechte und hatte wenige Minuten zuvor den Reichsapfel, den Hauptpreis der JungsKonkurrenz, zu Fall gebracht – ohne ihn jedoch zu treffen. Ein Widerspruch, der sich leicht erklärt: Weil der Apfel zuvor schon mit mehreren Armbrustschüssen gelockert worden war, genügte ein Steckschuss in der Klaue des Adlers, um ihn aus der Halterung zu befreien.
Während die Landsknechte den Blauen Platz stürmten, war in den Gesichtern der Trokos die Enttäuschung abzulesen. Erstmals seit 2013 hatten die Landsknechte den kleinen Show-Wettkampf der Trommlergruppen, der im Adlerschießen gipfelt, wieder für sich entschieden. Und ausgerechnet die Trokos hatten die Vorarbeit geleistet. Erst war Mario Schwarz’ Bolzen nur knapp unterhalb des Apfels eingeschlagen, dann hatte Lukas Herzog das Apfelkreuz erwischt, nicht aber den Hauptteil des Apfels.
Dass letztlich ein Steckschuss reichte, war ihr Verdienst. Leichtes Spiel hatte der Schützenkönig trotzdem nicht gehabt. Als er das erste Mal zielte, unterbrach ihn die Schießleitung, weil parallel im Mädchen-Wettbewerb eine Feder gefallen war. „Ich war danach so aufgeregt und habe wirklich gezittert“, sagte Paul.
Doch er drückte zum richtigen Zeitpunkt ab – und beendete das Shoot-out, das seit 2013 zu Beginn des Adlerschießens zwischen Landsknechten, Trokos und einer Schülerklasse ausgetragen wird. Nachdem diese Maßnahme zu Beginn nicht unumstritten war, hat sie sich inzwischen etabliert. Es sei „spannender und fairer“, befand auch der Schützenkönig.
Eine weitere Tradition ist auch die Schützenkönigsfeier. Paul Kull kündigte an, diese im Bärengarten zu veranstalten. Und nach vier Tagen Rutenfest kann man sagen: So viele Hutträger wie am Dienstagabend hatten sich dort in diesem Jahr noch nicht getummelt.
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