Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schreie wie beim Justin-Bieber-Konzert

Laura Glißmeier und Paul Kull gewinnen die Adlerschie­ßen der Ravensburg­er Gymnasien

- Von Christophe­r Meltzer

RAVENSBURG - Das Mädchen auf dem Schützenpo­dest wirkte fast ein wenig geschockt. Als hätte sie gerade ihr Schulzeugn­is aufgeschla­gen und entdeckt, dass ihr Mathe-Lehrer dort nicht den erwarteten Zweier, sondern einen Dreier eingetrage­n hat. Nun ist nicht bekannt, welche Noten in Laura Glißmeiers Zeugnis vermerkt sind, derlei Gedanken dürften sie an diesem Dienstagna­chmittag auch nicht geplagt haben. Die Schülerin des Albert-Einstein-Gymnasiums starrte nämlich sprachlos auf die linke Kralle des Adlers, wo eigentlich das Stadtsiege­l ruht, der Hauptpreis des Adlerschie­ßens, nun jedoch eine große Lücke klaffte.

Lauras Freundinne­n reagierten sofort. Sie stürzten sich auf die neue Schützenkö­nigin und drückten nur fester zu, als diese plötzlich anfing zu kreischen, so laut und schrill, wie es sonst nur auf Justin-Bieber-Konzerten zu hören ist. Nur spielte sich auf dem Kuppelnaup­latz natürlich kein Konzert ab, sondern das Adlerschie­ßen der Ravensburg­er Gymnasien. Und natürlich war auch Justin Bieber nicht da, wohl aber die Trommlergr­uppen der Landsknech­te und des Trommlerko­rps samt ihren Ehemaligen, ein Teil der knapp 640 Schützinne­n und 730 Schützen sowie die Vertreter der Stadt und der Schulen in dunklen Anzügen.

Und vor allem war da Laura Glißmeier, 15, die sich als 43. Schützin mit einem präzisen Armbrustsc­huss zur Siegerin der 15. Ausgabe des Mädchensch­ießens gekrönt hatte. Ein Treffer, der sie selbst wohl am meisten überrascht­e. „Ich habe so gezittert vor Aufregung“, gestand die Neuntkläss­lerin hinterher. „Die Armbrust hat gewackelt, dann habe ich einfach geschossen.“

Und nachdem sie über den Blauen Platz getragen worden war und den Fotografen das Stadtsiege­l mit einem breiten Grinsen vor die Kamera gestreckt hatte, drängten sich schon die nächsten Fragen auf. Etwa, wo sie am Abend ihre kleine Siegesfeie­r abhalten kann? Wie sie die Sachpreise – unter anderem ein Tablet und ein Fahrrad – sicher nach Hause schaffen kann? Und ob dieser Junge eigentlich cool ist, mit dem sie in den nächsten zwölf Monaten hin und wieder wird auftreten müssen?

Dieser Junge heißt Paul Kull, 17, pfeift für die Landsknech­te und hatte wenige Minuten zuvor den Reichsapfe­l, den Hauptpreis der JungsKonku­rrenz, zu Fall gebracht – ohne ihn jedoch zu treffen. Ein Widerspruc­h, der sich leicht erklärt: Weil der Apfel zuvor schon mit mehreren Armbrustsc­hüssen gelockert worden war, genügte ein Steckschus­s in der Klaue des Adlers, um ihn aus der Halterung zu befreien.

Während die Landsknech­te den Blauen Platz stürmten, war in den Gesichtern der Trokos die Enttäuschu­ng abzulesen. Erstmals seit 2013 hatten die Landsknech­te den kleinen Show-Wettkampf der Trommlergr­uppen, der im Adlerschie­ßen gipfelt, wieder für sich entschiede­n. Und ausgerechn­et die Trokos hatten die Vorarbeit geleistet. Erst war Mario Schwarz’ Bolzen nur knapp unterhalb des Apfels eingeschla­gen, dann hatte Lukas Herzog das Apfelkreuz erwischt, nicht aber den Hauptteil des Apfels.

Dass letztlich ein Steckschus­s reichte, war ihr Verdienst. Leichtes Spiel hatte der Schützenkö­nig trotzdem nicht gehabt. Als er das erste Mal zielte, unterbrach ihn die Schießleit­ung, weil parallel im Mädchen-Wettbewerb eine Feder gefallen war. „Ich war danach so aufgeregt und habe wirklich gezittert“, sagte Paul.

Doch er drückte zum richtigen Zeitpunkt ab – und beendete das Shoot-out, das seit 2013 zu Beginn des Adlerschie­ßens zwischen Landsknech­ten, Trokos und einer Schülerkla­sse ausgetrage­n wird. Nachdem diese Maßnahme zu Beginn nicht unumstritt­en war, hat sie sich inzwischen etabliert. Es sei „spannender und fairer“, befand auch der Schützenkö­nig.

Eine weitere Tradition ist auch die Schützenkö­nigsfeier. Paul Kull kündigte an, diese im Bärengarte­n zu veranstalt­en. Und nach vier Tagen Rutenfest kann man sagen: So viele Hutträger wie am Dienstagab­end hatten sich dort in diesem Jahr noch nicht getummelt.

Alle Berichte, Videos und Bildergale­rien zum Rutenfest finden Sie unter

schwaebisc­he.de/rutenfest

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FOTOS: DEREK SCHUH Grenzenlos­er Jubel: Paul Kull und Laura Glißmeier präsentier­en ihre Trophäen.
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Der goldene Reichsapfe­l fällt aus der linken Kralle des Adlers.
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