Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie die Ritter vom Obertor verschwanden
Das Ravensburger Stadtarchiv gibt Einblicke in die Geschichte der verschwundenen Malereien
RAVENSBURG (sz) - Vor sechzig Jahren verschwanden zwei Ritter vom Obertor. Wie diese ausgesehen haben und im Spätmittelalter auf den Turm gemalt wurden, hat das Stadtarchiv aufgearbeitet.
Sie sind weg. Die beiden vier Meter hohen Ritter, die einst auf der Fassade des Obertors prangten. Und das schon eine ganze Weile. Denn zerstört wurden die Malereien bereits vor 60 Jahren.
Als 1957 Jugendräume in das Obertor eingebaut und dafür Durchbrüche für Fenster durch das Gemäuer nötig wurden, blieb von den Rittern nicht mehr viel übrig. 1990 wurden die Durchbrüche schon wieder zugemauert – im Zuge der Sanierung des Turms. Doch an eine Rekonstruktion der markanten Malerei, wie sie am gemalten Turm erfolgt ist, dachte damals niemand mehr.
„Im Gegensatz zum Gemalten Turm sind wir über die Entstehung der Ritterfiguren am Obertor genauestens unterrichtet“, berichtet Beate Falk, die stellvertretende Leiterin des Stadtarchivs in einer Mitteilung. Über reichsstädtischen Rechnungen im Stadtarchiv fanden die Mitarbeiter des Archivs heraus, wer die Urheber der Ritter waren. Denn in den Jahren 1489 und 1490 wurden die Malereien mit den Ravensburger Malern Peter Tagbrecht und Jakob Lutersee abgerechnet.
Schilling Pfennige als Bezahlung
Der Maler Lutersee erhielt 1489 für einen Wappner, den er an das Obertor gemalt hatte, fünf Pfund Schilling Pfennige. Es handelte sich dabei um die Figur eines bewaffneten Kriegsknechts oder Ritters, der ein Wappenschild hält. Noch im selben Jahr erfolgte laut Erkenntnissen der Archivarin eine weitere Auszahlung an Lutersee für zwei Schilde am Obertor, für die er ein Pfund und 15 Schilling Pfennige erhielt. Sein Kollege Peter Tagbrecht beendete die Arbeit mit einer gemalten Blume an der Fassade des Tors.
Dass nach dem Gemalten Turm ausgerechnet das Obertor im 15. Jahrhundert eine besonders auffällige Bemalung erhielt, muss nach Meinung der Archivarin einen besonderen Grund gehabt haben.Der Habsburger König Maximilian I. war 1489 von seinen vorwiegend burgundischen Aufenthalten endgültig ins Reich zurückgekehrt und sollte alsbald seine Residenz in Innsbruck aufschlagen. Nachdem er 1490 Herr von Tirol und Vorderösterreich geworden war, musste die Stadt damit rechnen, dass sich Maximilian zukünftig des Öfteren in seiner günstig gelegenen Reichsstadt Ravensburg aufhalten würde. Genau das trat bereits zwei Jahre später ein, genauso wie 1510 und 1515.
Hommage an Maximilian I.
Maximilian I., der den Beinamen „der letzte Ritter“trug, war dem Turnierwesen besonders zugetan. Eine Leidenschaft, der die beiden Ritter Rechnung trugen. Der spätere Kaiser bevorzugte beim Turnieren das so genannte Rennen, einen gefährlichen Reiterzweikampf mit Halbharnisch und scharfer Lanze – symbolisch dargestellt durch den linken Ritter auf dem Obertor.
Sein Kopf war mit einem sogenannten Schaller oder Rennhut geschützt, der im Gegensatz zum Helm kein Visier hatte. Der so im Rennzeug dastehende Ritter trägt ein Schild mit dem Wappen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und könnte laut Mitteilung des Stadtarchivs damit direkt auf den damaligen König Maximilian anspielen.
Der auf der rechten Seite dargestellt Ritter, der einen Stechhelm mit aufgeklapptem Visier trug, verkörpert hingegen den Vertreter des traditionellen Reiterzweikampfs mit stumpfer Waffe. Sein Schild zeigt das Wappen der Reichsstadt Ravensburg.
Restaurierung 1885
Da diese vier Meter hohen Ritter 1885 nur noch schemenhaft in Umrissen zu erkennen waren, riefen kunstsinnige Bürger ein Komitee ins Leben, das die Wiederherstellung dieser alten Malereien zum Ziel hatte.
Ein Münchner Künstler fertigte daraufhin nach einer fotografischen, hand-kolorierten Vorlage ein Ölbild an, das die rekonstruierten Rittergestalten darstellte. Dieses Ölbild wurde für Spendenzwecke im Schaufenster der Dorn´schen Buchhandlung ausgestellt. Heute befindet es sich im Fundus des Museums Humpisquartier. Nach dreiwöchiger Restaurierungsarbeit konnten die Kunstmalerwerkstätten Lessig und Ranzinger aus München im September 1885 die fertiggestellten Rittergestalten am Obertor in voller Schönheit präsentieren, während der Ravensburger Bildhauer Moriz Schlachter die mit einem Baldachin gekrönte Rankenmalerei um die Tür zwischen den beiden Figuren nach Befund instand gesetzt hatte. Doch die Restaurierung überlebte keine hundert Jahre.