Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Jahrhundertealte Tradition
Freilichttheater reicht in Weingarten 200 Jahre zurück – Mönche spielten schon viel länger
WEINGARTEN - Sie hatten es sich wahrlich nicht leicht gemacht, doch war die Entscheidung letztlich unausweichlich. Im Juni hat der Weingartener Gemeinderat die Klosterfestspiele aufgrund der hohen Kosten endgültig abgeschafft. Seitdem wird ein alternatives, kleines Sommertheater geprüft (die SZ berichtete). Leidenschaftlich hatten Oberbürgermeister Markus Ewald und sein Fachbereichsleiter Rainer Beck, in dessen Bereich auch die Kultur fällt, sich für den Erhalt einer kleinen Spielform eingesetzt. Dabei beriefen sich die beiden vor allem auf die lange Historie des Freilichttheaters in Weingarten. Denn was viele nicht wissen: Weingarten hat eine jahrhundertealte Tradition in Sachen Freilichttheater.
So reichen die ersten Nachweise von Vorformen des Theaterspiels bis ins 12. Jahrhundert zurück. Aus den Stundengebeten der Weingartener beziehungsweise Altdorfer Mönche am Ostermorgen, dem sogenannten Ostertropus, entwickelte sich die sogenannte Osterfeier. Die Auferstehung Jesu Christi soll szenisch dargestellt worden sein. Allerdings hatte diese Form noch wenig mit richtigen Theateraufführungen gemein. Das änderte sich auch in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht. Doch zumindest aus dem 16. Jahhrundert gibt es Aufzeichnungen der Äbte Gerweig Blarer (1520 bis 1567) und Johann Raittner (1575 bis 1590), die klösterliches Schauspiel in Altdorf belegen.
Salzburger Einflüsse
Im 17. Jahrhundert wurde das Altdorfer Theaterleben zunächst vom jesuitischen Schultheater, später vom Salzburger Benediktiner-Theater beeinflusst. Letzteres vor allem, weil die Weingartener Mönche nach Salzburg zum Studieren gingen und von dort ihre Erfahrungen vom blühenden Theater mit zurück nach Weingarten brachten. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert wurde Theater – weiterhin im kirchlichen Rahmen – vor allem zu festlichen Anlässen von Klosterschülern gespielt. Und obwohl diese barocke Form des Theaters seinerzeit doch prägend für das klösterliche Leben war, wurde keines der Stücke je wieder aufgeführt oder als Druck für die Nachwelt erhalten. Einzige Ausnahme ist „Adams und Evas Erschaffung“des Obermarchtaler Paters Sebastian Sailer, die vom Weingartener Pater Meingosus Gaelle (1752 bis 1816) vertont wurde.
Die volle Blüte entfaltete das Theaterspiel in Weingarten aber erst im 19. und 20. Jahrhundert. So entwickelte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch das Kloster ein reges Theaterleben, an dem auch die Bevölkerung mit großer Leidenschaft teilnahm. Die Kombination von einer Vielzahl an Laiendarstellern und professionellen Schauspielern bildet das erste nachgewiesene Theater in Weingarten außerhalb der kirchlichen Tradition. Dabei wurde auch immer der Bezug zu Fastnachtsspielen deutlich. So soll spätestens seit 1822 bei der Altdorfer Fasnet Theater gespielt worden sein. Spielorte waren Rathaus-, Schul- oder Hirschplatz (heute Münsterplatz) – und zwar bereits unter freiem Himmel. „Diese Form von Freilichttheater mit großer Kulisse war für die Region etwas Besonderes“, sagt Theaterexperte Reinhold Schmid.
Bürgerliches Theater
So ist eine Aufführung der „Welfensage“für den 6. Februar 1826 belegt. Galt das Stück anfangs noch als Fastnachtsbelustigung, wurde es in den folgenden Jahrzehnten auch unter dem Jahr gespielt. Als Gegenstück wurde im Frühjahr 1839 eine zweite Theatergruppe, die „Altdorfer Dramatische Gesellschaft“, gegründet. Ziel war es bürgerliches Theater auf die Bühne zu bringen. Ein ausgebildeter Schauspiel inszenierte fortan ausschließlich Unterhaltungsstücke, die von Laienschauspielern umgesetzt wurden – allerdings in geschlossenen Räumen. Ab dem Jahr 1862 wurden dann auch eigene Stücke entwickelt, wie beispielsweise eine dramatisierte Variante der Welfensage, die am Fastnachtsmontag 1862 gespielt wurde.
Vom Fastnachts- zum Heimatspiel
In den folgenden Jahrzehnten wurde das Stück immer wieder als Fastnachtsspiel unter freiem Himmel aufgeführt, letztmals im Jahr 1900 auf dem Hirschplatz vor dem damaligen Gasthof zum Hirschen. Heute sind in dem Gebäude am Münsterplatz die Tourist-Information und das städtische Kulturamt untergebracht. In der Folge wandelte sich das Fastnachtsspiel zum Heimatspiel. Das Theater wurde in den Sommer verlegt. Bei der ersten Aufführung – abermals die Welfensage in abgewandelter Form – im Jahr 1910 soll es fünf Aufzüge gegeben haben. Außerdem sollen 300 kostümierte Zuschauer durch die Stadt gezogen sein und am Geschehen teilgenommen haben.
15 000 Besucher bei 15 Aufführungen
Richtig aufwendig wurde es im Jahr 1925. Auf Initiative von Fritz Mattes und Josef Golling wurde ein Festkomitee gegründet, Schauspieler schlossen sich zu einem Heimatspielverein zusammen. In ganz Oberschwaben soll Werbung für das Großprojekt gemacht worden sein. So sollen auch 15 000 Besucher die 15 Aufführungen der 250 Laienschauspieler gesehen haben. Abermals und bis heute letztmals wurde eine dramatisierte Fassung der Welfensage von Eduard Eggert gespielt, der alle Motive der Grimm’schen Fassung nutzte und großen Wert auf eine historische Dimension legte.
Burgtor an der Münsterplatztreppe
Daher bauten Bühnenbildner extra ein Burgtor am unteren Absatz der Treppe am Münsterplatz. An den Seiten wurde die Bühne mit Mauerwerk und zwei weiteren Toren begrenzt und das Pfarrhaus wurde mit in das Spiel einbezogen. Passend dazu entwarf die Weingartener Kunstmalerin Maria Eberhard prächtige historische Kostüme. „Das ist schon etwas Außergewöhnliches“, sagt Schmid und spricht von einer „Ausnahmestellung in Oberschwaben. Vergleichbare Produktionen sind mir nicht bekannt.“
Und auch in Weingarten wurde diese Variante von Eggert in den Folgejahren nicht mehr aufgeführt. Finanzielle Schwierigkeiten waren ausschlaggebend. Doch fünf Jahre später gab es erneut ein eindrucksvolles Schauspiel. Die berühmte „Vox humana“als „Mysterienspiel in vier Aufzügen“von Karl Weinberger wurde am 6. Juli 1930 vor der Basilika mit 200 Schauspielern des Heimatspielvereins uraufgeführt. Für das dreistündige Stück wurde in ganz Oberschwaben geworben. Karten kosteten zwischen 1,50 und 4,50 Reichsmark. Bei der Inszenierung wurde auch die Gabler-Orgel mit in das Spiel einbezogen und erklang elf Mal. Im Oberschwäbischen Anzeiger soll damals gestanden haben: „Was das Bedeutsamste ist, die Zuschauer gehen mit ergriffener Seele und glänzenden Augen heimwärts.“
NSDAP zensiert
Als das Stück sieben Jahre später – 1937 – erneut aufgeführt werden sollte, gab die NSDAP nur eine stark abgewandelte, stark ideologische Fassung unter dem Namen „Das Geheimnis der Münsterorgel“frei. Über die Folgejahre unter NS-Herrschaft und während des Zweiten Weltkrieges ist nicht viel über Theaterspiele in Weingarten auffindbar. Erst ab 1949 begann eine sogenannte Laienschauspielgruppe Lustspiele oder Komödien – allerdings vornehmlich in verschiedenen Sälen der Stadt – aufzuführen. Im Jahr 1956 wurde dann anlässlich des 900-jährigen Bestehens der Benediktinerabtei das Stück „Das Welttheater Luzifer – Ein Spiel von heute und morgen“von Franz Johannes Weinrich gespielt – das letzte Freilichttheater für 44 Jahre.
Tradition wieder aufgenommen
Denn erst im Jahr 2000 wurde die Tradition der Freiluftspiele wieder aufgenommen. Zur Premiere der Klosterfestspiele wurde Hugo von Hoffmannstals „Jedermann“auf dem Basilikavorplatz in der Inszenierung von Johannes Soppa gespielt. 2004 zog man in den Klosterinnenhof, wo unter anderem „Nathan“, „Der zerbrochene Krug“oder „Was ihr wollt“aufgeführt wurde. Dabei inszenierte bis ins Jahr 2011 Grimme-Preisträger Klaus Wagner. Für die Folgejahre konnte Christof Küster verpflichtet werden, der Klassiker der Moderne wie „Die Physiker“, „Der Hauptmann von Köpenick“oder „Amadeus“nach Weingarten brachte.
Doch das jährliche Defizit bekam im Zuge der 14-Nothelfer-Krise immer mehr Gewicht. Nachdem die Diözese Rottenburg-Stuttgart nach der Spielzeit 2014 auch nicht mehr bereit war, den Klosterhof als Spielort zur Verfügung zu stellen, standen die Klosterfestspiele erstmals vor dem Aus. So gab es im Jahr 2015 dann auch die erste Zwangspause. Es fehlte an Geld und einem neuem Spielort. Im Jahr 2016 konnten die Festspiele dann – auch durch einen Zuschuss in Höhe von 45 000 Euro vom Land – erstmals im Hofgut Nessenreben aufgeführt werden.
Hoffen auf ein Sommertheater
Doch jährliche Zuschüsse von 100 000 Euro, und dieser bedurfte es in der Vergangenheit, kann sich die Stadt Weingarten angesichts strikter Sparauflagen vom Regierungspräsidium Tübingen künftig nicht mehr leisten. Daher strich der Gemeinderat die Klosterfestspiele im Juni 2017 – und alle Theaterfreunde, wie Reinhold Schmid, hoffen nun, „dass zumindest ein Teil dieser Tradition durch eine kleine Produktion gerettet wird. Das wäre wünschenswert“. 1937 wurde „Das Geheimnis der Münsterorgel“stark zensiert gespielt. Für die „Vox humana“wurde in ganz Oberschwaben geworben. Karten kosteten zwischen 1,50 und 4,50 Reichsmark. Als Dauer waren jeweils drei Stunden angesetzt.