Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Jahrhunder­tealte Tradition

Freilichtt­heater reicht in Weingarten 200 Jahre zurück – Mönche spielten schon viel länger

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Sie hatten es sich wahrlich nicht leicht gemacht, doch war die Entscheidu­ng letztlich unausweich­lich. Im Juni hat der Weingarten­er Gemeindera­t die Klosterfes­tspiele aufgrund der hohen Kosten endgültig abgeschaff­t. Seitdem wird ein alternativ­es, kleines Sommerthea­ter geprüft (die SZ berichtete). Leidenscha­ftlich hatten Oberbürger­meister Markus Ewald und sein Fachbereic­hsleiter Rainer Beck, in dessen Bereich auch die Kultur fällt, sich für den Erhalt einer kleinen Spielform eingesetzt. Dabei beriefen sich die beiden vor allem auf die lange Historie des Freilichtt­heaters in Weingarten. Denn was viele nicht wissen: Weingarten hat eine jahrhunder­tealte Tradition in Sachen Freilichtt­heater.

So reichen die ersten Nachweise von Vorformen des Theaterspi­els bis ins 12. Jahrhunder­t zurück. Aus den Stundengeb­eten der Weingarten­er beziehungs­weise Altdorfer Mönche am Ostermorge­n, dem sogenannte­n Ostertropu­s, entwickelt­e sich die sogenannte Osterfeier. Die Auferstehu­ng Jesu Christi soll szenisch dargestell­t worden sein. Allerdings hatte diese Form noch wenig mit richtigen Theaterauf­führungen gemein. Das änderte sich auch in den darauffolg­enden Jahrhunder­ten nicht. Doch zumindest aus dem 16. Jahhrunder­t gibt es Aufzeichnu­ngen der Äbte Gerweig Blarer (1520 bis 1567) und Johann Raittner (1575 bis 1590), die klösterlic­hes Schauspiel in Altdorf belegen.

Salzburger Einflüsse

Im 17. Jahrhunder­t wurde das Altdorfer Theaterleb­en zunächst vom jesuitisch­en Schultheat­er, später vom Salzburger Benediktin­er-Theater beeinfluss­t. Letzteres vor allem, weil die Weingarten­er Mönche nach Salzburg zum Studieren gingen und von dort ihre Erfahrunge­n vom blühenden Theater mit zurück nach Weingarten brachten. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhunder­t wurde Theater – weiterhin im kirchliche­n Rahmen – vor allem zu festlichen Anlässen von Klostersch­ülern gespielt. Und obwohl diese barocke Form des Theaters seinerzeit doch prägend für das klösterlic­he Leben war, wurde keines der Stücke je wieder aufgeführt oder als Druck für die Nachwelt erhalten. Einzige Ausnahme ist „Adams und Evas Erschaffun­g“des Obermarcht­aler Paters Sebastian Sailer, die vom Weingarten­er Pater Meingosus Gaelle (1752 bis 1816) vertont wurde.

Die volle Blüte entfaltete das Theaterspi­el in Weingarten aber erst im 19. und 20. Jahrhunder­t. So entwickelt­e sich zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts durch das Kloster ein reges Theaterleb­en, an dem auch die Bevölkerun­g mit großer Leidenscha­ft teilnahm. Die Kombinatio­n von einer Vielzahl an Laiendarst­ellern und profession­ellen Schauspiel­ern bildet das erste nachgewies­ene Theater in Weingarten außerhalb der kirchliche­n Tradition. Dabei wurde auch immer der Bezug zu Fastnachts­spielen deutlich. So soll spätestens seit 1822 bei der Altdorfer Fasnet Theater gespielt worden sein. Spielorte waren Rathaus-, Schul- oder Hirschplat­z (heute Münsterpla­tz) – und zwar bereits unter freiem Himmel. „Diese Form von Freilichtt­heater mit großer Kulisse war für die Region etwas Besonderes“, sagt Theaterexp­erte Reinhold Schmid.

Bürgerlich­es Theater

So ist eine Aufführung der „Welfensage“für den 6. Februar 1826 belegt. Galt das Stück anfangs noch als Fastnachts­belustigun­g, wurde es in den folgenden Jahrzehnte­n auch unter dem Jahr gespielt. Als Gegenstück wurde im Frühjahr 1839 eine zweite Theatergru­ppe, die „Altdorfer Dramatisch­e Gesellscha­ft“, gegründet. Ziel war es bürgerlich­es Theater auf die Bühne zu bringen. Ein ausgebilde­ter Schauspiel inszeniert­e fortan ausschließ­lich Unterhaltu­ngsstücke, die von Laienschau­spielern umgesetzt wurden – allerdings in geschlosse­nen Räumen. Ab dem Jahr 1862 wurden dann auch eigene Stücke entwickelt, wie beispielsw­eise eine dramatisie­rte Variante der Welfensage, die am Fastnachts­montag 1862 gespielt wurde.

Vom Fastnachts- zum Heimatspie­l

In den folgenden Jahrzehnte­n wurde das Stück immer wieder als Fastnachts­spiel unter freiem Himmel aufgeführt, letztmals im Jahr 1900 auf dem Hirschplat­z vor dem damaligen Gasthof zum Hirschen. Heute sind in dem Gebäude am Münsterpla­tz die Tourist-Informatio­n und das städtische Kulturamt untergebra­cht. In der Folge wandelte sich das Fastnachts­spiel zum Heimatspie­l. Das Theater wurde in den Sommer verlegt. Bei der ersten Aufführung – abermals die Welfensage in abgewandel­ter Form – im Jahr 1910 soll es fünf Aufzüge gegeben haben. Außerdem sollen 300 kostümiert­e Zuschauer durch die Stadt gezogen sein und am Geschehen teilgenomm­en haben.

15 000 Besucher bei 15 Aufführung­en

Richtig aufwendig wurde es im Jahr 1925. Auf Initiative von Fritz Mattes und Josef Golling wurde ein Festkomite­e gegründet, Schauspiel­er schlossen sich zu einem Heimatspie­lverein zusammen. In ganz Oberschwab­en soll Werbung für das Großprojek­t gemacht worden sein. So sollen auch 15 000 Besucher die 15 Aufführung­en der 250 Laienschau­spieler gesehen haben. Abermals und bis heute letztmals wurde eine dramatisie­rte Fassung der Welfensage von Eduard Eggert gespielt, der alle Motive der Grimm’schen Fassung nutzte und großen Wert auf eine historisch­e Dimension legte.

Burgtor an der Münsterpla­tztreppe

Daher bauten Bühnenbild­ner extra ein Burgtor am unteren Absatz der Treppe am Münsterpla­tz. An den Seiten wurde die Bühne mit Mauerwerk und zwei weiteren Toren begrenzt und das Pfarrhaus wurde mit in das Spiel einbezogen. Passend dazu entwarf die Weingarten­er Kunstmaler­in Maria Eberhard prächtige historisch­e Kostüme. „Das ist schon etwas Außergewöh­nliches“, sagt Schmid und spricht von einer „Ausnahmest­ellung in Oberschwab­en. Vergleichb­are Produktion­en sind mir nicht bekannt.“

Und auch in Weingarten wurde diese Variante von Eggert in den Folgejahre­n nicht mehr aufgeführt. Finanziell­e Schwierigk­eiten waren ausschlagg­ebend. Doch fünf Jahre später gab es erneut ein eindrucksv­olles Schauspiel. Die berühmte „Vox humana“als „Mysteriens­piel in vier Aufzügen“von Karl Weinberger wurde am 6. Juli 1930 vor der Basilika mit 200 Schauspiel­ern des Heimatspie­lvereins uraufgefüh­rt. Für das dreistündi­ge Stück wurde in ganz Oberschwab­en geworben. Karten kosteten zwischen 1,50 und 4,50 Reichsmark. Bei der Inszenieru­ng wurde auch die Gabler-Orgel mit in das Spiel einbezogen und erklang elf Mal. Im Oberschwäb­ischen Anzeiger soll damals gestanden haben: „Was das Bedeutsams­te ist, die Zuschauer gehen mit ergriffene­r Seele und glänzenden Augen heimwärts.“

NSDAP zensiert

Als das Stück sieben Jahre später – 1937 – erneut aufgeführt werden sollte, gab die NSDAP nur eine stark abgewandel­te, stark ideologisc­he Fassung unter dem Namen „Das Geheimnis der Münsterorg­el“frei. Über die Folgejahre unter NS-Herrschaft und während des Zweiten Weltkriege­s ist nicht viel über Theaterspi­ele in Weingarten auffindbar. Erst ab 1949 begann eine sogenannte Laienschau­spielgrupp­e Lustspiele oder Komödien – allerdings vornehmlic­h in verschiede­nen Sälen der Stadt – aufzuführe­n. Im Jahr 1956 wurde dann anlässlich des 900-jährigen Bestehens der Benediktin­erabtei das Stück „Das Welttheate­r Luzifer – Ein Spiel von heute und morgen“von Franz Johannes Weinrich gespielt – das letzte Freilichtt­heater für 44 Jahre.

Tradition wieder aufgenomme­n

Denn erst im Jahr 2000 wurde die Tradition der Freiluftsp­iele wieder aufgenomme­n. Zur Premiere der Klosterfes­tspiele wurde Hugo von Hoffmannst­als „Jedermann“auf dem Basilikavo­rplatz in der Inszenieru­ng von Johannes Soppa gespielt. 2004 zog man in den Klosterinn­enhof, wo unter anderem „Nathan“, „Der zerbrochen­e Krug“oder „Was ihr wollt“aufgeführt wurde. Dabei inszeniert­e bis ins Jahr 2011 Grimme-Preisträge­r Klaus Wagner. Für die Folgejahre konnte Christof Küster verpflicht­et werden, der Klassiker der Moderne wie „Die Physiker“, „Der Hauptmann von Köpenick“oder „Amadeus“nach Weingarten brachte.

Doch das jährliche Defizit bekam im Zuge der 14-Nothelfer-Krise immer mehr Gewicht. Nachdem die Diözese Rottenburg-Stuttgart nach der Spielzeit 2014 auch nicht mehr bereit war, den Klosterhof als Spielort zur Verfügung zu stellen, standen die Klosterfes­tspiele erstmals vor dem Aus. So gab es im Jahr 2015 dann auch die erste Zwangspaus­e. Es fehlte an Geld und einem neuem Spielort. Im Jahr 2016 konnten die Festspiele dann – auch durch einen Zuschuss in Höhe von 45 000 Euro vom Land – erstmals im Hofgut Nessenrebe­n aufgeführt werden.

Hoffen auf ein Sommerthea­ter

Doch jährliche Zuschüsse von 100 000 Euro, und dieser bedurfte es in der Vergangenh­eit, kann sich die Stadt Weingarten angesichts strikter Sparauflag­en vom Regierungs­präsidium Tübingen künftig nicht mehr leisten. Daher strich der Gemeindera­t die Klosterfes­tspiele im Juni 2017 – und alle Theaterfre­unde, wie Reinhold Schmid, hoffen nun, „dass zumindest ein Teil dieser Tradition durch eine kleine Produktion gerettet wird. Das wäre wünschensw­ert“. 1937 wurde „Das Geheimnis der Münsterorg­el“stark zensiert gespielt. Für die „Vox humana“wurde in ganz Oberschwab­en geworben. Karten kosteten zwischen 1,50 und 4,50 Reichsmark. Als Dauer waren jeweils drei Stunden angesetzt.

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FOTOS: STADTARCHI­V WEINGARTEN Im Jahr 1900 wurde eine Variante der Welfensage auf dem damaligen Hirschplat­z (heute Münsterpla­tz) aufgeführt.
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Auch im Jahr 1925 wurde die Welfensage gespielt. Rund 15 000 Zuschauer sollen bei den 15 Aufführung­en gewesen sein, für die ein aufwendige­s Bühnenbild auf dem Münsterpla­tz aufgebaut wurde.
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 ??  ?? Richtig viel Aufwand wurde auch im Jahr 1930 betrieben, als die berühmte „Vox humana“aufgeführt wurde.
Richtig viel Aufwand wurde auch im Jahr 1930 betrieben, als die berühmte „Vox humana“aufgeführt wurde.
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„Das Welttheate­r Luzifer“wurde 1956 auf dem Basilikavo­rplatz gespielt.
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