Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ticket nach Berlin
Aus dem Wahlkreis Ravensburg haben drei Kandidaten sehr gute Chancen, in den Bundestag zu kommen
RAVENSBURG - Noch ein Monat bis zur Bundestagswahl. Zwischen elf Direktkandidaten können sich die Menschen im Wahlkreis 294 (Ravensburg) am Sonntag, 24. September, entscheiden. Doch wer von ihnen hat eine echte Chance, ins Parlament zu ziehen?
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat immer die CDU das Direktmandat im Wahlkreis Ravensburg gewonnen, der freilich durch zahlreiche Reformen öfters neu zugeschnitten wurde. Ein Automatismus muss das aber nicht sein, wie man bei der jüngsten Landtagswahl im Jahr 2016 gesehen hat: Manfred Lucha (Grüne) überholte den CDU-Kandidaten August Schuler, der nur über ein Ausgleichsmandat in den Landtag zog. Eine Sensation, galt Oberschwaben mit seiner ländlichen Bevölkerung doch als traditionell schwarz. Wobei der Landtagswahlkreis Ravensburg nur die urbanere Schussentalregion umfasst – ohne die Allgäugemeinden.
Könnte dem CDU-Bundestagskandidaten Axel Müller das Gleiche passieren gegen Agnieszka Brugger, die seit acht Jahren für die Grünen im Bundestag sitzt und als Außen- und Sicherheitsexpertin ihrer Partei sehr präsent in den Medien ist? Nach aktuellen Umfrageergebnissen, bei denen die Grünen bundesweit eher ein einstelliges Ergebnis um die acht Prozent erzielen, ist das unwahrscheinlich. „Aber die Demoskopie hat nicht immer recht“, spielt Axel Müller auf Meinungsumfragen zu Wahlen in anderen Ländern wie den USA an, die ein völlig falsches Ergebnis vorhergesagt hatten. „Bis zur Wahl kann noch viel passieren, aber solange der Rückenwind aus Berlin anhält, bin ich optimistisch“, sagt Müller. Sollte er das Direktmandat nicht gewinnen, wäre das ein herber Verlust: Über die Landesliste ist Müller nämlich nicht abgesichert. Die spielt bei der CDU, eben weil sie in Baden-Württemberg immer die meisten Direktmandate holt – bei der Wahl 2013 sogar alle 38 – ohnehin keine so große Rolle wie bei den anderen Parteien.
2013 schnitt die CDU in BadenWürttemberg mit 45,7 Prozent der Zweitstimmen aber sehr gut ab, sodass zu den 38 Direktmandaten noch fünf Christdemokraten über die Landesliste einzogen. Weitere CDU-Bewerber aus dem Landkreis Ravensburg, der 36-jährige Christian Natterer aus Wangen und der amtierende Bundestagsabgeordnete Waldemar Westermayer (64) aus Leutkirch, stehen auf den Plätzen neun und 14 der aktuellen Landesliste. Dass Natterer direkt ins Parlament zieht, ist gar nicht so abwegig. Denn alle Kandidaten auf den vorderen acht Plätzen mit Ausnahme von Nina Warken haben einen eigenen Wahlkreis. Wenn sie das Direktmandat holen, brauchen sie den Landeslistenplatz nicht mehr. Sollten nur zwei Christdemokraten zusätzlich über die Landesliste hereinkommen, wäre Natterer dabei. Dafür müsste die CDU aber wieder auf ein ähnlich gutes Ergebnis wie 2013 kommen. Bei den Wahlen davor hatte die Landesliste nie gezogen, weshalb Natterer seine Chance, direkt am Wahltag in den Bundestag zu kommen, bei unter 50 Prozent sieht.
Der Wiedereinzug von Waldemar Westermayer ins Parlament auf Platz 14 der Landesliste ist extrem unwahrscheinlich. Natterer und Westermayer würden jedoch, wenn im Laufe der nächsten Legislaturperiode Christdemokraten aus Baden-Württemberg ausscheiden, mit der Zeit nachrücken können.
Vor acht Jahren war sie noch die jüngste Abgeordnete im Parlament, mittlerweile hat sich Agnieszka Brugger vor allem als Außen- und Sicherheitsexpertin der Grünen profiliert. Auf Platz fünf der Landesliste dürfte sie den Wiedereinzug ins Parlament locker schaffen. „Man sollte nie davon ausgehen, dass man auf jeden Fall wieder Abgeordnete wird, bevor die Bürgerinnen und Bürger gewählt haben. Ich freue mich aber sehr, dass mich die Grünen in BadenWürttemberg erneut auf den sehr aussichtsreichen fünften Platz der Landesliste gewählt haben“, so Brugger.
32 Stimmen fehlten dem Liberalen Benjamin Strasser aus Berg bei der Landtagswahl 2016, um Abgeordneter zu werden. Der Rechtsanwalt mit denn sie entscheidet über die tatsächliche Zusammensetzung des Deutschen Bundestags. Anhand der proportionalen Verteilung werden die Sitze im Parlament an die Parteien über die jeweiligen Landeslisten vergeben. Ein guter Platz auf der Landesliste ist also entscheidend für den Einzug eines Kandidaten ins Parlament. Schwerpunkt Arbeitsrecht ist aber optimistisch, dass es diesmal klappt, denn die FDP erfreut sich derzeit guter Umfragewerte und wird den Wiedereinzug ins Parlament voraussichtlich schaffen. Die Freidemokraten liegen momentan vor den Grünen bei zehn Prozent. „Wenn wir sechseinhalb bis sieben Prozent schaffen, bin ich drin“, hat Strasser ausgerechnet. Er steht auf Platz acht der Landesliste. Und in ihrem Stammland BadenWürttemberg haben die Liberalen meist bessere Werte als im Bundesdurchschnitt.
SPD hat’s in Ravensburg schwer
Heike Engelhardt ist im Grunde chancenlos, denn Platz 31 der SPDLandesliste reicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht für ein Bundestagsmandat. Die Sozialdemokratin müsste schon das Direkmandat holen. Bei den letzten Bundestagswahlen schnitt der Ravensburger SPD-Kandidat Hannes Hat eine Partei bei den Erststimmen mehr Mandate gewonnen, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht bei den Zweitstimmen zustehen würden, werden diese Überhangmandate durch Ausgleichsmandate bei den anderen Parteien ausgeglichen. Deshalb sitzen im Bundestag regelmäßig mehr als 598 Abgeordnete. (vin) Munzinger mit 20 Prozent zwar als Zweitbester ab, CDU-Kandidat Andreas Schockenhoff, der ein Jahr später gestorben ist, holte allerdings 50 Prozent. Bei den letzten Landtagswahlen 2016 bekam Engelhardt, die als Pressesprecherin des ZfP Südwürttemberg arbeitet, nur 8,5 Prozent der Stimmen.
Alle anderen Direktkandidaten im Wahlkreis Ravensburg haben keine realistische Chance, in den Bundestag zu kommen. Helmut Dietz (AfD) steht nämlich nicht auf der Landesliste seiner Partei, die gelernte Kinderpflegerin und Studentin Jasmin Runge (Linke) ebenfalls nicht.
Zudem gibt es im Kreis Ravensburg noch einen unabhängigen Kandidaten (Stefan Weinert aus Ravensburg) und Bewerber der sogenannten „Sonstigen Parteien“, die noch nie im Bundestag vertreten waren: KarlHeinz-Pauli aus Ravensburg für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), Klaus Wirthwein aus Achberg für die Freien Wähler, Thomas Bergmann aus Bad Waldsee für die Ökologisch-Demokratische Partei/Familie und Umwelt (ÖDP) und Sylvia Makowski für die „Menschliche Welt – für das Wohl und Glücklich-Sein aller“. Ab Samstag porträtieren wir an dieser Stelle die Direktkandidaten der Parteien aus dem Wahlkreis Ravensburg.