Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Draghi zeigt sich in Plauderlaune
Hohe Sicherheitsvorkehrungen zum Auftakt der Nobelpreisträgertagung der Wirtschaftswissenschaftler
LINDAU - Mit großem Polizeiaufgebot hat am Dienstagmorgen offiziell die Tagung der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften begonnen. Umfangreiche Kräfte haben die Veranstaltung im Stadttheater gesichert, zu der neben Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, auch andere Prominente aus Politik und Wirtschaft nach Lindau gekommen waren.
Die Architekten an der Kalkhütte haben einen Logenplatz. Die breite Fensterfront gewährt ihnen freie Sicht aufs Stadttheater. So sehen sie gegen halb neun die Laureaten und die Studenten, die vorfahren, aber auch jede Menge Polizisten – in grüner, in blauer Uniform oder aber in Zivil vom Schreibtisch aus. Über der Insel kreist ein Hubschrauber. Walkie-Talkies spucken den Sicherheitskräften ständig neue Meldungen aus. Alle warten auf ihn: Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, der in wenigen Minuten die Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften im Stadttheater eröffnen soll.
Als das Auto mit Draghi kommt, muss alles ganz schnell gehen
Journalisten nutzen die Zeit für erste Fernsehinterviews. Sabine Göttler, Chefin der Lindauer Polizei, steht vor dem Stadttheater. Sie hat noch Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Eberhard Rotter und anderen Gästen. Das Rote Kreuz steht mit seinen Rettungskräften bereit. Immer mehr Studenten und Journalisten kommen, um sich zu akkreditieren. Taschen werden durchsucht, Kameras geprüft. Erst dann gibt es den Bändel, der sie als Tagungsmitglieder ausweist.
Die üblichen Sicherheitsvorkehrungen.
Wobei Polizeisprecher
Jürgen Krautwald einräumt, dass die Anforderungen nochmals höher sind als bei früheren Tagungen, bei denen mit Kanzlerin Angela Merkel oder den Bundespräsidenten Joachim Gauck oder Christian Wulff ebenfalls hochrangige Gäste in Lindau waren. Das liege aber nicht daran, dass die Polizei ernsthafte Hinweise auf geplante Vorfälle in Lindau hatte. Krautwald erklärt das vielmehr mit der insgesamt veränderten Sicherheitslage in Deutschland, Europa und der Welt. Sprich: Die Polizei ist nach verschiedenen Anschlägen vorsichtiger als früher.
Die Architekten stehen nun vor ihrem Büro – vermutlich, weil ihnen andere Leute die Sicht versperren. Bewaffnet mit einem Latte Macchiato und einem Espresso warten sie auf das, was kommen mag. Sie plaudern auch mit den Polizisten und bieten ihnen einen Kaffee an. Doch die lehnen dankend ab. Die Lage ist entspannt. Kurze Aufregung herrscht, als ein Besucher vor dem Eingang des Stadttheaters stolpert und aufs Gesicht fällt. Sofort ist Hilfe zur Stelle, aber zum Glück ist nichts passiert.
8.45 Uhr: Inzwischen ist der Bereich ums Stadttheater großräumig abgesperrt. Die Fischergasse ist gesperrt. Überall stehen Polizisten und Polizeiautos.Wer jetzt raus will, muss sich gedulden. Da hilft auch kein Verhandeln mit den Beamten. Nur wer einen Bändel um den Hals hat, darf den Bereich um das Stadttheater passieren. Dann kommt die Meldung, die Bewegung in die Polizisten bringt: „Das Auto hat die Heidenmauer passiert“. Jetzt geht alles sehr schnell: Drei Polizeimotorräder fahren mit hoher Geschwindigkeit vors Stadttheater, gefolgt von zwei Polizeiautos und dem Mercedes, in dem Draghi sitzt. Türen werden geöffnet, Mario Draghi steigt schnell aus und eilt ins Stadttheater.
Als ein Passant seinen Namen ruft, dreht er sich für einen Moment um. Der hat aber wenig schmeichelhaftes für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank: „Shame on you“ruft er. Draghi winkt und geht ins Theater.
Unterdessen nimmt sich die Polizei den Kritiker vor: Nachdem sie seine Personalien erfasst hatte, begleiteten ihn Beamte hinter die Absperrung. „Wir haben ihm einen Platzverweis für die Dauer der Veranstaltung erteilt“, sagte einer der Beamten. Im Stadttheater ist alles völlig entspannt. Anders als frühere Ehrengäste nimmt Draghi schon zehn Minuten vor Beginn Platz und plaudert mit Bettina Gräfin Bernadotte und Professor Martin Hellwig, der einer der Tagungsleiter ist. Auch nach der Feier nimmt sich Draghi Zeit und muss nicht gleich zum Auto und weiter zum nächsten Termin. Im Foyer steht er mit Gräfin Bernadotte und einer Tasse Kaffee dicht umdrängt von jungen Tagungsteilnehmern und Journalisten und beantwortet Fragen. Anschließend hat er sich noch einen Vortrag angehört, bevor er Lindau erst mittags verlassen hat.
Und sein Vortrag hat Eindruck gemacht, wie Thomas Munding der SZ bestätigt, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Memmingen-Lindau-Mindelheim. In „brillanter Art“habe Draghi die Aktivitäten der Europäischen Zentralbank erläutert. Das sei alles ökonomisch fundiert und zumindest für Fachleute sehr nachvollziehbar gewesen, zudem habe Draghi verständlich gemacht, warum die EZB aus seiner Sicht nicht anders handeln konnte, „auch wenn man als Sparer sich manches anders wünschen und sich in Teilen eine andere Geldpolitik wünschen würde“.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind größer als bei ähnlichen Anlässen früher üblich.
Einen Bericht über die Rede von EZB-Präsident Mario Draghi lesen Sie heute im Wirtschaftsteil. Den ganzen Redetext finden Sie im Internet unter
http://bit.ly/2xrKa6p