Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Badstuber, Kopfballgott
Der starke Neuzugang aus Rot an der Rot führt den VfB zum ersehnten Heimsieg
STUTTGART - Vor etwa zwanzig Jahren gelangen Holger Badstuber beim 38:0 der E-Jugend des TSV Rot/Rot gegen den SV Tannheim einmal 18 Tore. Sein Vater Hermann, der Trainer, hatte also alles richtig gemacht mit seiner Aufstellung. Im Leben als Profi wäre Badstuber, Neuzugang des VfB Stuttgart, über 18 Tore in zehn Jahren Karriere mehr als glücklich gewesen. Nur ein Trefferchen glückte ihm in den 130 Bundesligaspielen bis zum Samstag, vor acht Jahren einmal, bei einem 1:1 der Bayern in Gladbach. Dann aber, um 16.41 Uhr, segelte ein Eckball von Dennis Aogo an den Fünfmeterraum. Badstuber blockte mit seinen 1,90 Metern den hinter ihm drängelnden Fabian Frei ab, dann wuchtete er den Ball mit einer Urgewalt ins Tor, dass nicht nur das Netz, sondern auch das Stadion zu erbeben schien. Badstuber lief die fünf Meter vor die Cannstatter Kurve und boxte mit seinen Fäusten in die Luft, als sei er Muhammad Ali. Da schien ein halbes Zentralmassiv von seinen Schultern zu fallen.
Vierzig Minuten später hatte der Aufsteiger sein erstes BundesligaHeimspiel seit 476 Tagen mit dem ersehnten 1:0 gegen Mainz beendet. Badstuber, der offenbar vom Münchner Fußballgott, wie ihn die dortigen Fans nannten, zum Stuttgarter Kopfballgott mutiert ist, war also der Vater des Sieges. Eines sehr verdienten übrigens. Zwar hatte der FSV zwei dicke Chancen (die letzte zwei Minuten vor Schluss), die VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler famos parierte. Stuttgart allerdings war bissiger, zielstrebiger, gewann viel mehr Zweikämpfe (59 Prozent) und tat auch mehr fürs Spiel – dies alles, obwohl Trainer Hannes Wolf die Elf mächtig umgekrempelt und ihr ein ungewohntes 3-4-2-1-System verpasst hatte. Badstuber gab im Konzert mit den Co-Innenverteidigern Timo Baumgartl (rechts) und Marcin Kaminski (links) den tadellosen Abwehrchef. Nicht einen Zweikampf verlor der 28-Jährige. Dass das Publikum verwundert raunte, als ihm einmal ein Querpass missglückte und weit ins Aus flog, zeigt, welches Image dem Oberschwaben in Stuttgart vorauseilt – das des Perfektionisten nämlich.
Tatsächlich wollte sich Badstuber nach seinem Traum-Einstand nicht zum Helden machen lassen, er blieb gewohnt ernst. Sein Zweikampfwert von 100 Prozent sei „ja okay, aber es kommt immer drauf an, was man da mitzählt“. Sein Tor („Innenverteidiger schießen halt nicht so viele“) sei schön gewesen, räumte er ein, „da sind die Gefühle natürlich hochgekommen“. „Die Prozentfrage“– wieviel Prozent noch zu seiner Topform fehlen – fand Badstuber eher unspannend. „Bitte nicht die Frage schon wieder“, sagte er lächelnd. „Ich fühle mich körperlich gut und fit, das ist das Wichtigste, der Rest wird mit dem Training kommen. Ich habe mich zwar im Sommer selbst fit gehalten, aber Mannschaftstraining ist durch nichts zu ersetzen.“Wichtig sei, hart und in Ruhe weiterzuarbeiten, das gelte auch für „unsere vielen jungen Spieler – das ist jetzt Bundesliga, da ist eine andere Härte, eine andere Intensität“. Dass man am Ende fast noch den Ausgleich kassiert habe und manche Situation überhastet und nicht klar zu Ende gespielt habe, dürfe nicht sein, fand Badstuber, nahm sich und die anderen Routiniers dabei allerdings in die Pflicht. „Wir haben die Verantwortung, die Jungen zu führen und zu entlasten, Dennis Aogo, Christian Gentner und ich.“
„Es geht um Qualität“
Dass Aogo und Badstuber, die Last-Minute-Neuzugänge, nach ihrer monatelangen Pause ohne Trainingslager überhaupt in der Startelf standen, begründetet Wolf mit ihrer Einstellung. „Das geht nur, weil beide im Vorfeld individuell so gut gearbeitet haben.“Der Trainer distanzierte sich übrigens vom Begriff Erfahrung: „Holger hat eine große Ernsthaftigkeit“, sagte er. „Das auf Erfahrung zu reduzieren, ist zu billig. Es geht um Qualität.“
Die hat Badstuber, der WM-Dritte von 2010 und 31-malige Nationalspieler, zweifellos. Auch Manager Michael Reschke, sein langjähriger Weggefährte beim FC Bayern, war voll des Lobes. „Ein fitter Holger Badstuber ist ein Bundesligaspitzenspieler. Ich freue mich wahnsinnig für diesen tollen Typen. Ich habe seinen Leidensweg ja in den letzten drei Jahren aus der Nähe mitverfolgen müssen.“
Die 1281 Tage, die Badstuber offiziell in den letzten sieben Jahren verletzt war, werden ihn in den nächsten Monaten wohl noch verfolgen. Auch am Samstag. Einmal hatte sich Badstuber, seit einem Jahr verletzungsfrei, kurz ans Knie gegriffen, schon wurde er darauf angesprochen.
Und kaum schießt er mal ein Tor, wurde er noch darauf angesprochen, ob er nicht auch den Elfmeter schießen hätte wollen, den der selbst gefoulte Simon Terodde nach 80 Minuten an den Pfosten setzte. Badstuber lächelte nur: „Der Simon wird schon wieder treffen.“Der Holger auch, die Frage ist nur, wann.