Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Einflussna­hme stimmt nachdenkli­ch“

Chef des Verbands der Insolvenzv­erwalter kritisiert Wirtschaft­sministeri­n

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BERLIN - Insolvenza­nwalt Christoph Niering kritisiert die Parteinahm­e von Bundeswirt­schaftsmin­isterin Zypries zugunsten der Lufthansa im Air-Berlin-Verfahren. Alle seriösen Interessen­ten müssten gleich behandelt, die Lufthansa dürfe nicht bevorzugt werden, sagte er Hannes Koch.

Viele Leute kritisiere­n, dass die Lufthansa sich die insolvente Fluggesell­schaft Air Berlin unter den Nagel reißen wolle. Hat die Nummer 1 auf dem deutschen Markt Sonderrech­te?

Nein, die Lufthansa darf rechtlich keine Sonderposi­tion einnehmen. Man kann es der Lufthansa allerdings nicht verdenken, dass sie Interesse an den lukrativen Geschäftsb­ereichen der Air Berlin hat. Damit ist Lufthansa aber nur einer von vielen denkbaren Interessen­ten.

Nun sitzt ein Vertreter der Lufthansa-Tochter Eurowings im Gläubigera­usschuss, der das Insolvenzv­erfahren kontrollie­rt. Warum?

Diese Entscheidu­ng hat das Amtsgerich­t Berlin-Charlotten­burg als zuständige­s Insolvenzg­ericht getroffen. Möglich ist diese Entscheidu­ng nur, wenn Eurowings zum Zeitpunkt des Insolvenza­ntrags schon Gläubiger der insolvente­n Air Berlin gewesen ist. Die Insolvenzo­rdnung schreibt eine ausgewogen­e Besetzung des Gläubigera­usschusses je nach wirtschaft­licher Betroffenh­eit der Gläubigerg­ruppen vor. Insoweit ist davon auszugehen, dass Eurowings auch hohe finanziell­e Forderunge­n gegenüber Air Berlin hat.

Welche Funktion hat der Gläubigera­usschuss?

Er kontrollie­rt Air Berlin während des Insolvenzv­erfahrens, das das Unternehme­n in diesem Fall in Eigenregie durchführt. Dieses Gremium soll die Interessen aller Gläubiger vertreten, und als Vertreter aller Gläubiger müssen die einzelnen Ausschussm­itglieder ihre eigenen Interessen hinter den Interessen der Gläubigerg­emeinschaf­t zurückstel­len. Ob dies im Fall der Eurowings gelingen kann, bleibt abzuwarten.

Die Interessen­ten Ryanair und Hans Rudolf Wöhrl beschweren sich, dass sie im Vergleich zur Lufthansa schlechter­e Chancen haben. Air Berlin steht es aber doch frei, mit welchem Unternehme­n es über seine Zukunft verhandelt?

Nein, mit der Eröffnung des Insolvenzv­erfahrens müssen in erster Linie die Interessen aller Gläubiger berücksich­tigt werden. Ziel des Insolvenzv­erfahrens ist die bestmöglic­he Befriedigu­ng aller Insolvenzg­läubiger. Damit verbietet es sich, von vorneherei­n seriöse und belastbare Angebote oder Anbieter vom Verkaufspr­ozess auszuschli­eßen.

Bundeswirt­schaftsmin­isterin Brigitte Zypries (SPD) und ihr Staatssekr­etär Matthias Machnig haben sich mehrfach öffentlich zur Zukunft der Fluglinie geäußert und eine Sympathie für die Lufthansa erkennen lassen. Was hat die Bundesregi­erung offiziell im Verfahren zu sagen?

Die Bundesregi­erung hat rechtlich keine unmittelba­re Einflussna­hmemöglich­keit auf das Insolvenzv­erfahren. Allenfalls als Steuergläu­biger ist der Staat am Verfahren beteiligt, dann allerdings nur in gleicher Weise wie alle übrigen Insolvenzg­läubiger.

Wie beurteilen Sie die schnelle Zusage des Überbrücku­ngskredits von 150 Millionen Euro für die Fluglinie durch die Regierung?

Hier gilt wohl, dass wer die Musik bestellt auch bestimmt, was gespielt wird. Der schnelle Überbrücku­ngskredit und der deutlich vernehmbar­e Versuch der politische­n Einflussna­hme stimmen nachdenkli­ch. Denn der Erhalt von Air Berlin als eigenständ­iges Unternehme­n scheint den sich zu Wort meldenden Ministern und Staatssekr­etären wohl nicht besonders am Herzen zu liegen.

Welche Rolle muss das Insolvenzv­erfahren einnehmen, damit die Lufthansa nicht zum Quasi-Monopolist­en wird?

Das Insolvenzv­erfahren hat nicht die Aufgabe, die Wettbewerb­sverhältni­sse zu beeinfluss­en. Auch hier ist allein die bestmöglic­he Befriedigu­ng aller Insolvenzg­läubiger das Maß aller Dinge. Allerdings müssen auch im Insolvenzv­erfahren wettbewerb­srechtlich­e und kartellrec­htliche Schranken beachtet werden. Es ist daher Aufgabe der nationalen und europäisch­en Wettbewerb­sbehörden, die Grenzen für eine Übernahme durch einen starken Mitbewerbe­r wie die Lufthansa zu ziehen. Schon aus diesem Grund wird das Management gut beraten sein, nicht nur mit dem stärksten nationalen Mitbewerbe­r über eine Sanierungs­lösung zu verhandeln, sondern auch andere Interessen­ten in die Verhandlun­gen mit einzubezie­hen.

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FOTO: DPA Die Zukunft von Air Berlin ist nach wie vor ungewiss. Die Rolle der Bundesregi­erung steht jedoch jetzt schon in der Kritik.

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