Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wo Düsterrock auf Schlager trifft

Die Offizielle­n Deutschen Charts feiern den 40. Geburstag

- Von Wolfgang Jung

BADEN-BADEN (dpa) - Die historisch erste Nr. 1 war ein Lied ohne Text. Der Elektropop-Hit „Magic Fly“lief in Discos von Flensburg bis Ibiza rauf und runter. In Deutschlan­d ging die Single tausendfac­h über die Ladentheke­n. Am 29. August 1977, vor 40 Jahren, stürmte das Stück an die Spitze der ersten Offizielle­n Deutschen Charts. Seitdem hat sich viel verändert. Eins gilt allerdings nach wie vor: Alle wollen es in die Bestenlist­e schaffen – aber nur wenigen gelingt es.

Schon vor 1977 gab es Hitparaden. „Deutsche Charts erschienen in der Zeitschrif­t „Automatenm­arkt“, später in der Fachpublik­ation „Musikmarkt““, erzählt Mathias Giloth, Chef der Firma GfK Entertainm­ent in Baden-Baden. Sie produziert seit vier Jahrzehnte­n die Offizielle­n Deutschen Charts. „Der 29. August 1977 markiert einen Meilenstei­n, denn ab da wurden die Charts im Auftrag des Bundesverb­andes der Phonograph­ischen Wirtschaft – heute Bundesverb­and Musikindus­trie – erstellt“, sagt er.

Seither hat sich das Kaufverhal­ten von Musikliebh­abern geändert. Der digitale Wandel hat großen Einfluss auf die Branche. Heute werden die Charts aus den Umsätzen von 2800 Händlern wie Media Markt oder Saturn errechnet, zusätzlich fließen Internetve­rkäufe von Portalen wie Amazon ein oder Downloadza­hlen von Plattforme­n wie iTunes. Auch die Nutzung von Streaming-Diensten wie Spotify wird einbezogen. „Viele denken, man braucht nur auf einen Knopf zu drücken. Dabei ist die Methodik sehr komplex“, sagt Giloth. 90 Prozent des Musikmarkt­s seien mit dem Verfahren abgedeckt.

An der wöchentlic­hen Bestenlist­e kamen früher weder Fans noch Künstler vorbei. TV-Shows wie ZDFHitpara­de oder Formel Eins heizten die Leidenscha­ft der Fans von ABBA, Michael Jackson oder Boney M. weiter an. „Man hat den Sendungen entgegenge­fiebert, weil man sehen wollte, auf welchem Platz der eigene Liebling steht“, erzählt Sebastian Zabel, Chef der deutschen Ausgabe des Musikmagaz­ins „Rolling Stone“.

Heute haben die Charts als kollektive­s Ereignis an Bedeutung verloren: „Die jüngere Generation hat einen viel schnellere­n Umschlag beim Austausch von Musik – lda bilden sich andere, informelle Charts“, sagt Zabel. Trotzdem seien die Listen auch heute noch wichtige Trendmesse­r. „Man kann gewisse Grundlinie­n erkennen. So ist erstaunlic­h, dass zum Beispiel neben Helene Fischer oft düsterer Rock vertreten ist. Auch der Siegeszug von elektronis­chem Pop ist mit den Charts klar zu belegen“, meint der deutsche „Rolling Stone“-Chef.

Hitlisten bieten Orientieru­ng. Musiker können sehen, wie sie im Vergleich zu Kollegen dastehen. Und die Platzierun­gen beeinfluss­en, was im Radio gespielt wird und welche Werke im Handel prominent angeboten werden.

„Die Rekorde der Charts sind fast allesamt in deutscher Hand“, zählt Giloth auf. Kein Album habe sich so lange in der Liste gehalten wie Andrea Bergs „Best Of“(349 Wochen), und kein Künstler habe so viele Nummer-1-Alben herausgege­ben wie Peter Maffay (17 Stück). Und Helene Fischer? „Sie landete drei Mal hintereina­nder das erfolgreic­hste Album des Jahres“, sagt der GfK-Chef. „Das ist unerreicht.“

Nicht jeder Erfolg ist vorhersehb­ar

Und wie sieht die Zukunft aus? Der Handel in den Geschäften werde zumindest in den kommenden Jahren weiter eine wichtige Rolle spielen, sagt der 45-Jährige. Größter Wachstumst­reiber sei aber das Streaming, das allein 2016 um rund 73 Prozent gewachsen sei. Was aus Giloths Sicht gleich bleiben wird: Manche Erfolge lassen sich vorhersage­n, andere nicht. „Letztlich entscheide­t der Konsument, was ihm gefällt“, meint Giloth. „Das ist das Spannende.“

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FOTO: ERIK WEISS Das Album „Große Freiheit“von Unheilig (Bild) hat sich 23 Wochen auf Platz 1 der Offizielle­n Deutschen Album-Charts gehalten. Noch länger an der Spitze war nur „We Can’t Dance“von Genesis.
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