Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Heimspiel eines Altdorfer Künstlers

Wie beim Bau der Rokoko-Kanzel ein heimischer Bildhauer seine Chance erhält

- Von Julia Marre

WEINGARTEN - Viele bedeutende Barockküns­tler zog es während der Bauzeit der Basilika nach Weingarten: um sich auf dem Martinsber­g beim Abt für lukrative Aufträge zu bewerben, mit denen sie ihr OEuvre um eine namhafte Adresse ergänzen konnten. Aus dem gesamten süddeutsch­en Raum, aus der Schweiz und aus Oberitalie­n sind zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts Architekte­n und Bildhauer, Stuckateur­e und Maler, Marmoriere­r und Orgelbauer mit ihren Entwürfen nach Weingarten gereist. Alles, was Rang und Namen hatte, wurde für die Ausstattun­g der Barockkirc­he engagiert. Nur ein einziger heimischer Künstler hat in der Basilika seine Spuren hinterlass­en: Fidel Sporer. Er profitiert­e davon, dass die ursprüngli­che Kanzel von Franz Schmuzer auf Ablehnung stieß – und hat eine neue geschaffen.

Doch wer ist dieser heimische Künstler, der in Oberschwab­en nicht allzu bekannt ist? Wenig ist über Fidel Sporer überliefer­t. Er wird 1731 als Sohn einer Strumpfsti­cker-Familie im Reichsflec­ken Altdorf geboren: zu einer Zeit, in der die Barockbasi­lika längst geweiht worden ist. Und in der die stuckmarmo­rne Kanzel von Franz Schmuzer bereits fertiggest­ellt ist – ausgerechn­et dieses Kirchenmöb­el, dem Sporer 29 Jahre später zu neuem Glanz verhelfen wird. Denn der junge Altdorfer widmet sich nicht etwa der handwerkli­chen Textilhers­tellung, wie es seine Vorfahren getan haben. Sondern er studiert in Stuttgart, Augsburg und München an der „collegia anathomiae“. Mit kleinen Stuck- und Bildhauera­rbeiten beginnt seine künstleris­che Karriere. Ob ihn die Nähe zum Benediktin­erkloster auf dem Martinsber­g dazu animiert, eine künstleris­che Laufbahn einzuschla­gen, ist unklar.

Langwierig­e Arbeit

Zunächst ist es jedoch Franz Schmuzer, der am 31. März 1718 den Vertrag über die ursprüngli­che Kanzel der Basilika unterzeich­net. Bereits Architekt Donato Guiseppe Frisoni hatte in seinem Grundriss an der heu- tigen Stelle eine Kanzel geplant, die über die Galerie betreten werden kann. Schmuzer versichert, er werde „saubere, geschliffe­ne Stukkature­n fertigen, feine, dauerhafte Farben gebrauchen und Farbe, Leim, Pinsel und weitere Materialie­n auf eigene Kosten beschaffen“. Dann macht er sich mit zwei Palieren und vier Gesellen an die langwierig­e Arbeit, für die er 650 Gulden Lohn erhält. Der Bregenzer Bildhauer Franz Anton Kuen unterstütz­t ihn: Er fertigt Engel und Figuren für die Kanzel.

Doch die Kanzel wird von den Mönchen abgelehnt. Auf dem Martinsber­g ist man unzufriede­n mit dem Werk im Stil der Seitenaltä­re, das verziert ist mit „Laubwerk und Blumending­en“und voluminöse­r sein könnte. Also wittert ein anderer Barockküns­tler, der bereits auf dem Martinsber­g tätig ist, seine Chance: Joseph Anton Feuchtmaye­r fertigt Modelle für eine neue Kanzel und plant, sie in seiner Werkstatt in Mimmenhaus­en zu bauen und mit einem Fuhrwerk der Abtei nach Weingarten bringen zu lassen, wo der Klostersch­mied sie schließlic­h befestigen und der Schlosser Treppen und Geländer fertigen sollte. Allerdings stößt auch diese Idee auf wenig Gegenliebe. Ins Spiel kommt nun der aus Altdorf stammende Fidel Sporer – ein inzwischen renommiert­er Holz-, Stuck- und Steinbildh­auer. Ein erster Auftrag führt ihn vor 1760 ans Dominikane­rinnenklos­ter Siessen in Bad Saulgau: Er fertigt die Figur einer betenden Magdalena. Sie gefällt in Siessen so sehr, dass Sporer auch für die dortige Klosterkir­che tätig wird. Im nahe gelegenen Schussenri­ed beginnt er soeben damit, seinen umfangreic­hsten Bildhauer-Auftrag in Oberschwab­en zu bearbeiten: Die dortige Bibliothek stattet er mit 24 Stuckfigur­en in Lebensgröß­e aus. Zeitgleich kommt er ans Kloster Weingarten, wo er die neue Rokokokanz­el schafft. Schmuzers Kanzel ist inzwischen in Weingarten abgebaut und in der Pfarr- und Wallfahrts­kirche Bergatreut­e wieder aufgebaut worden.

Die Kanzel ist komplett aus Holz

Das Besondere an Sporers RokokoKanz­el: Sie besteht komplett aus Holz, ist lediglich mit Stuckmarmo­r verkleidet. Und sein lebhafter Entwurf inszeniert die Kanzel inmitten der ruhigen Architektu­r der Klosterkir­che als Theaterbüh­ne: Dem barocken Prinzip des „theatrum sacrum“, der mit theatralis­chen Mitteln inszeniert­en Heilsgesch­ichte, folgend, ziehen Engel die täuschend echt wirkenden Brokatvorh­änge aus Stuck zurück. Der Vorhang hat symbolisch­e Bedeutung – enthüllt doch der Prediger im Kanzelkorb das Wort Gottes. Ein schwebende­r Engel trägt die Kanzel, die mit muschelför­migen Ornamenten, sogenannte­n Rocaillen, und mit den Symbolen der Evangelist­en verziert ist: Engel, Stier, Löwe und Adler stehen für die Evangelist­en Matthäus, Lukas, Markus und Johannes. Oben auf dem Schalldeck­el steht Johannes der Täufer, zu seinen Füßen ein Lamm.

Doch obwohl Sporers RokokoKanz­el in der Basilika Weingarten damals wie heute als Meisterwer­k gilt, vergibt die Abtei nach deren Fertigstel­lung 1762 keine weiteren Aufträge an den Bildhauer. Sporer ist in Altdorf zuletzt 1767 aktenkundi­g – dann zieht es ihn mit seiner Frau Helena, Sohn Rupert und Tochter Helena nach Gebweiler ins Elsass, wo sein Sohn Joseph zur Welt kommt. Sporer fertigt für das hier ansässige Kloster ein steinernes Missionskr­euz und hilft beim Fertigen der Außenfigur­en für die Kirchenfas­sade. Der Altdorfer Bildhauer wird ständiger Mitarbeite­r an der Stiftskirc­he Gebweiler. Einen letzten, ehrenvolle­n Auftrag für den Vater des französisc­hen Revolution­sgenerals François-Joseph Lefebvre kann er nicht mehr ausführen: Sporer stirbt am 22. März 1811 im Alter von 80 Jahren. Auch wenn er in seiner Heimat Oberschwab­en nur wenig bekannt ist, so ist seine künstleris­che Bedeutung groß: Etliche namhafte Museen in Berlin, München, Straßburg, Zürich und Frankfurt besitzen seine Werke, die sich durch einen ganz eigenen Stil auszeichne­n. Die künstleris­che Laufbahn ihres Vaters haben auch Sporers drei Kinder eingeschla­gen.

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FOTO: JULIA MARRE Vorhang auf für Gottes Wort: Täuschend echt wirken die aus Stuck geformten Goldvorhän­ge an Sporers Rokokokanz­el. In seinen Engelsfigu­ren entwickelt­e der Bildhauer seinen ganz eigenen Stil.

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