Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Volksfest auf hohem Niveau
Das Klischee vom „Treff der Reichen und der Schönen“auf der Pferderennbahn im badischen Iffezheim hält sich bis heute
IFFEZHEIM - „Die Hüte sind hier nur halb so teuer wie in Baden-Baden“, sagt die kundige Frau aus dem beschaulichen Heidelsheim und lacht. Dabei blitzt ein wenig der Schalk in ihren Augen. In ihrem eigenen Heimatort versteht man zu feiern. „Heidelse rockt“, so hieß dort etwa einst ein jährliches Musikfest. In Feierlaune ist die Frau aus dem Dorf bei Bruchsal auch an diesem Tag, zusammen mit Tochter Lea, die noch im Teenie-Alter ist. Ockerfarbene, beige, rosa und lila Sommerhüte: Viele der Kopfbedeckungen werden von beiden durchprobiert. Und zwar auf der 70 Kilometer südlich des Heimatdorfs gelegenen Galopprennbahn Iffezheim.
Bunte Hüte: Solche machen auch gute Laune bei einer Gruppe Damen im gesetzteren Alter. Ein halbes Dutzend Mitglieder des Rotary-Clubs Baden-Baden verlustiert sich am späten Vormittag auf den Rasenflächen des Baden Racing Members Club. Die Häppchen auf den Tischen sind abgeräumt – übrig gebliebene Wein- und Prosecco-Gläser lassen den Grund der Fröhlichkeit erahnen. Einer der Ehemänner will gar nicht mehr aufhören mit Fotografieren: Minutenlang macht er mit dem Smartphone Bilder von „behüteten“Damen, von deren Schuhen. Endlos scheinen die Perspektiven, die er ins Visier nimmt. Die Pferde, nur wenige Meter entfernt auf der Rennbahn, scheinen die Rotarier, sonst im Kurhaus Baden-Baden zu Hause, dabei kaum zu interessieren.
Sehen und gesehen werden
Vielleicht ist es die Sonne, die an diesem Tag zusätzlich fröhliche Gesichter zaubert. Fast alle wirken irgendwie aufgekratzt: Kurzzeitig steht auch der Kabarettist Christoph Sonntag auf den Rasenflächen und gesellt sich zum Gruppenfoto hinzu. Auf die Frage, was der Anlass des gemeinsamen Fotos sei, sagt er lakonisch: „Konfirmation, was sonst.“Die Galopprennbahn in Iffezheim: Das ist ein Ort, „um zu sehen“und natürlich auch um „gesehen zu werden“. Hier treffe sich die Society, da würden „die Schönen und die Reichen“zusammenkommen. So lauten die Klischees.
Der gebürtige Aachener Andreas Hülsheger, der an diesem Nachmittag erstmals auf der Rennbahn weilt, bestätigt diese Sichtweise. Drei Motive, meint er, seien es wohl, die nach Iffezheim locken: das Interesse an Pferden und Reitsport, das Wettfieber – und natürlich das „Sehen und gesehen werden“. Ihn selbst reize die Atmosphäre. Für den seit 2002 amtierenden Bürgermeister der 5000Seelen-Gemeinde Iffezheim, Peter Werler, ist die Rennwoche am Ende des Sommers einer von drei RennEvents im Jahr, „ein Leuchtturm der Region, ein sportliches und kulturelles Highlight“. Da gehe es „nicht nur um diese elitäre Society“. Ein wenig sonnt er sich wohl auch selbst gerne im Gedränge der Menschen zwischen den Wettbewerbsrennen. Es scheint nicht ganz selbstverständlich, dass auch der Schultes einer Dorfgemeinde über Tage hin im Mittelpunkt steht. Tags zuvor, da nahm er gemeinsam mit Karsten Knobbe, dem Rathaus-Kollegen aus Hoppegarten, die Prämierung des insgesamt fünften Rennens vor. Hoppegarten, südlich Berlin, ist nach Iffezheim laut Urteil von Experten „zweitwichtigste Pferderennbahn“der Republik und seit 25 Jahren Iffezheims Partnergemeinde.
Von einem „Volksfest auf hohem Niveau“, spricht Bürgermeister Werler. Das habe schon immer einen wichtigen Identifikationswert gehabt und liege dabei „mitten im Dorf“. Bereits die Anfahrt zu den Parkplätzen am nördlichen Ortsrand wirkt fast skurril: von Westen her kommend, über die Hauptstraße, werden Tausende von Besuchern durch Tempo-30-Wohnbereichssträßchen geleitet. Laut dem Veranstalter „Baden Racing“waren am ersten Wochenende rund 19 000 Besucher auf die Rennbahn gekommen. Die Große Woche, die vom 26. August bis zum 3. September dauert, ist die jährliche Hauptattraktion: mit jeweils durchschnittlich 35 000 Besuchern.
Es wird viel geboten für Besucher: an sechs Renntagen mit 50 Rennen und über 500 Pferden. Mit 700 Gastboxen zur Unterbringung der Pferde, dabei fallen während des Meetings 400 Tonnen Mist an. Gesetzte Preisgelder summieren sich auf 1,18 Millionen Euro. Acht Restaurants gibt es auf der Rennbahn: mit der 2009 eröffneten Bénazet-Bühne, dem ClubTurm, der großen „Sattelplatz-Tribüne“und dem Anziehungspunkt, der eher für das gemeine Volk gedacht ist, der „Iffezheimer Tribüne“. Dort gibt es, während Renntagen das gefragte „Rennbahn-Frühstück“.
Für den, der es edler mag: natürlich auch im Champions Club. Karten für den Brunch sind schon ab 23 Euro erhältlich. Auf Club-Terrassen freilich dann ab 85 und 165 Euro; je Person. Kaum überraschend: Am Hauptrenntag gibt es darauf noch 50 Prozent Aufschlag. Da bestehen, so scheint es, ausreichend Optionen „zum Doping“abseits der Rennbahn. Bei den kulinarischen Genüssen, so heißt es in einer Handreichung, gebe es alles von der Bratwurst mit Bier bis zum „All-inclusive-Angebot“. Man könne „sich gerne schick machen“, oder ganz leger kommen, ob mit Hut, Jeans oder T-Shirt. Natürlich gehören auch die Wettschalter dazu: das ist eine eigene Wissenschaft für sich. 2,029 Millionen Euro betrug der Wettumsatz beim Frühjahrsmeeting im Mai 2017.
Lange Tradition in Iffezheim
Nächstes Jahr feiert die Galopprennbahn 160. Geburtstag: Einst begründet von dem Franzosen Oskar Eduard Bénazet, der in Baden-Baden als Unternehmer tätig war. Dessen Vater, Jacques Bénazet, hatte 1838 die erste Spielbanklizenz in Baden-Baden erhalten. Casino und Galopprennbahn: Das sind Dinge, die eng beieinanderliegen. So wie die Kurstadt Baden-Baden und die Landgemeinde Iffezheim. Rennbahn-Begründer Bénazet habe 1858 „der einstigen Sommerresidenz des Adels“noch eine weitere Spielwiese hinzufügen wollen: vor den Toren der Stadt, sagt Rennbahnsprecher Peter Mühlfeit. „Iffezheim ist diese Woche eingemeindet“, sagt Baden-Badens Rathauschefin Margret Mergen.
Das international vernetzte Baden-Baden „lebe auch von dem Flair der Galopprennbahn“, sagt Mergen.
Lobende Worte findet sie im Casino für Andreas Jakobs. Der Spross aus der Bremer Kaffeehaus-Dynastie, für den Iffezheim „der wichtigste Standort für Pferde in Deutschland“ ist, war im Jahr 2010 der Rettungsanker für den badischen Pferdesport. Nachdem der „Internationale Club“, der fast 140 Jahre lang Betreiber der Galopprennbahn war, im Jahr 2009 in die Insolvenz ging, stieg er als Mehrheitseigner und Präsident der neu gegründeten „Baden Racing“ein. ANZEIGE
Der Sprecher des Pferde-Events sagt, die Rennen hätten „von jeher einen wichtigen gesellschaftlichen Charakter“– das spiegele sich bis heute wider. Etwa durch den „Grand Prix Ball“im Baden-Badener Kurhaus von, am Vorabend des Hauptrenntages am Sonntag. Seit 2004 ist Peter Mühlfeit Sprecher, ansonsten beim SWR angestellt. Ihn fasziniert in Iffezheim der „Spaß am Event und die Atmosphäre“.
Das badische Ascot
Ein Novum gibt es dieses Jahr: Von dem erstmals am zweiten Rennsamstag eingeführten „Ladies Day“erhofft sich Rennbahn-Präsident Andreas Jakobs Bilder wie aus England: „Wo sich alle fein und elegant gestalten.“Immer wieder wird Iffezheim mit der Rennbahn im südenglischen Ascot verglichen. Die 1711 eröffnete Galoppbahn ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Eigentum der britischen Krone. Schon lange gilt dort ein eigener Dresscode: Männer tragen meist den – möglichst „ascotgrauen“– Cutaway und Zylinder. Bei den Damen bleibt weiter eines obligatorisch: ein Hut.
Da ist „das badische Ascot“wohl noch ziemlich weit entfernt davon. Jakobs, der recht bodenständig wirkt, ist da selbst eher „solide gekleidet“. Baden, sagt er, sei für ihn wie eine zweite Heimat. Der Millionenerbe hatte einst in Freiburg Jura studiert. In Baden seien die Menschen fröhlich, das Essen top – und die Sonne scheint häufiger als anderswo. Das haben sich offenbar auch zwei Gäste aus Ostdeutschland gedacht: „Wir sind eigens für ein verlängertes Wochenende aus Chemnitz angereist“, sagen unisono Jens Tippmann und Wolfgang Sämann. Vielleicht machen die beiden aber auch einfach nur eine Feldstudie in Baden: Beide sind sie von Beruf Psychiater.