Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Magical Mystery Tour
Fürs Terrarium der Gymnasien, das einst mein Freund und unser Biologie-Lehrer betreute, gab es gelegentlich eine giftige Schlange oder Spinne als besondere Attraktion für interessierte Schüler (innen). Die exotischen Tiere mussten auf Anruf abgeholt werden am Güterbahnhof in Ravensburg, wo sie zum Beispiel in Kartons voller Südfrüchte oder in Bananenstauden entdeckt worden waren, mit denen die Firma „Harder & Meiser“handelte.
Das zugige Lagerhaus war auch Ziel vieler Trucks aus Holland, die wöchentlich Tomaten anlieferten. In jenen Zeiten, da Jugendliche in den Ferien Europa trampend eroberten, war ein holländischer Lastwagen mit Anhänger besonders attraktiv. Wer mithalf, aus dem frühmorgens gegen 3 Uhr angekommenen Transporter tausend Kisten Tomaten zu entladen, während der Fahrer in der Kabine schlief, wurde auf der Ladefläche (verbotenerweise) kostenlos bis nach Rotterdam mitgenommen. Von dort trampte man nach Hook van Holland, überwand den Kanal mit dem Fährschiff und war nach knapp zwei Tagen in London angekommen, dem Ziel der meisten Tramper(innen).
Carnaby Street und Portobello Road mit vielen hübschen Miniröcken sowie die berühmten Zebrastreifen der Abbey Road und das Aufnahmestudio der Beatles waren damals weitaus wichtigere Sehenswürdigkeiten als Big Ben, Tower und House of Parliament. Besonders günstig war für Tramper aus Deutschland die damalige ZweiPfennig-Münze. Sie erlaubte Telefongespräche aus den roten Telefonzellen mit der zu Hause gebliebenen Freundin sowie Plünderungen britischer Cadbury-Schokolade-Automaten, weshalb der gewiefte Tramper stets ein Säckchen voller Münzen mit sich führte, damals, als auch die Beatles auf einer Magical Mystery Tour waren...