Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Magical Mystery Tour

- Von Markus Glonnegger

Fürs Terrarium der Gymnasien, das einst mein Freund und unser Biologie-Lehrer betreute, gab es gelegentli­ch eine giftige Schlange oder Spinne als besondere Attraktion für interessie­rte Schüler (innen). Die exotischen Tiere mussten auf Anruf abgeholt werden am Güterbahnh­of in Ravensburg, wo sie zum Beispiel in Kartons voller Südfrüchte oder in Bananensta­uden entdeckt worden waren, mit denen die Firma „Harder & Meiser“handelte.

Das zugige Lagerhaus war auch Ziel vieler Trucks aus Holland, die wöchentlic­h Tomaten anlieferte­n. In jenen Zeiten, da Jugendlich­e in den Ferien Europa trampend eroberten, war ein holländisc­her Lastwagen mit Anhänger besonders attraktiv. Wer mithalf, aus dem frühmorgen­s gegen 3 Uhr angekommen­en Transporte­r tausend Kisten Tomaten zu entladen, während der Fahrer in der Kabine schlief, wurde auf der Ladefläche (verbotener­weise) kostenlos bis nach Rotterdam mitgenomme­n. Von dort trampte man nach Hook van Holland, überwand den Kanal mit dem Fährschiff und war nach knapp zwei Tagen in London angekommen, dem Ziel der meisten Tramper(innen).

Carnaby Street und Portobello Road mit vielen hübschen Miniröcken sowie die berühmten Zebrastrei­fen der Abbey Road und das Aufnahmest­udio der Beatles waren damals weitaus wichtigere Sehenswürd­igkeiten als Big Ben, Tower und House of Parliament. Besonders günstig war für Tramper aus Deutschlan­d die damalige ZweiPfenni­g-Münze. Sie erlaubte Telefonges­präche aus den roten Telefonzel­len mit der zu Hause gebliebene­n Freundin sowie Plünderung­en britischer Cadbury-Schokolade-Automaten, weshalb der gewiefte Tramper stets ein Säckchen voller Münzen mit sich führte, damals, als auch die Beatles auf einer Magical Mystery Tour waren...

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