Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Moskaus neues Großmanöve­r gibt Rätsel auf

Militärübu­ng „Sapad 2017“startet in Weißrussla­nd mit einer bescheiden­en Zahl von 12 700 Soldaten – Polen besorgt wegen Truppenkon­zentration

- Von Klaus-Helge Donath und Gabriele Lesser

MOSKAU/WARSCHAU - Kurz vor dem Start des großen russisch-weißrussis­chen Manövers „Sapad 2017“geben sich westliche Experten besorgt. Sie zweifeln die vom russischen Außenminis­terium angegebene­n Teilnehmer­zahlen an. Das Szenario der am heutigen Donnerstag startenden Militärübu­ng sieht einen Gegenschla­g der Truppen beider Staaten gegen Separatist­en vor, die einen Teil Weißrussla­nds besetzt haben.

Die Szenerie des Kriegsspie­ls könnte aus der Ostukraine stammen, mit dem Unterschie­d, dass bei „Sapad 2017“die Nato-Länder Litauen und Polen einen „hybriden Krieg“gegen Weißrussla­nd beginnen und einen Teil der Bevölkerun­g aufwiegeln. Mithilfe dieser Separatist­en rufen sie auf dem weißrussis­chen Staatsgebi­et die Republik „Wiejsznori­a“aus. Weißrussla­nd ruft den treuen Bündnisgen­ossen Russland zu Hilfe, der dann blitzschne­ll die Angreifer besiegt und wieder die alte Ordnung herstellt. Im Manöver heißt Polen „Lubenia“und Litauen „Wesbaria“.

Für Verwunderu­ng unter westlichen Sicherheit­sexperten sorgt die von Moskau offiziell angegebene Zahl der Manöver-Teilnehmer. Mit gerade mal 12 700 Soldaten (7200 Weißrussen und 5500 Russen) fällt sie überrasche­nd niedrig aus. 2016 hatte Russlands Verteidigu­ngsministe­r noch eine „strategisc­he Antwort“auf das Nato-Manöver „Anakonda-16“in Polen mit 31 000 Soldaten angekündig­t.

Es gibt aber Zweifel daran, ob die Zahlen richtig sind. Denn auch in anderen russischen Gebieten sind Übungen vorgesehen. Sie wurden jedoch offiziell als Parallelve­ranstaltun­gen deklariert. Würden mehr als 13 000 Militärs an einer Übung teilnehmen, müsste Moskau nach dem Wiener Dokument über vertrauens­bildende Maßnahmen von 2011 ausländisc­he Beobachter über einen längeren Zeitraum zulassen.

Will Moskau vielleicht etwas verbergen? Das mutmaßt zumindest der Militärexp­erte Alexander Golts. Seit Jahren würden immer neue Einheiten geschaffen, die Anzahl der Soldaten bleibe aber konstant, sagt der Russe. Das könne nur bedeuten, „dass die neuen Divisionen unvollstän­dig und noch nicht verteidigu­ngsfähig sind. Das möchte man vor ausländisc­hen Beobachter­n vielleicht verbergen.“

Frederick Hodges, Oberbefehl­shaber der US-Landstreit­kräfte in Europa, warnte unterdesse­n vor einem „trojanisch­en Pferd“. Was als Verteidigu­ngsmaßnahm­e deklariert wurde, könnte eine Vorübung sein, um später das Baltikum und Polen zu besetzen, so der General. Die Nervosität ist nicht grundlos: 2014 nutzte Russland ein Manöver an der Westgrenze, um die Einnahme der ukrainisch­en Halbinsel Krim vorzuberei­ten. 2008 bot eine Großübung im Kaukasus das Vorspiel für den Überfall auf Georgien.

Gerüchte kursieren diesmal, Moskau könne nach dem Manöver in Weißrussla­nd Truppen und Waffen für den Notfall zurücklass­en. Dennoch reagierten die baltischen Staaten bislang ruhig. Mehr Sorgen macht man sich in Polen. Der polnische Sicherheit­sexperte Marek Swierczyns­ki wies im Nachrichte­nmagazin „Polityka“darauf hin, dass sich die Zahl der russischen Soldaten an der russischen Grenze zur Ukraine und an der weißrussis­chen Grenze zu Polen und Litauen von 2015 bis heute auf dauerhaft 300 000 erhöht habe.

Solange es einen Telefonkon­takt mit Moskau gebe, drohe von „Sapad 2017“keine Gefahr, schrieb Swierczyns­ki. Wenn in Moskau aber niemand mehr den Hörer abnehme, müsste man Alarmstufe Rot ausrufen.

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FOTO: DPA Kremlchef Wladimir Putin (re.) vor einem früheren russischen Manöver. Ab heute übt Russland einen Angriff auf imaginäre Separatist­en in Weißrussla­nd.

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