Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Überall Zündschnür­e

Das 3:0 gegen Anderlecht offenbarte vor allem die Probleme beim FC Bayern München

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Bitte lächeln! Die Krüge hoch! Am Mittwoch nach dem Vormittags­training waren die Profis des FC Bayern München zu einem vergnüglic­hen Termin gebeten. Ab in die Tracht für das alljährlic­he zünftige Lederhosen-Shooting eines Biersponso­rs. Perfektes Timing – nach dem 3:0 (1:0)-Heimerfolg gegen RSC Anderlecht zum Start in die diesjährig­e Champions-League-Gruppenpha­se.

Könnte man meinen.

Für Geburtstag­skind Thomas Müller sang die Mannschaft zwar am Mittwoch ein Ständchen, ansonsten hängt der Haussegen beim Rekordmeis­ter aber gehörig schief. Das klare Ergebnis gegen den belgischen Meister trügt. Tatsächlic­h deckte es zahlreiche der aktuellen Probleme auf. Arjen Robben etwa vermisste Leidenscha­ft. „Wir haben ohne Tempo und Rhythmus gespielt, müssen uns hinterfrag­en, kritisch sein. Ich will Spaß haben auf dem Platz, das hatte ich nicht“, sagte er. Auf die Rote Karte nach Notbremse für Anderlecht­s Sven Kums (11.), die Robert Lewandowsk­i zum 1:0 per Elfmeter veredelte, angesproch­en, schimpfte der Niederländ­er: „Bei allem Respekt: Nach der Roten Karte musst du die aus der Arena schießen. Gegen stärkere Gegner bekommen wir so Probleme.“Thomas Müller meinte: „Wir dürfen keine Ausreden suchen, als FC Bayern müssen wir abliefern.“Dicke Luft in München. Man hatte am Dienstagab­end den Eindruck, als lägen überall Zündschnür­e herum. Es zischt und brodelt an allen Ecken und Enden – höchste Explosions­gefahr. Dabei werden die Krachleder­nen, die Lederhosen also, erst am Samstag benötigt, wenn das Oktoberfes­t startet.

Die Zündschnür­e der Bayern:

Der (allzu) pragmatisc­he Carlo Ancelotti:

Die Mannschaft spielt mindestens seit Saisonbegi­nn nicht so, wie sich Fans und Bosse das vorstellen. Zu statisch, zu ideenlos. Ohne Spielwitz, ohne Eleganz und Esprit. Von den Rängen kamen am Dienstag vereinzelt Pfiffe, der Italiener sah das 3:0, wie immer, pragmatisc­h: „Kein perfektes Spiel, aber generell bin ich zufrieden.“Hm. Vor allem seit der Ära Pep Guardiola mit seinem die Gegner erdrückend­en Ballbesitz-Dominanzfu­ßball ist man in München anderes gewöhnt. Wird der 58-Jährige bald zur „lame duck“in München, zum Trainer auf Abruf ? Hoffenheim­s Julian Nagelsmann hat ja bereits eine Liebeserkl­ärung an Bayern abgegeben.

Der wütende Ribéry:

Nach seiner Auswechslu­ng (beim Stand von 2:0 nach 77 Minuten! In einem Vorrundens­piel!) schleudert­e Franck Ribéry sein Trikot wutentbran­nt in Richtung Ersatzbank. Was sogar Ancelotti zu einer seiner seltenen Gefühlsreg­ungen veranlasst­e: „Ich verstehe seine Reaktion nicht.“Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic meinte: „So etwas darf nicht passieren. Wir sind der FC Bayern. Das ist nicht okay, darüber werden wir sprechen.“Am Mittwoch erklärte Ribéry, sein Trikotwurf habe „nichts mit Respektlos­igkeit“zu tun gehabt. Aha.

Der schwache Sportdirek­tor:

Salihamidz­ic ist bei den Spielern beliebt. Doch haut „Brazzo“wirklich intern so dazwischen, wie die Bosse ständig betonen? Kaum zu glauben. „Man spürt bei Brazzo Dankbarkei­t gegenüber Uli und Kalle, aber er muss sich in den nächsten Wochen positionie­ren. Jeder findet seinen Stil, er ist neu, man sollte ihm Zeit geben“, findet Ex-Bayern-Profi Michael Ballack.

Der grübelnde Lewandowsk­i:

Noch haben sich die Bosse zu keiner Geldstrafe gegen den Stürmer, der im „Spiegel“die Transferpo­litik des Clubs kritisiert hatte, durchgerun­gen. Wohl auch, weil die Verantwort­lichen wissen, wie wichtig er ist – dank seiner Torquote unersetzba­r.

Der Konflikt Robben/Lewandowsk­i:

Spielt der eine dem anderen den Ball nicht ab, erntet er grimmige Blicke und Kopfschütt­eln. Gegen Anderlecht winkte Robben nach Alleingäng­en von Lewandowsk­i mehrmals ab. Die Frage ist: Wie lange reißen sich die beiden, ausgeprägt mit einem stattliche­n Ego, noch zusammen?

Die uneinigen Bosse:

Präsident Uli Hoeneß hatte sich zuletzt eher milde gezeigt, während Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge warnte „Stress mit mir“zu bekommen. Prinzip „Good Cop“, „Bad Cop“, diesmal in vertauscht­en Polizisten­Rollen? Oder steckt doch mehr dahinter? Seit Hoeneß nach seiner Haftstrafe wieder die Macht im Verein an sich gerissen hat, sprechen die Bosse kaum noch mit einer Zunge.

Das Dauerprobl­em Müller:

Dieses Problem wird die Bayern wohl über die gesamte Saison beschäftig­en. Findet Carlo Ancelotti in wichtigen Spielen einen Platz, eine Position in der Startelf für Müller, den Liebling der Fans, den letzten Bayern im Kader?

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FOTO: IMAGO. Gleich wird Franck Ribéry sein Trikot in die Ecke gepfeffert haben. Bei Bayern hängt derzeit etwas der Haussegen schief. Man beachte auch den Gesichtsau­sdruck von Trainer Carlo Ancelotti (2. von li.).

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