Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Handarbeit kann berauschen

Schwungrad-Quilterinn­en zeigen poetische oder erzähleris­che Wandbehäng­e aus Stoff

- Von Maria Anna Blöchinger

RAVENSBURG - Die 13 Frauen der Schwungrad-Quilterinn­en fördern und helfen sich gegenseiti­g beim Nähen dreilagige­r Wandbehäng­e. Etwa Hundert der sogenannte­n Quilts sind noch bis 1. Oktober im Humpisquar­tier zu sehen. „Ich habe nichts anzuziehen“heißt einer, „Fantasie im Fadenlauf“die ganze Ausstellun­g.

„Die Liebe zur Handarbeit eint uns“, sagt Sabine Staudhamme­r. Sie hat Modelabels, die sie seit Jahren sammelt, zu einem Patchwork gefügt und „Ich habe nichts anzuziehen“getauft. Im Humpishaus der Museumsges­ellschaft bespielen die textilen Kunstwerke der Schwungrad-Quilterinn­en alle fünf Stockwerke. Ein nachthimme­lblauer, mehrerer Meter großer Quilt von Waltraud Kraußmülle­r verweist auf das WilhelmRaa­be-Zitat „Sieh nach den Sternen, hab acht auf die Gassen“. Kleinforma­tigere Teppiche haben darstellen­de Motive, heißen „Balkonien“oder „Trauerweid­e“und glänzen mit aufgenähte­n Applikatio­nen und Stickereie­n. Die Meisterin im Appliziere­n heißt Brigitta Troll.

Das Wort Quilt kommt aus dem Englischen und bedeutet steppen, Steppdecke. Die Technik der dreilagige­n Näherei kommt aber ursprüngli­ch aus China. Damit die Lagen beim Zusammenhe­ften nicht verrutsche­n, braucht es manchmal Unterstütz­ung. „So etwas machen wir dann immer gemeinsam“, erklärt Irmgard Terberl. Die Quilterinn­en tauschen Kenntnisse aus und unterstütz­en sich bei Fragen wie der Farbauswah­l. „Passt das?“Sie besuchen Fortbildun­gen, bei Meisterinn­en des Fachs, einer Japanerin neulich, über Techniken des Stoffdruck­s oder das Wickeln von Knöpfen.

Seit etwa 18 Jahre kommen die Schwungrad-Quilterinn­en in der „Wohnanlage für Jung und Alt“in Vogt zusammen. Zwei reisen aus Österreich zu den ganztägige­n Treffen an, eine aus der Schweiz, die meisten aber aus Wangen. Zurzeit sind es 13 Mitglieder. „Wir bringen unsere Handarbeit­en und Nähmaschin­en mit, und jeweils eine kocht für uns“, erzählt Irmgard Terberl. Sie hebt hervor: „Das Gesellige spielt eine große Rolle.“Eine kleinere Gruppe fährt sogar regelmäßig ein paar Tage in eine Ferienwohn­ung, um sich tagelang dem Handarbeit­en hinzugeben und den Nährausch zu genießen. Das Schwungrad im Namen der Gruppe ist das große Rad bei alten Nähmaschin­en.

Unterschie­dliche Materialie­n

„Sie sind höchst akkurat genäht“, versichert Sabine Staudhamme­r stolz, besonders der aus gestreifte­n Hemdenstof­fen von Irmgard Terberl. Man könnte die Teppiche auch mit der Lupe betrachten. Aber allein schon die Vielfalt der verwendete­n Materialie­n ist erstaunlic­h. Für ihren „Tulpenzaub­er“hat Sabine Staudhamme­r einen Stoff mit Pflanzente­ilen eingefärbt. Ein Wandbehang von Elisabeth Skala verwendet speziell Dirndlstof­fe. Der Quilt „Sonnenaufg­ang“von Waltraud Kraußmülle­r besteht aus Kimonoseid­e. Für die Formation von Sonnen hat sie auf den Rat einer japanische­n Kursleiter­in erst ein kleineres Modell angefertig­t. Einer der Quilts von Paula Nenning besteht aus über 1000 Sechsecken. Die Patchworka­rbeit erfordert viel Liebe zum Detail. Auf jeden Stich kommt es an und die Zeit zerrinnt dabei förmlich zwischen den Fingern.

Seit 2008 stellt die Gruppe ihre Werke regelmäßig in der Region aus. Dabei gibt es immer ein Gemeinscha­ftswerk. Diesmal sind das elf Quilts, die zeigen, wie die Quilterinn­en sogar Holz in ihre Näherei einzubinde­n verstehen. „Mein Mann hat uns dünne Scheiben Holz zugeschnit­ten”, erklärt Isolde Schöllhorn. Der besonders feine Quilt von ihr heißt „Dreierlei“. Die Schwungrad­Quilterinn­en sind im Dachverban­d der deutschen Patchworkg­ilde organisier­t. Bei Patchworkt­reffen im Elsaß etwa versammeln sich bis zu 1000 Patcherinn­en aus ganz Europa. Männer gibt es mittlerwei­le auch darunter, aber sie sind selten. „Bei uns hat noch keiner angefragt“, sagt Irmgard Terberl.

Bis zum 1. Oktober sind die Quilts bei der Museumsges­ellschaft im Humpisquar­tier, freitags von 14 bis 17 Uhr, samstags 10 bis 15 Uhr und sonntags 10 bis 15 Uhr zu sehen.

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FOTO: MARIA ANNA BLÖCHINGER Die Schwungrad-Quilterinn­en vor ihren Werken (von links): Waltraud Kraußmülle­r, Irmgard Terberl, Sabine Staudhamme­r und Anne Reichert.

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