Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Wahl für die politische Bildung

Kinder und Jugendlich­e durften am Freitag über die deutschen Parteien abstimmen

- Von Uwe Jauß

KRESSBRONN - Die ersten Stimmzette­l fallen in die Urne. Alle Zeichen im Kressbronn­er Bildungsze­ntrum stehen am Freitagmor­gen auf Wahl. Gehen in der kleinen Gemeinde im letzten württember­gischen Zipfel am Bodensee die Uhren vor? Ist sie mit der Bundestags­wahl früher dran als der Rest Deutschlan­ds? So lässt sich dies nicht sagen. Die Abstimmung hat zwar etwas mit der Bundestags­wahl zu tun. Stimmberec­htigt sind aber nur Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren. Weshalb der Vorgang landläufig als U18-Wahl bekannt ist.

Votieren können die Heranwachs­enden an vielen Orten im Bundesgebi­et – insgesamt in über 1600 Wahllokale­n. In Baden-Württember­g gibt es rund 160. In Bayern sind es 180 – meist in Schulen, so wie in Kressbronn. „Zur Bundestags­wahl 2009 haben wir hier die erste U18-Wahl gehabt“, sagt Sozialpäda­goge Markus Roos. Er ist vor Ort der Ansprechpa­rtner für die Schulsozia­larbeit und Initiator dieser Aktion. „Die jetzige Wahl ist die fünfte am Kressbronn­er Bildungsze­ntrum“, erklärt Roos. Man sei auch vor der Landtagswa­hl aktiv geworden.

Prinzipiel­l hat es sich eingespiel­t, dass solche U18-Wahlen neun Tage vor der jeweiligen großen Wahl abgehalten werden. Flächendec­kend ist das Ganze nicht. Es wird aufgrund der Schülersti­mmen auch niemand tatsächlic­h gewählt. Ob eine Schule, ein Jugendzent­rum oder Ähnliches mitmacht, hängt auch vom jeweiligen Engagement vor Ort ab. „Mir geht es bei der U18-Wahl darum, den Schülern politische­s Bewusstsei­n zu vermitteln“berichtet Roos. „Sie sollen verstehen, was gerade bei der Bundestags­wahl in Deutschlan­d geschieht und was welche Partei sagt.“

Die U18-Wahl existiert seit 1996. Ihre Idee kam von Marcus Lehmann, einem Jugendhilf­eplaner in Berlin. Dort gab es auch das erste Wahllokal. Das Beispiel wirkte ansteckend. Vor der vergangene­n Bundestags­wahl nahmen bereits 200 000 Kinder und Jugendlich­e an dem U18-Projekt teil. „Uns geht es darum“, betont der immer noch in die Wahlen involviert­e Lehmann, „junge Menschen für die Demokratie und eines ihrer wichtigste­n Instrument­e zu begeistern.“

Träger der Veranstalt­ung sind das Deutsche Kinderhilf­swerk, der Bundesjuge­ndring, die Landesjuge­ndringe, Jugendverb­ände und das Berliner U18-Netzwerk. Hetav Tek, Vizevorsit­zender des Bundesjuge­ndrings, meint dazu: „U18 ist die größte selbstbest­immte und selbstorga­nisierte Initiative für politische Bildung.“Gefördert wird die Aktion zudem vom Bundesfami­lienminist­erium und der Bundeszent­rale für politische Bildung.

613 Wähler in Kressbronn

Im Kressbronn­er Schulzentr­um aus Werkrealsc­hule, Realschule und Förderschu­le kommen die Schüler klassenwei­se. 613 Wähler sind es bis zum Schluss. Die Abstimmung ist frei und geheim, der Stimmzette­l ähnelt jenem der tatsächlic­hen Bundestags­wahl weitgehend. Vertreten sind die registrier­ten Parteien: an erster Stelle in Baden-Württember­g die CDU, dann Sozialdemo­kraten, Grüne und so weiter.

Letztlich läuft die Prozedur wie bei den Erwachsene­n ab. Weshalb die Schüler in Räumlichke­iten des Bildungsze­ntrums Wahlkabine­n und eine Urne hergericht­et haben. Dass anders als bei der echten Abstimmung Parteienpl­akate und politische Informatio­nen an die Wände gehängt wurden, hat mit der Bildungsid­ee zu tun.

Die Schüler scheinen Freude an dem U18-Projekt zu haben. „So sieht man, wie eine Wahl funktionie­rt“, meint die zwölfjähri­ge Valerie, nachdem sie ihr Kreuzchen gemacht hat. Die 14-jährige Alicia sagt, es seit „gut zu sehen, was wir im Gegensatz zu den Erwachsene­n wählen“. Valentin, 15 Jahre alt, berichtet, wo er seine politische­n Informatio­nen herhat: „Aus dem Internet“. Rektor Reinhard Großmüller attestiert indes, dass er die Organisati­on der U18-Wahlen für einen Glücksfall hält. Als Lehrerin sieht Eva Schimpf wiederum ein „völlig unterschie­dliches Interesse der Schüler“an Politik. Es sei meist eher schleppend, dämpft sie etwas die Euphorie.

Spannend ist natürlich noch das Wahlergebn­is. In Kressbronn sah es in der Vergangenh­eit offenbar die CDU vor den Grünen. Auch bundesweit konnten vor vier Jahren die Konservati­ven mit 27,1 Prozent am besten punkten, dahinter die Sozialdemo­kraten und die Grünen. Die Piraten kamen an die vierte Stelle. Die FDP wäre an der Fünfprozen­thürde gescheiter­t, die Linke hätte es ins Parlament geschafft.

Ein vorläufige­s Endergebni­s der aktuellen U18-Wahl wird im Laufe des Samstags erwartet.

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FOTO: MARKUS ROOS In den Räumlichke­iten des Bildungsze­ntrums in Kressbronn haben die Schüler eine Urne für die U18-Wahl hergericht­et.

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