Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Londoner lassen sich nicht einschüchtern
Terroranschlag in der U-Bahn erschüttert britische Hauptstadt – Regierungschefin May irritiert über Donald Trump
LONDON - Glimpflich davongekommen - das dachten am Freitag sicher manche Londoner, als sie von der jüngsten Attacke auf ihre Stadt hörten. Zwar mussten nach der Explosion am U-Bahnhof Parsons Green in Fulham 22 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden, jedoch hatte kein Patient lebensgefährliche Verletzungen davongetragen. Die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“(IS) beansprucht den Anschlag für sich. Der Bombenanschlag sei von einer „Abteilung des Islamischen Staats“verübt worden, hieß es in einer am Abend vom IS-Propagandasprachrohr Amaq im Internet veröffentlichten Erklärung.
Der Zug der District Line war gerade in Parsons Green angekommen, als gegen 8.20 Uhr (Ortszeit) eine Detonation den vorletzten Waggon erschütterte. „Ein richtig heißer Feuerball sengte mir die Haare ab“, berichtete später Passagier Peter Crowley der BBC. Die Wirkung der selbstgebastelten Bombe blieb vergleichsweise gering, weil die U-Bahntrasse an dieser Stelle überirdisch verläuft. Eine Explosion im Tunnel hätte vielleicht schlimmere Folgen gehabt.
Panik bei Evakuierung
Kurz nach dem Anschlag sei „die ganze Gegend voller Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen“gewesen, erzählte der bekannte Historiker Antony Beevor, dessen Haus 200 Meter Luftlinie vom Ort der Explosion entfernt liegt. Bei der Evakuierung des Zuges kam es zu einer Panik. Mehrere Reisende stürzten auf der Treppe, die vom hochgelegenen Bahnsteig zur Straße führt, und wurden von nachfolgenden Passagieren niedergerannt. Dennoch blieben auch hier schwerere Verletzungen aus. Binnen weniger Minuten waren Krankenwagen zur Stelle, die 18 Verletzte abtransportierten. Die meisten hatten Verbrennungen erlitten.
Der Antiterror-Chef der Londoner Polizei, Mark Rowley, sprach schon kurz darauf von einem terroristischen Anschlag. Seine mehrere Hundert Mitglieder umfassende Sonderkommission erhalte Unterstützung vom Inlandsgeheimdienst MI5, berichtete er und bat die Bevölkerung um Mithilfe. Wie bei den früheren Terroranschlägen auf der Insel hielten es Experten rasch für wahrscheinlich, dass islamistische Fanatiker hinter der Attacke stecken.
Ausgelöst wurde die Explosion offenbar durch Sprengstoff in einem weißen Plastikeimer, der in einer Plastiktüte der in Großbritannien populären Supermarkt-Kette Lidl steckte. Sie war in einer Ecke des Zuges abgestellt. Allgemein herrscht bei UBahnbenutzern in London hohe Sensibilität für herrenloses Gepäck.
Premierministerin Theresa May verurteilte den Anschlag. Gemeinsam werde man den Terrorismus besiegen, sagte die Regierungschefin der BBC. Noch am Freitag zog das Geschehen transatlantische Verwerfungen nach sich. US-Präsident Donald Trump verurteilte den Anschlag als eine Tat von „kranken und verrückten Leuten“, die Scotland Yard „im Blick gehabt“habe. „Müssen proaktiv sein!“, twitterte Trump. Seine Bemerkung lässt den möglichen Schluss zu, dass dem Weißen Haus einige Hintergründe über die Täter bekannt waren.
May distanzierte sich deutlich von ihrem wichtigsten Partner: Es sei „nie hilfreich, über eine noch andauernde Untersuchung zu spekulieren“. Zwar gab der Scotland Yard daraufhin den britischen Medien zu verstehen, die Mitteilung des US-Präsidenten sei spekulativ. Sie weckte aber unangenehme Erinnerungen an die Terrorattacke von Manchester im Mai, als die US-Geheimdienste Fotos vom Tatort mit Teilen der Bombe an die „New York Times“weiterreichten.
Höchste Terrorwarnstufe
Der Anschlag von Parsons Green hat Einfluss auf die Einschätzung der Gefährdungslage auf der Insel: Am Abend hat Großbritannien die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. Bis dahin galt die zweithöchte Stufe.
Bei Anschlägen in Großbritannien kamen seit Jahresbeginn 36 Menschen ums Leben. Fünf Menschen starben im März bei einem Angriff auf der Westminster-Brücke und am Parlamentsgelände. Acht Tote war die Bilanz eines Anschlags auf der London-Bridge und dem Ausgehviertel Borough Market im Juni. Ein Mensch starb bei einem Angriff auf Gläubige vor einer Moschee, beim Bombenattentat auf ein Konzert in Manchester waren es 22 Menschen.
„Die Terroristen haben sich vorgenommen, uns zu töten, uns zu verletzen und unseren Lebensstil zu zerstören“, sagte Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Und ergänzte trotzig, die Londoner ließen sich niemals einschüchtern. Und tatsächlich gab es ermutigende Szenen. Ein Pizzabäcker verteilte kostenlos Pizza und Getränke an Einsatzkräfte. Per Twitter luden Menschen Betroffene zu Tee und Gebäck in ihre Wohnungen ein. „Wir müssen einfach weitermachen“, sagte ein Anwohner.