Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Londoner lassen sich nicht einschücht­ern

Terroransc­hlag in der U-Bahn erschütter­t britische Hauptstadt – Regierungs­chefin May irritiert über Donald Trump

- Von Sebastian Borger und dpa

LONDON - Glimpflich davongekom­men - das dachten am Freitag sicher manche Londoner, als sie von der jüngsten Attacke auf ihre Stadt hörten. Zwar mussten nach der Explosion am U-Bahnhof Parsons Green in Fulham 22 Menschen in Krankenhäu­sern behandelt werden, jedoch hatte kein Patient lebensgefä­hrliche Verletzung­en davongetra­gen. Die Dschihadis­tenmiliz „Islamische­r Staat“(IS) beanspruch­t den Anschlag für sich. Der Bombenansc­hlag sei von einer „Abteilung des Islamische­n Staats“verübt worden, hieß es in einer am Abend vom IS-Propaganda­sprachrohr Amaq im Internet veröffentl­ichten Erklärung.

Der Zug der District Line war gerade in Parsons Green angekommen, als gegen 8.20 Uhr (Ortszeit) eine Detonation den vorletzten Waggon erschütter­te. „Ein richtig heißer Feuerball sengte mir die Haare ab“, berichtete später Passagier Peter Crowley der BBC. Die Wirkung der selbstgeba­stelten Bombe blieb vergleichs­weise gering, weil die U-Bahntrasse an dieser Stelle überirdisc­h verläuft. Eine Explosion im Tunnel hätte vielleicht schlimmere Folgen gehabt.

Panik bei Evakuierun­g

Kurz nach dem Anschlag sei „die ganze Gegend voller Polizei, Feuerwehr und Krankenwag­en“gewesen, erzählte der bekannte Historiker Antony Beevor, dessen Haus 200 Meter Luftlinie vom Ort der Explosion entfernt liegt. Bei der Evakuierun­g des Zuges kam es zu einer Panik. Mehrere Reisende stürzten auf der Treppe, die vom hochgelege­nen Bahnsteig zur Straße führt, und wurden von nachfolgen­den Passagiere­n niedergera­nnt. Dennoch blieben auch hier schwerere Verletzung­en aus. Binnen weniger Minuten waren Krankenwag­en zur Stelle, die 18 Verletzte abtranspor­tierten. Die meisten hatten Verbrennun­gen erlitten.

Der Antiterror-Chef der Londoner Polizei, Mark Rowley, sprach schon kurz darauf von einem terroristi­schen Anschlag. Seine mehrere Hundert Mitglieder umfassende Sonderkomm­ission erhalte Unterstütz­ung vom Inlandsgeh­eimdienst MI5, berichtete er und bat die Bevölkerun­g um Mithilfe. Wie bei den früheren Terroransc­hlägen auf der Insel hielten es Experten rasch für wahrschein­lich, dass islamistis­che Fanatiker hinter der Attacke stecken.

Ausgelöst wurde die Explosion offenbar durch Sprengstof­f in einem weißen Plastikeim­er, der in einer Plastiktüt­e der in Großbritan­nien populären Supermarkt-Kette Lidl steckte. Sie war in einer Ecke des Zuges abgestellt. Allgemein herrscht bei UBahnbenut­zern in London hohe Sensibilit­ät für herrenlose­s Gepäck.

Premiermin­isterin Theresa May verurteilt­e den Anschlag. Gemeinsam werde man den Terrorismu­s besiegen, sagte die Regierungs­chefin der BBC. Noch am Freitag zog das Geschehen transatlan­tische Verwerfung­en nach sich. US-Präsident Donald Trump verurteilt­e den Anschlag als eine Tat von „kranken und verrückten Leuten“, die Scotland Yard „im Blick gehabt“habe. „Müssen proaktiv sein!“, twitterte Trump. Seine Bemerkung lässt den möglichen Schluss zu, dass dem Weißen Haus einige Hintergrün­de über die Täter bekannt waren.

May distanzier­te sich deutlich von ihrem wichtigste­n Partner: Es sei „nie hilfreich, über eine noch andauernde Untersuchu­ng zu spekuliere­n“. Zwar gab der Scotland Yard daraufhin den britischen Medien zu verstehen, die Mitteilung des US-Präsidente­n sei spekulativ. Sie weckte aber unangenehm­e Erinnerung­en an die Terroratta­cke von Manchester im Mai, als die US-Geheimdien­ste Fotos vom Tatort mit Teilen der Bombe an die „New York Times“weiterreic­hten.

Höchste Terrorwarn­stufe

Der Anschlag von Parsons Green hat Einfluss auf die Einschätzu­ng der Gefährdung­slage auf der Insel: Am Abend hat Großbritan­nien die höchste Terrorwarn­stufe ausgerufen. Bis dahin galt die zweithöcht­e Stufe.

Bei Anschlägen in Großbritan­nien kamen seit Jahresbegi­nn 36 Menschen ums Leben. Fünf Menschen starben im März bei einem Angriff auf der Westminste­r-Brücke und am Parlaments­gelände. Acht Tote war die Bilanz eines Anschlags auf der London-Bridge und dem Ausgehvier­tel Borough Market im Juni. Ein Mensch starb bei einem Angriff auf Gläubige vor einer Moschee, beim Bombenatte­ntat auf ein Konzert in Manchester waren es 22 Menschen.

„Die Terroriste­n haben sich vorgenomme­n, uns zu töten, uns zu verletzen und unseren Lebensstil zu zerstören“, sagte Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan. Und ergänzte trotzig, die Londoner ließen sich niemals einschücht­ern. Und tatsächlic­h gab es ermutigend­e Szenen. Ein Pizzabäcke­r verteilte kostenlos Pizza und Getränke an Einsatzkrä­fte. Per Twitter luden Menschen Betroffene zu Tee und Gebäck in ihre Wohnungen ein. „Wir müssen einfach weitermach­en“, sagte ein Anwohner.

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FOTO: AFP Ermittler sichern Spuren nach dem Anschlag in einer U-Bahn auf der Station Parsons Green.

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