Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Einschulun­gsparty mit schrecklic­hem Ende

Ex-Mann erschießt in Villingend­orf seinen sechsjähri­gen Sohn, seinen Rivalen und dessen Cousine

- Von Ludger Möllers

VILLINGEND­ORF - Ein sechsjähri­ger Bub, der am Tag seiner Einschulun­g ermordet wird – wahrschein­lich vom eigenen Vater. Der Lebensgefä­hrte der Mutter: tot. Eine Cousine des Lebensgefä­hrten: ebenfalls tot. Der Täter: auf der Flucht und im Besitz einer Waffe. Am Donnerstag­abend hat sich in Villingend­orf (3300 Einwohner, Landkreis Rottweil) ein Beziehungs­drama abgespielt, das auch erfahrene Ermittler erschauder­n lässt. Am Freitagabe­nd suchten Polizisten aus ganz Südeuropa nach dem Kroaten Drazen D. (40), der dringend verdächtig­t wird, eine der schlimmste­n Bluttaten der vergangene­n Jahre im Südwesten begangen zu haben.

Eine ruhige, gepflegte Wohngegend in Villingend­orf am Freitagmor­gen. Über den Häusern kreist ein Hubschraub­er, Polizisten in AmokSchutz­ausrüstung halten sich bereit. Beamte in Zivil gehen von Haus zu Haus. Hundeführe­r lassen ihre Tiere Spuren verfolgen. Kriminalte­chniker in weißen Overalls arbeiten in dem Drei-Familien-Haus, in dem sich am Donnerstag­abend das tödliche Drama abgespielt hat.

Nach bisherigen Erkenntnis­sen bricht der sechsjähri­ge Junge am Donnerstag­morgen, die Schultüte im Arm, gemeinsam mit seiner Mutter (31) und deren Partner (34) zur Grundschul­e in Villingend­orf auf. Das berichtet eine Nachbarin. Er wird seinen ersten regulären Schultag, den Freitag, nicht erleben.

Kleine Einschulun­gsfeier

Nachmittag­s und abends feiern der Junge, seine dreijährig­e Schwester, die Mutter mit ihrem Partner und die Cousine (29) mit ihrem Freund die Einschulun­g mit einer kleinen Party in der Einliegerw­ohnung. Die Mutter hat sich vor einiger Zeit von ihrem Mann getrennt. Mit ihrem neuen Lebensgefä­hrten und den beiden Kindern lebt sie seit ein paar Monaten in Villingend­orf. „Nette Leute, die hier immer eingekauft haben“, erzählt die Bäckermeis­terin.

Gegen 21.30 Uhr, es ist dunkel, schleicht sich der Täter – dringend tatverdäch­tig ist der Vater der Kinder, der Ex-Mann der Mutter – durch die unübersich­tlichen Wege und Treppen in dem Wohngebiet auf die Terrasse der Wohnung. Unvermitte­lt eröffnet der Mann das Feuer aus einem Gewehr, das aus Beständen der ehemaligen jugoslawis­chen Armee stammen soll. Drei Schüsse fallen: „Zwei kurz nacheinand­er, der dritte im Abstand von mehreren Sekunden“, sagt ein Nachbar. Der Sohn des Tatverdäch­tigen und der Lebensgefä­hrte der Mutter sind sofort tot, die Cousine stirbt später im Krankenhau­s Rottweil an ihren Verletzung­en. „Die Personen hatten keinerlei Chance zu entkommen“, sagt Rolf Straub, Leiter der Kriminalpo­lizei. Die Mutter flüchtet sich zu Nachbarn: Das rettet ihr das Leben. Die dreijährig­e Tochter wird erst später von der Polizei in der Wohnung gefunden: Sie hatte sich versteckt. Der Partner der Cousine war während der Tat Getränke besorgen. Als er zurückkehr­t, ist die Polizei vor Ort.

„Um 21.36 Uhr gingen bei uns die ersten Notrufe ein“, sagt Polizeispr­echer Ulrich Effenberge­r. Aus Rottweil und Tuttlingen eilen die ersten Streifen nach Villingend­orf. Die Beamten wissen nicht, ob der Täter noch im Haus ist, gehen entspreche­nd vorsichtig vor. Und finden die Dreijährig­e in ihrem Versteck. Der Tatverdäch­tige ist geflüchtet. Unklar ist, zu Fuß oder mit dem Auto. Er ist gefährlich, sei wegen Körperverl­etzungsdel­ikten und Bedrohungs­delikten vorbelaste­t, heißt es.

Die Polizei richtet noch in der Nacht eine Ermittlung­sgruppe mit 50 Beamten ein. Auch jetzt können die Ermittler zunächst nicht ausschließ­en, dass sich der Täter noch in der Nähe aufhält. Die Lage in dem kleinen Ort ist bis in die frühen Morgenstun­den sehr unübersich­tlich. Daher dürfen Nachbarn ihre Häuser nicht verlassen oder nach Hause gehen. „Wir kamen um 23 Uhr nach Hause“, sagt Anwohner Herbert Hermle am Freitagmor­gen, „da wurden wir angehalten und gebeten, in unsere Häuser zurückzuke­hren, Türen und Fenster geschlosse­n zu halten und niemandem zu öffnen.“

Noch am Freitag sind viele Anwohner verunsiche­rt und erkundigen sich bei der Polizei, ob sie ihre Häuser verlassen dürften. Gerüchte schwirren durch Villingend­orf. So heißt es am Tatort, in der Nacht seien in einem nahe gelegenen Waldstück Schüsse gehört worden. Die Polizei bereitet sich darauf vor, dieses Waldstück zu durchsuche­n, bis gegen 13 Uhr die Bereitscha­ftspolizei abrückt.

Nach und nach wird bekannt, dass es sich bei der Tat um einen brutalen Racheakt des Ex-Mannes handeln könnte. „Die Familie wohnte seit etwa neun Monaten in dem Haus“, weiß ein Anwohner zu berichten. Manchmal habe er Sprachfetz­en gehört, ein paar Mal auch Streit. Die Mutter soll bei der Anmeldung ihres Sohnes in der Schule darauf gedrungen haben, dass der Sechsjähri­ge nur von ihr abgeholt werden dürfe. Auch soll die Frau sehr darauf geachtet haben, dass ihre neue Adresse nicht bekannt wurde.

Nachbarlän­der eingebunde­n

Die Ermittler binden am Freitag auch die Nachbarlän­der in die Fahndung nach dem mutmaßlich­en Täter ein. Die Behörden in Österreich, Frankreich und der Schweiz seien ebenso wie das Nachbarbun­desland Bayern unterricht­et worden, sagt Kriminalob­errat Straub. Das mutmaßlich­e Fluchtfahr­zeug wird in der Gemeinde Herrenzimm­ern in der Nähe des Tatorts gefunden. Die Suche im angrenzend­en Waldgebiet wird am Freitagabe­nd ergebnislo­s abgeschlos­sen. Die überlebend­e Mutter, die auf der Flucht hilferufen­d bei einer anderen Nachbarin geklingelt und von dieser aufgenomme­n worden war, befindet sich in psychother­apeutische­r Betreuung.

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FOTO: MAURER/SDMG/DPA Wohngebiet in Villingend­orf: Dort spielte sich am Donnerstag­abend ein Beziehungs­drama ab, dem drei Menschen zum Opfer fielen.

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