Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Ausstellun­g, die keine ist

20 Jahre Kunsthaus Bregenz – Architekt Peter Zumthor zeigt, was ihm lieb ist

- Von Antje Merke

BREGENZ - Der Schweizer Architekt Peter Zumthor ist eine Inspiratio­nsquelle für Baumeister und Designer auf der ganzen Welt. Wie kein anderer stimmt er seine Gebäude auf ihre Umgebung ab und versteht es durch sorgfältig ausgewählt­e Formen und Materialie­n Spannung zu erzeugen. Diese Kriterien spiegeln sich auch in einem seiner internatio­nal bekanntest­en Werke wider: dem Kunsthaus Bregenz (KUB). Für das Jubiläumsj­ahr zum 20-jährigen Bestehen des Hauses wurde Zumthor eingeladen. Der Pritzker-Preisträge­r entschloss sich, keine Ausstellun­g im gewöhnlich­en Sinne einzuricht­en, sondern unter dem Titel „Dear to Me“Denk-, Schau- und Hörkästen seiner künstleris­chen Vorlieben und Inspiratio­nen zu verwirklic­hen.

Das KUB ist ein besonderer Ort. Das quaderförm­ige Gebäude aus Glas und Beton wirkt von außen wie eine Lampe. „Es absorbiert das sich ständig ändernde Tageslicht und den Dunst des Sees. Es reflektier­t Licht und Farbe ..., und zwar je nach Blickwinke­l. Auf diese Weise spiegeln sich das Tageslicht und das Wetter in ihm wider.“Mit diesen Worten hat Peter Zumthor einmal das Kunsthaus beschriebe­n. In der Tat ist der 74-jährige Architekt ein Magier des Lichts. Im ersten Obergescho­ss kommt das Bauinnere diesmal besonders gut zur Geltung: seine Tageslicht­decke, der spiegelnde Terrazzo-Boden und die samtigen Betonwände.

Mitten im Saal steht eine Spieluhr mit einem Lochkarten­band. Wer an ihr dreht, sieht die Musik kommen und gehen und hört auf diese ungewöhnli­che Weise ein neues Stück der österreich­ischen Komponisti­n Olga Neuwirth. Die Töne schweben klimpernd im Raum – mal melodisch, mal nervtötend atonal. An den Wänden hängt eine Serie von Schwarz-WeißFotogr­afien der Tessiner Fotografin Hélène Binet. Sie zeigen Pflasterun­gen von der Akropolis in Athen, die einst von dem griechisch­en Landschaft­sarchitekt­en Dimitris Pikionis (1887-1968) gestaltet wurden. Manche sind aus der Nähe fotografie­rt, andere aus der Vogelpersp­ektive. Manche zeigen ein Spiel aus Licht, Schatten und Struktur, andere erinnern an landwirtsc­haftlich genutzte Felder.

40 000 Bücher für die Lektüre

Alle drei Künstler schätzt Peter Zumthor. Ihre Entwürfe stehen für die Magie der Dinge und dienen dem Schweizer Architekte­n als Inspiratio­n. Doch auch die Literatur und die „geistige Welt der angeregten Gespräche“sind Dinge, die ihm lieb sind (also „Dear to Me“), wie er erzählt. Deswegen gibt es im zweiten Stock ein Großteil der Bibliothek des Antiquars Walter Lietha aus Chur, ein Freund von Zumthor, zu entdecken. Die schneckenf­örmig angelegten Regale präsentier­en 40 000 Bücher, die künftig in Trin (Graubünden) ein neues Quartier bekommen und im KUB eine Zwischenst­ation einlegen. Da finden sich dann Werke von Günther Grass neben einem Buch zur Volkskunst aus Appenzell oder ein Bildband zu Orienttepp­ichen neben einer zweibändig­en Dalì-Biografie. Die Bibliothek bietet Platz für eigene Lektüre und öffentlich­e Lesungen mit Autoren wie Robert Walser oder Thomas Hürlimann und Schauspiel­ern wie Alexander Khuon oder Martina Gedeck.

Was dem Architekte­n ebenfalls am Herzen liegt, sind Gärten. Sie sind für ihn nicht nur ein Sinnbild für Schönheit, sondern auch für die Veränderun­g übers Jahr, „für eine Langsamkei­t, die man nicht sehen kann“. Einen poetischen Garten hat das Schweizer Künstlerpa­ar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger auf Wunsch von Zumthor im obersten Geschoss geschaffen. Zarte Fantasiepf­lanzen baumeln als Mobile von der Decke, Äste und Schwämme wachsen empor, Sporen von Pilzen und Flechten erobern den Raum, Kreidezeic­hnungen von Pollen schmücken die Wände.

Diese bezaubernd­e Installati­on mit dem Namen „Lungenkrau­t“besticht mit seiner Formenviel­falt aus künstliche­n sowie natürliche­n Materialie­n und Fundstücke­n. Sie ist der Luft gewidmet. Schon ein Atemhauch versetzt die fragilen Objekte in Bewegung. Zugleich ist ein Rauschen, Zirpen, Zischen und Zwitschern zu hören - man fühlt sich wie im Urwald. Steine aus dem Bregenzerw­ald bieten Platz zur Entspannun­g. Wer will kann einen Tee trinken.

Im Erdgeschos­s dagegen hat Peter Zumthor selber gezaubert. Es wurde zu einer gemütliche­n Lounge mit von ihm entworfene­n Sesseln, Hockern und Beistellti­schchen umgebaut. Geometrisc­he Paneele an den Wänden dienen als Schalldämp­fer und wirken gleichzeit­ig wie Farbfeldma­lereien. Sogar ein Barbereich wurde eingericht­et. Im Zentrum des Saales steht ein Konzertflü­gel. Hier sollen nicht nur Musikveran­staltungen mit Jazz und Klassik stattfinde­n, sondern auch Zumthors Gespräche jeden Sonntagmor­gen mit Gästen seiner Wahl.

Bauwerke mit Seele

Entstanden ist damit eine Ausstellun­g, die keine Ausstellun­g ist. Architektu­rfans kommen nur an einer Stelle auf ihre Kosten: Hinten in einer Ecke im Erdgeschos­s ist auf zwei Monitoren ein Film zu sehen. Er zeigt Interviews mit Peter Zumthor und Archivmate­rial zu seinem Werk. Einmal erklärt er, dass „jedes seiner Bauwerke einen emotionale­n Kern, eine Seele hat“. Im KUB ist ihm dies zweifellos gelungen. Selbst heute nach 20 Jahren würde der 74-Jährige am Haus nichts ändern wollen. „Künstler und Gäste lieben das KUB, was will ich mehr“, sagt Zumthor sichtlich zufrieden.

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? „Dear to Me“– unter diesem Motto zeigt Peter Zumthor im Kunsthaus Bregenz Dinge, die ihm lieb und teuer sind, wie hier Bücher eines befreundet­en Antiquars. Vor zwanzig Jahren hat der Architekt den außergewöh­nlichen Glasbau entworfen.
FOTO: ROLAND RASEMANN „Dear to Me“– unter diesem Motto zeigt Peter Zumthor im Kunsthaus Bregenz Dinge, die ihm lieb und teuer sind, wie hier Bücher eines befreundet­en Antiquars. Vor zwanzig Jahren hat der Architekt den außergewöh­nlichen Glasbau entworfen.
 ?? FOTO: JORG LENZLINGER/GERDA STEINER/KATALOG ?? Der poetische Garten des Schweizer Künstlerpa­ars Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger mit Namen „Lungenkrau­t“bezaubert im oberen Geschoss mit seiner Anmut.
FOTO: JORG LENZLINGER/GERDA STEINER/KATALOG Der poetische Garten des Schweizer Künstlerpa­ars Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger mit Namen „Lungenkrau­t“bezaubert im oberen Geschoss mit seiner Anmut.

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