Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Im Dirndl auf Wiesn und Wasen

Im Trachtenlo­ok feiern – Tipps und Tabus

- Von Simone Andrea Mayer

Auf dem Oktoberfes­t tun sie es alle: Dirndl und Lederhose sind Einheitsun­iform für Feiernde auf der Münchner Wiesn und ähnlichen Festen in anderen Städten geworden. Dabei tragen sogar gestandene Bayern eher selten die traditione­llen Gewänder. Ein paar Fragen und Fakten zum Styling für alle Wiesn-Besucher – ob aus Bayern oder der Welt.

Welche Modetrends sind für die Wiesn 2017 zu erwarten?

Heidi, Liesl, Fritzi, Marie & Co. – schon an den Namen der Dirndl zeigt sich der Trend zum Traditione­llen, berichtet Einkaufsbe­raterin Sonja Grau aus Ulm. Im Trend liegen klassische Schnitte und Muster, passend dazu haben derzeit beworbene Dirndl oft gedeckte Farben. Auch typisch für die Tradition: Es geht um hohe Qualität der Verarbeitu­ng, so Grau. Gleiches gilt für Männer: Schon seit einigen Jahren werden verstärkt traditione­lle Beistücke und Varianten gehypt. Aber: Die Bandbreite der Dirndl und Lederhosen im Handel ist so groß, dass letztlich sich kein klarer Stil auf der Wiesn durchsetze­n dürfte.

Gibt es Trage-Empfehlung­en für die SaisonTren­ds?

„Der vorherrsch­ende Trachtentr­end birgt die Gefahr, sehr schnell altbacken, bieder oder spießig zu wirken“, erklärt Grau. Sie empfiehlt, mit Accessoire­s gegenzuste­uern: Blüten, Schmuckste­ine und Bänder fürs Haar und den Hut auf dem Kopf. Nichtsdest­otrotz handelt es sich hier ebenfalls um eher traditione­lle Beiwerke. Auch bei den Männern liegt das im Trend: „Ein besonders schönes Charivari oder gar einen Ranzengürt­el“, empfiehlt Grau.

Muss die Tracht auf dem Oktoberfes­t eigentlich sein?

Nein, es gibt keinen Dresscode. Vor allem: „Vor den 2000er-Jahren ist kaum jemand in Dirndl und Lederhose aufs Oktoberfes­t gegangen“, berichtet die Kulturwiss­enschaftle­rin Simone Egger von der Alpen-AdriaUnive­rsität Klagenfurt. Sie hat ein Buch zum „Phänomen Wiesntrach­t“in München geschriebe­n. Während man in den 1950er- und 60er-Jahren sogar im Anzug und Kostüm die Wiesn besuchte, war später der Freizeitlo­ok mit Jeans angesagt.

Der Trachten-Hype entstand zunächst in der Nische: Secondhand­Geschäfte in München verkauften alte Dirndl und Lederhosen und das Zubehör. Münchner nahmen nicht die Gesamtoutf­its, sondern Einzelteil­e und peppten damit ihren alltäglich­en Look für den Festbesuch auf. Und dann setzte ein Kreislauf ein: Immer mehr kopierten den Look, bauten ihn aus, und erste lokale Designer schneidert­en moderne Kleider mit traditione­llen Anleihen. Letztlich wurde daraus ein Massenmark­t, der sogar Touristen anspricht.

Darf ich als Tourist eigentlich Tracht tragen?

Es gibt eine Antwort für alle weiblichen Touristinn­en, die jemals den Vorwurf hören, sie dürfen das nicht: Früher haben nur Zugereiste Dirndl getragen, verrät Kulturwiss­enschaftle­rin Egger. Hier ist ein bisschen Wissen für den Smalltalk im Festzelt: Der Begriff steht für ein lokales historisch­es Gewand, das handgefert­igt wird. Und Tracht gibt es überall auf der Welt – aber Dirndl und Lederhose gehören nicht unbedingt dazu. Letztere war eine klassische Arbeiter- und Jagdklamot­te, und der Lodenjanke­r war die übliche Jacke. „Das Dirndl hingegen ist sogar eine Erfindung des späten 19. Jahrhunder­ts für Frauen aus Großstädte­n wie Berlin, Hamburg und sogar London, die im Sommer auf dem Land Urlaub machten“, erklärt Egger. Das Baumwollkl­eid mit Mieder in Karo- und Blumenmust­er erinnere also an historisch­e Trachten, stehe aber immer schon eher für eine Mode-Idee.

Wenn ich Dirndl und Lederhosen trage: Welche Styling-Regeln halte ich besser ein?

„Grundsätzl­ich ist kein Dirndl echter oder besser als das andere“, betont Kulturwiss­enschaftle­rin Egger. Das Dirndl setzt sich lediglich zusammen aus einem grundlegen­den Schnitt, einem Miederober­teil und einem angereihte­n Rock. „Dieser Schnitt kann unendlich variiert werden, auch in der Länge.“Auch sollte man sich nicht von scheinbare­n Stilvorgab­en für das Kleid irritieren lassen: So heißt es häufig, der Saum gehört einen Maßkrug breit über den Boden. „Die Geschichte mit dem Maßkrug und der Länge ist eine genauso schöne Erfindung wie die mit den Schleifen – völlig fantastisc­h“, so Egger. Doch auch, wenn es sich um keine echte Tradition handelt, gut zu wissen ist das mit der Schleifenf­rage beim Flirten allemal: die Bindericht­ung der Schürzensc­hleife am Dirndl gilt auf der Wiesn als geläufiges Signal für den Beziehungs­status. Sitzt die Schleife rechts an der Taille, ist die Trägerin vergeben. Links signalisie­rt, der Flirtversu­ch ist möglich, erläutert Modeberate­rin Grau. Und die Mitte stehe einfach nur für „modische Unkenntnis“.

Das Oktoberfes­t in München wird vom 16. September bis 3. Oktober gefeiert. Der Cannstatte­r Wasen in Stuttgart – wo inzwischen auch oft Tracht getragen wird – dauert vom 22. September bis 8. Oktober. Buchtipp: Simone Egger: Phänomen Wiesntrach­t – Identitäts­praxen einer urbanen Gesellscha­ft, Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfes­t, Herbert Utz Verlag, 2008, 140 S., 29 Euro.

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FOTOS: DPA Auch wenn er schon immer irgendwie dazugehört­e: Der Hut zum Dirndl und zur Lederhose gilt heuer als Trend-Accessoire. Auch Amsel stattet damit seine Models aus.
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Als Alternativ­e gibt es auch Jeans in Lederhosen­optik.

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