Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mehr Klarheit über Berufsbilder schaffen
Industrie- und Handelskammern helfen Schulabgängern bei der Orientierung – Werbung um Abiturienten zeigt Wirkung
Immer mehr Unternehmen haben Probleme, ihre Lehrstellen zu besetzten. Ein Grund ist neben dem demografischen Wandel die steigende Zahl der Studierwilligen. Die Industrie- und Handelskammern (IHK), zuständig für die berufliche Ausbildung, unterstützen ihre Mitgliedsbetriebe in der Nachwuchsgewinnung, auch die IHK Ulm und die IHK Region Stuttgart. Die Hilfe bei der Berufsorientierung der Jugendlichen spielt dabei eine wesentliche Rolle. „Unklare Berufsvorstellungen sind laut unseren Ausbildungsumfragen das größte Ausbildungshemmnis“, sagt Martin Frädrich, Geschäftsführer Beruf und Qualifikation der IHK Region Stuttgart. Je besser Jugendliche über die duale Ausbildung und deren Perspektiven informiert sind, desto eher können sie die für sie richtige Wahl treffen.
Zum 1. September 2017 haben fast 2200 Auszubildende bei Unternehmen aus Industrie, Dienstleistung und Handel im Bezirk der IHK Ulm ihre Lehre begonnen. Die Anzahl der gewerblich-technischen Ausbildungen ist im Vergleich zum Vorjahr um 4,0 Prozent gestiegen, während die in den kaufmännischen um 3,3 Prozent zurückgegangen ist. Und wieder blieben Lehrstellen frei, rund 180 Ausbildungsplätze in Unternehmen in und um Ulm waren es diesmal. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze kontinuierlich gestiegen. „Diese Entwicklung macht uns große Sorgen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer ANZEIGEN Otto Sälzle. Neben dem demografisch bedingten Rückgang an Bewerbern ist es vor allem der Trend zum Studium, der immer weniger junge Menschen eine Ausbildung beginnen lässt. Aktuell studieren etwa sechs von zehn aus einem Abiturjahrgang. Die Folge ist, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen ihre Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen können.
Dabei steht es um die Karrierechancen nach einer Ausbildung gut, auch weil das Fachkräfteangebot sinkt. „Die Chancen, mit einer Ausbildung Karriere zu machen, werden künftig also noch besser, als sie es ohnehin schon sind“, sagt Sälzle.
Konkrete Projekte vor Ort
Die IHKs sind deshalb bemüht, mit konkreten Angeboten und Projekten für die duale Ausbildung zu werben und Überzeugungsarbeit zu leisten. Die IHK Ulm beispielsweise mit dem Projekt „Faszination Technik“, bei dem es um die Förderung technischer und naturwissenschaftlicher Neigungen von Kindern und Jugendlichen geht. Dabei werden Erzieherinnen im Kindergarten und Lehrer in der Schule in technischen Themen geschult. Ein anderes Angebot ist der IHKKompetenzcheck, der jungen Menschen die Berufsorientierung erleichtern soll. Hier können Schüler ihre Stärken herausfinden und schauen, inwiefern sie zu den Anforderungen unterschiedlicher Berufe passen. Interessenten können sich für den Check per E-Mail unter spaeth@ulm.ihk.de anmelden. Ein weiteres Projekt dient dazu sicherzustellen, dass eine begonnene Ausbildung auch erfolgreich zu Ende gebracht wird. Dafür bietet die IHK Ulm Unterstützung bei Problemen jeglicher Art während der Ausbildung an. Die EMail-Adresse für die Kontaktaufnahme ist in diesen Fällen hinkel@ulm.ihk.de. „Auch für Studienabbrecher, die mit einer dualen Ausbildung neu starten möchten, halten wir ein Angebot bereit“, sagt Sälzle. Interessierte können sich an amann@ulm.ihk.de wenden.
Im IHK-Kammerbezirk Stuttgart haben knapp 10 000 Auszubildende im September eine duale Ausbildung begonnen. Das waren 150 weniger als im vergangenen Jahr. 350 Ausbildungsplätze blieben in diesem Jahr unbesetzt.
Wer sich kurzfristig auf einen Ausbildungsplatz bewerben möchte, findet die freien Stellen in der bundesweiten www.IHK-Lehrstellenboerse. de im Internet oder kann sich an seine IHK oder Arbeitsagentur vor Ort wenden.
Die Anstrengungen der Kammern, auch Abiturienten für eine Ausbildung zu gewinnen, fruchten inzwischen. Bei den in der IHK Region Stuttgart neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen steigt der Anteil jener mit Fach- oder Hochschulreife stetig an. 2013 lag er noch bei 28,3 Prozent, zuletzt waren es knapp unter 35 Prozent. Die Anteile der Auszubildenden mit Fach- oder Hochschulreife variieren von Beruf zu Beruf allerdings stark: Bei den Versicherungskaufleuten haben dreiviertel diese Qualifikation, bei Bauberufen sind es deutlich weniger.
Auch Schulen können viel dazu beitragen, unklare Berufsvorstellungen abzubauen. „Wir erhoffen uns, dass mit der flächendeckenden Einführung des Unterrichtsfachs ‚Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung‘ mittelfristig die Berufsorientierung von Schülern verbessert wird“, sagt Frädrich. Das Fach wurde zum Schuljahr 2016/17 verpflichtend für alle Schularten eingeführt. ANZEIGE