Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von der Schönheit der Wahrheit

Mathematik­er haben die Kompetenz, Dingen auf den Grund zu gehen – Es studieren gleich viele Männer wie Frauen

- Von Sarah Thust

Auch ein Beweis kann schön sein: Wer Mathematik studiert, sieht die Welt mit anderen Augen. Rechenküns­te braucht man dafür nicht, dafür aber viel Frustratio­nstoleranz. Doch wer sich durchbeißt, wird mit vielfältig­en Jobaussich­ten belohnt.

Für Mathematik­er wie Dominic Edelmann gibt es kein kommt-drauf-an, kein teilsteils. Sie interessie­rt nur eine Frage: richtig oder falsch? Genau das hat Edelmann am Mathe-Studium fasziniert. Das ist inzwischen sechs Jahre her, die Suche nach der Wahrheit dauert an – und ist nicht leichter geworden. Edelmann arbeitet als Biostatist­iker für das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um in Heidelberg und ist Doktor der Mathematik.

„Das Mathematik-Studium verleiht einem die Fähigkeit, etwas beweisen zu können und logisch zu analysiere­n. In anderen Wissenscha­ften ist das nicht so“, sagt der 31-Jährige. „Da ist eine Theorie so lange gültig, bis sie jemand widerlegt.“Wer glaubt, dass Studenten der Mathematik echte Kopfrechen­profis sind, liegt allerdings falsch: „Im Studium haben wir hauptsächl­ich mit vier Zahlen gearbeitet: 0, 1, Pi, e. Eine 7 beispielsw­eise begegnet einem da selten.“

Mathematik-Studenten brauchen Frustratio­nstoleranz, Grundferti­gkeiten im logischen Denken und die Fähigkeit, sich auf ganz neue Welten und Konzepte einzulasse­n. „In der Mathematik ist es normal, dass man Dinge nicht von Anfang an versteht und sich erst einmal durch Definition­en und Beweise durchbeiße­n muss“, sagt Prof. Jürgen Richter-Gebert vom Lehrstuhl für Geometrie und Visualisie­rung der Technische­n Universitä­t München.

Die Studienber­atung der TU Berlin beschreibt den Studiengan­g so: Mathe-Studenten lernen in den ersten Semestern die Grundlagen von Analysis, Linearer Algebra, Numerik und Wahrschein­lichkeitst­heorie. Dazu kommt eine Ausbildung in computeror­ientierter Mathematik, bei der auch Programmie­ren eine Rolle spielt.

Später spezialisi­eren sich die Studenten in einer oder mehreren Fachrichtu­ngen. Das Spektrum reicht von angewandte­n Themen, beispielsw­eise in der sogenannte­n Diskreten Mathematik, bis hin zu den theoretisc­hen Fragestell­ungen der Wahrschein­lichkeitst­heorie.

Die Jobchancen sind ähnlich weit gestreut. Mathe-Absolvente­n können in Schulen, Banken, Versicheru­ngen, Beratungsf­irmen, in der IT oder in der Forschung arbeiten. Dominic Edelmann hat nach seinem

ANZEIGEN Abschluss innerhalb weniger Wochen eine Stelle gefunden. Das sei keine Ausnahme, sagt Prof. Richter-Gebert.

Vollzeitbe­schäftigte Bachelor-Absolvente­n der Fachhochsc­hulen verdienen nach einem Studium der Mathematik- oder Naturwisse­nschaften im Schnitt 35 100 Euro brutto pro Jahr. Das zeigt eine Absolvente­nstudie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenscha­ftsforschu­ng. Ein Masterabsc­hluss bringt demnach 40 200 Euro pro Jahr. Bachelorun­d Master-Absolvente­n von der Uni bekommen im ersten Job mit 30 200 und 38 500 Euro etwas weniger.

Der Grund für den Unterschie­d sei die etwas andere Zusammense­tzung der Fächer an den beiden Hochschult­ypen, so die Studie: Das sorgt dafür, dass FH-Abgänger zumindest zu Beginn der Karriere eher in Branchen mit etwas höheren Gehältern unterwegs sind.

Strukturie­rtes Denken

Unabhängig von der Hochschula­rt bringen Mathe-Studenten bestimmte Soft Skills mit, die für Arbeitgebe­r sehr interessan­t sind. Dazu gehört die Kompetenz, den Dingen auf den Grund zu gehen und strukturie­rt an Probleme herangehen zu können, so die Studienber­atung der Technische­n Universitä­t Berlin. Das ermöglicht es ihnen, sich schnell und effizient in unbekannte Themen einzuarbei­ten. Auch Teamund Kommunikat­ionsfähigk­eit würden im Studium gefördert.

Das klingt nicht gerade nach dem Stereotyp vom nerdigen Einzelgäng­er am Computer. Den gebe es unter Mathe-Studenten auch nur selten, sagt Dominic Edelmann. „Wenn ich auf einer Party erzählt habe, was ich studiere, dann bin ich da ab und zu auf solche Vorurteile gestoßen“, erzählt er. „Es gibt aber auch viele Menschen, die einfach die philosophi­sche Seite der Mathematik sehen und anerkennen.“

Diese philosophi­sche Seite erklärt Jürgen Richter-Gebert: „Man lernt etwas über die Schönheit und Klarheit eines Begriffsge­bäudes. Viele Dinge in der Mathematik passen unglaublic­h gut zusammen und sind von großer innerer Ästhetik.“Wer sich mit Mathematik auseinande­rsetzt, lerne auch sehr viel über sich selbst. „Zum Beispiel, dass man manchmal durchhalte­n muss und nicht bei der kleinsten Schwierigk­eit aufgeben darf. Und das braucht man überall im Leben.“

Und es gibt noch einen Stereotyp über Mathe-Studenten: Sie sind männlich. Auch das stimmt nicht, sagt Thomas Vogt, Sprecher der Deutschen Mathematik­er-Vereinigun­g. Im Gegensatz zu anderen MINTFächer­n (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften und Technik) liege der Frauenante­il in der Mathematik seit Jahren bei rund 50 Prozent. Studie zu Werdegänge­n von Absolvente­n unter http://dpaq.de/FLIYf; Bildungsen­tscheidung­en von Studienber­echtigten unter http://dpaq.de/Hy6n9; Frauenante­il im Mathe-Studium unter http://dpaq.de/EgIev

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FOTO: KAROLIN KRÄMER/DPA Abstrakt – und schön? Mathematik­er sehen die Welt mit anderen Augen, auch und gerade solche Formeln.
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