Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Jubel bei der FDP, Trauerstimmung bei der SPD
Für die Liberalen zieht erstmals ein Abgeordneter in den Bundestag – Grüne warten Koalitionsgespräche ab
RAVENSBURG - Um 18 Uhr liegen sich die FDP-Anhänger im Ravensburger Bärengarten in den Armen. Die Erleichterung über die hochgerechneten 10,5 Prozent ist übergroß. Für den Direktkandidaten Benjamin Strasser ist in diesem Moment klar: Über die Landesliste wird er bei dieser Prozentzahl auf jeden Fall in den Bundestag einziehen.
„Es ist ein historischer Abend“, sagt Strasser, „nach 70 Jahren wird erstmals ein FDPler aus Oberschwaben im Deutschen Bundestag sitzen.“Besonders freut den 30-jährigen Berger, dass für die Liberalen die Zeit in der außerparlamentarischen Opposition damit vorbei ist. „Vor vier Jahren hätten wir nicht gedacht, dass wir heute so feiern können“, meint er und verspricht: „Ich werde einige Runden schmeißen.“
Weniger euphorisch geht es zur selben Zeit im Waldhornsaal in Ravensburg zu. Dort sitzen die Mitglieder der SPD und ziehen lange Gesichter. Fassungslosigkeit macht sich breit. „Wir haben es nicht geschafft, die Wähler zu überzeugen“, konstatiert SPD-Direktkandidatin Heike Engelhardt. „Die Verfehlungen der Vergangenheit wurden der SPD angelastet, gleichzeitig hat die Angstmacherei der rechtspopulistischen Partei in die Hände gespielt.“Aufgeben ist für Engelhardt aber keine Option: „Wer strauchelt und hinfällt, steht auch wieder auf“. Für die Ravensburgerin ist klar, dass die Sozialdemokraten in die Opposition müssen. „Noch eine Große Koalition wäre politischer Selbstmord“, glaubt sie. In der Opposition hingegen könne die SPD sich auf ihre Stärken besinnen und mit Inhalten punkten. „Außerdem können wir der AfD nicht die Führung der Opposition überlassen“, so Engelhardt.
Die AfD-Anhänger sind indes begeistert von ihrer neuen Rolle im Bundestag. „Wir sind fest am Feiern“, erklärt AfD-Direktkandidat Helmut Dietz am Sonntagabend. Dass die anderen Parteien ankündigen, der AfD im Parlament genau auf die Finger zu schauen, sieht Helmut Dietz gelassen: „Wir haben zu jedem Thema eine Meinung und eine Lösung.“ SPD-Kandidatin Heike Engelhardt. Betretene Gesichter bei der CDU in der Ratsstube: Die Gäste sind entsetzt über das gute Abschneiden der AfD.
Dass die etablierten Parteien nun geknickt seien, weil sie Wähler an die AfD verloren haben, würde laut Dietz nur zeigen, „dass sie was falsch gemacht haben.“Dietz betont: „Die Wähler haben gezeigt, dass sie eine Alternative wollen.“Seiner Meinung nach sei die AfD auf dem Weg dahin, eine Volkspartei zu werden. „Mit den Grünen wollte am Anfang auch niemand sprechen“, kommentiert Dietz die Koalitionsverhandlungen.
Die Grünen hingegen wollen sich mit der AfD auf keinen Fall vergleichen lassen. Großes Raunen geht um 18 Uhr durch die Reihen der Grünen in der Kuppelnauwirtschaft, als das Ergebnis der AfD vermeldet wird. „Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, drittstärkste Kraft zu werden“, sagt Agnieszka Brugger, Bundestagskandidatin der Grünen. Dennoch ist sie froh, dass keine Wähler von den Grünen zur AfD abgewandert sind. „Wir unterscheiden uns einfach grundlegend.“Zufrieden ist sie mit dem Ergebnis der Grünen, zumal dieses in Baden-Württemberg über dem Bundesdurchschnitt liegt. „Aller Unkenrufe zum Trotz haben wir ordentlich zugelegt“, so die Grünen-Politikerin. Ob es nun zu einer Jamaika-Koalition kommt? „Der Ball liegt jetzt bei der Union“, meint Brugger, „aber die Gespräche werden nicht einfach.“
In der Ravensburger Ratsstube, wo sich die CDU trifft, gibt es laute Buhrufe, als AfD-Politiker Alexander Gauland im Fernsehen auftritt. Die Atmosphäre bei den Sympathisanten der Christdemokraten ist sehr gedämpft wegen des schlechtesten Abschneidens der Union seit 1949. „Ich habe die gleichen Gefühle wie Volker Kauder“, sagt der Landtagsabgeordnete August Schuler. „Begeisterung sieht anders aus.“
Trotzdem ist Schuler froh, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Er führt das schlechte Abschneiden der CDU auf die Flüchtlingspolitik zurück, die bei vielen Menschen Unsicherheit und Angst ausgelöst habe. Viele Menschen seien diesmal auch nur oberflächlich informiert gewesen, beklagt der CDUKreisvorsitzende Rudolf Köberle. Das habe er an den Wahlständen erlebt. Köberle ist aber optimistisch, dass eine Jamaika-Koalition durchaus Erfolg haben könnte.
„Noch eine Große Koalition wäre politischer Selbstmord“,
Helmut Dietz (AfD) freut sich sehr über rund neun Prozent der Erststimmen.