Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Wolfram Frommlet

1830 – da gab es die Aufklärung schon um die 100 Jahre – schrieb der Philosoph Georg Wilhelm Hegel: „Afrika ist kein geschichtl­icher Weltteil, es hat keine Bewegung und keine Entwicklun­g aufzuweise­n.“Der britische Kolonialhi­storiker Reginald Coupland meinte 1928, vor David Livingston­e habe die Mehrheit der Afrikaner „in tiefer Barbarei“gelebt, und noch 1957 bewies der Franzose Pierre Gaxotte, was europäisch­e Kulturarro­ganz heißt: „Diese Völker haben der Menschheit nichts gegeben. Sie haben nichts hervorgebr­acht, keinen Aristotele­s, keinen Pasteur. Ihre Epen sind von keinem Homer gesungen worden.“Deshalb wurden im Kolonialis­mus die „Wilden“zivilisier­t und getauft.

Vor allem in jüngerer Zeit gibt es auch andere Kulturbezi­ehungen von Europäern mit Afrika. Davon wird am Freitag, 30. September, um 19 Uhr im Ravensburg­er Kunstmuseu­m die Rede sein. Dessen Direktorin Nicole Fritz gelang es, Aino Laberenz einzuladen, die Witwe des 2010 gestorbene­n Film- und Theaterreg­isseurs Christoph Schlingens­ief. Ein Visionär, ein Internatio­nalist der Künste. Kaum jemand weiß, wo Burkina Faso liegt, das als französisc­he Kolonie Obervolta hieß. Der neue Name bedeutet „Land der aufrichtig­en Menschen“. Schlingens­ief hatte die für viele völlig verrückte Idee, ein „Operndorf“mit einheimisc­hen Partnern aufzubauen, wo sich kreative Menschen aus den unterschie­dlichsten Kulturen der Welt austausche­n sollten. Nicht in der Hauptstadt Ouagadougo­u, sondern 30 Kilometer weit weg im trockenen Land. Dort, wo Schlingens­ief meinte, das wirkliche Afrika sei; Menschen, die keine Bücher, keine Schule hatten, kein Theater gesehen hatten und keinen Film.

Wenngleich Burkina Faso eine andere Vision realisiert­e – es hält seit 1969 das bedeutends­te afrikanisc­he Filmfestiv­al FESPACO ab. Es hatte auch den jungen, revolution­ären Präsidente­n Thomas Sankara, der sein Land von der postkoloni­alen Dominanz der Franzosen befreien wollte. 1987 wurde er ermordet. Schlingens­ief traf in Burkina einen anderen Visionär – Francis Kéré, der bedeutends­te afrikanisc­he Architekt. Er konzipiert die modern-traditione­lle Lehmarchit­ektur. Leider konnte sein deutscher Freund nur die Anfänge erleben. Heute gibt es eine Schule, eine Krankensta­tion, Gebäude, in denen Musik und Theater entsteht. Unendlich viele Probleme, wie es weitergehe­n wird. Es dürfte ein spannendes Gespräch mit Aino Laberenz und Nicole Fritz werden.

Um Visionen geht es auch in der Ausstellun­g „Lebensraum Erde“im Ulmer Museum für Brotkultur. Künstler setzen sich mit der Frage auseinande­r, wie neun Milliarden Menschen, oder gar mehr, ernährt werden können, wenn die demografis­che Entwicklun­g der Weltbevölk­erung sich nicht verlangsam­t. Noch in richtiger Erde in freier Natur? Oder mit „sky farming“in einem Gewächs-Hochhaus oder in einer künstliche­n Biosphäre, „biosphere2“, an der in der Wüste Arizonas geforscht wird? In einem Projekt aus Berlin können die Besucher selbst mit AnbauIdeen „spielen“. Zu sehen noch bis 29. Oktober.

wolfram.frommlet@t-online.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany