Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Friedensnobelpreis für Atomwaffen-Gegner
Berlin reagiert zurückhaltend auf Ehrung der Organisation Ican – Freude in Baden
OSLO/KARLSRUHE - Mit dem Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) fordert die Jury die Nuklearmächte zur Abrüstung auf. „Wir leben in einer Welt, in der das Risiko, dass Atomwaffen zum Einsatz kommen, größer ist als lange Zeit“, sagte die Chefin des norwegischen Nobel-Komitees Berit ReissAndersen am Freitag. „Wir senden Botschaften an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen.“Sie seien aufgefordert, ihre Verpflichtungen zum Verzicht auf diese Waffen einzuhalten. Indirekt setzt das auch die Bundesregierung unter Druck. Sie gratulierte Ican zwar, bekräftigte aber ihre Ablehnung des im Juli unterzeichneten UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen.
Unter anderem für die Bemühungen um diesen Vertrag erhält Ican die wichtigste politische Auszeichnung. In der Begründung werden auch die „bahnbrechenden Bemühungen um ein vertragliches Verbot solcher Waffen“genannt. Die Organisation hat maßgeblich am UN-Vertrag, der von 122 Staaten unterstützt wird, mitgewirkt. Ican-Direktorin Beatrice Fihn sagte, der Preis müsse auch als Botschaft an die Atommächte verstanden werden, schneller an der Vernichtung ihrer Waffen zu arbeiten. Die vermutlich neun Atommächte sowie fast alle Nato-Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, hatten die Verhandlungen über den Vertrag boykottiert. Die Begründung lautete damals: Da die Atommächte nicht teilnehmen, können die Verhandlungen nichts ändern.
Dementsprechend zurückhaltend fiel die Reaktion in Berlin auf die Ehrung aus. Die Bundesregierung betonte zwar, dass man das Ziel einer atomwaffenfreien Welt unterstütze. Solange es aber Staaten gebe, die Atomwaffen als militärisches Mittel ansähen und Europa davon bedroht sei, bestehe die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckung fort, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) warnte: „Die Welt steht derzeit vor einer Spirale neuer atomarer Aufrüstung – nicht nur in Nordkorea, sondern auch bei uns in Europa.“Ican kritisierte Berlin für diese Haltung.
Die Organisation sitzt in Genf und ist ein Bündnis aus 450 Friedensgruppen, die sich für Abrüstung engagieren. Seit 2015 ist auch das Forum Friedensethik in der evangelischen Landeskirche Baden Mitglied bei Ican. „Wir sind sehr glücklich, das ist eine wunderbare Angelegenheit“, sagte Dirk-Michael Harmsen, Vorstand des Forums, zur „Schwäbischen Zeitung“. Beim Evangelischen Kirchentag im Mai hätten ForumsMitglieder Außenminister Gabriel eine Resolution vorgetragen. Darin war gefordert worden, dass Deutschland an den UN-Verhandlungen zum Atomwaffenverbot teilnimmt. Harmsen sagte am Freitag: „Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, die Bundesregierung dazu zu bekommen, eine Politik zu beenden, die der Vergangenheit angehören sollte. Ein Friedensnobelpreis für Ican bedeutet Rückenwind.“
OSLO (epd/dpa) - Vertreter von Politik, Kirche und der Friedensbewegung haben die Entscheidung des Nobelkomitees für die AtomwaffenGegner begrüßt. Viele verwiesen dabei auf die Spannungen zwischen den USA und der selbsternannten Atommacht Nordkorea sowie die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, das Iran-Atomabkommen zu verlassen.
Die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (Ican) mit Sitz in der Schweiz und Partnern in über 100 Ländern wirbt unter anderem für den Internationalen Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen bei den Vereinten Nationen. Das Abkommen liegt seit der UN-Vollversammlung im September in New York zur Unterzeichnung aus. Bisher haben mehr als 50 Staaten ihre Unterschrift hinterlegt oder zugesagt. Die Atommächte wie die USA, Russland und China sind allerdings nicht dabei – und Deutschland auch nicht.
Nato reagiert zurückhaltend
Ican bezeichnete den Friedensnobelpreis als große Ehre. „Nukleare Waffen bringen keine Sicherheit und keine Stabilität, im Gegenteil“, sagte die Direktorin der Organisation, Beatrice Fihn in Genf mit Blick auf die Krise um Nordkoreas Atomwaffenprogramm. Die Waffen bedrohten die gesamte Menschheit, Hunderttausende Menschen könnten innerhalb von Minuten getötet werden.
Sascha Hach, Vorstandsmitglied der deutschen Ican-Sektion, erklärte, seine Organisation freue sich „über diese hohe Auszeichnung und den Rückenwind, den wir dadurch für ein Atomwaffenverbot erhalten“. Er erneuerte die Forderung von Ican an die Bundesregierung, dem Vertrag beizutreten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte zurückhaltend auf die Entscheidung des Nobelkomitees. Der von der Organisation maßgeblich unterstützte UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bringe das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen nicht näher, kritisierte der Norweger. In Wahrheit gefährde er sogar die Fortschritte bei der Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. „Die Nato bedauert es, dass die Voraussetzungen für nukleare Abrüstung derzeit nicht vorteilhaft sind“, kommentierte Stoltenberg. Solange Atomwaffen existierten, werde die Allianz ein atomares Bündnis bleiben.
Auch Russland äußerte sich verhalten. Moskau respektiere die Entscheidung, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Agentur Tass. Präsident Wladimir Putin habe mehrfach betont, wie wichtig ein atomares Gleichgewicht für die internationale Sicherheit sei. Die EUAußenbeauftragte Federica Mogherini erklärte in Brüssel, das Nobelkomitee habe in „unserer schwierigen und chaotischen Welt“erneut auf eine der größten Bedrohungen unserer Zeit hingewiesen. Sie betonte, die EU werde weiter sicherstellen, dass das Abkommen mit Iran von allen Seiten voll erfüllt werde. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, betonte, die Welt brauche einen deutlichen Widerspruch gegen eine neue Spirale der Aufrüstung: „Nach den nuklearen Katastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts halten die Kirchen heute mehr denn je an der Vision einer atomwaffenfreien Welt fest.“
Druck auf Bundesregierung
Der Preis an Ican setze diejenigen Regierungen unter Druck, die das Atomwaffenverbot noch nicht unterschrieben haben, sagte der Friedensbeauftragte der EKD, Renke Brahms. Gerade in Zeiten verbaler Eskalation zwischen Nordkorea und den USA sollte die Bundesregierung die Umsetzung des Abkommens unterstützen und entsprechend auf die NatoPartner einwirken. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW erhofft sich von der Auszeichnung für Ican Rückenwind für die Friedensbewegung. Der Preis werde das Engagement für den Atomwaffenverbotsvertrag stärken.
Der Friedensnobelpreis ist die höchste Auszeichnung für Friedensbemühungen weltweit. Im vergangenen Jahr wurde der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos für den Friedensprozess mit der FarcGuerilla ausgezeichnet. In diesem Jahr ist der Preis mit neun Millionen schwedischen Kronen (945 000 Euro) dotiert. Er wird am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel, in Oslo offiziell vergeben.