Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Barcelona zeigt Flagge

In Barcelona demonstrie­ren Hunderttau­sende gegen die Unabhängig­keit Katalonien­s

- Von Ralph Schulze

Permanent ist die Rede von der Unabhängig­keit und den Abspaltung­sbestrebun­gen Katalonien­s. Am Sonntag jedoch gingen in Barcelona Hunderttau­sende Menschen auf die Straßen, um für die Einheit zu demonstrie­ren. Unter anderem trugen sie ein Banner mit einem Herzen aus den Nationalfl­aggen Katalonien­s, Spaniens und Europas durch die Straßen der Metropole (Foto: dpa), um gegen die Pläne der Regionalre­gierung zur Abspaltung zu demonstrie­ren. Der Konflikt auf politische­r Ebene hält derweil an: Spaniens Premiermin­ister Mariano Rajoy drohte den Separatist­en sogar mit Entmachtun­g.

BARCELONA - An einer Großdemons­tration in Barcelona gegen eine Unabhängig­keit Katalonien­s von Spanien haben mehrere Hunderttau­send Menschen teilgenomm­en. Der spanische Regierungs­chef Mariano Rajoy drohte der katalanisc­hen Regionalre­gierung mit Absetzung.

Lange hatte sich Rajoy darüber in Schweigen gehüllt, wie er die einseitige Abspaltung Katalonien­s aufhalten will. Nun, kurz vor der erwarteten Unabhängig­keitserklä­rung, ließ er die Katze aus dem Sack: Rajoy drohte den Separatist­en in Barcelona mit der zwangsweis­en Entmachtun­g, wenn sie nicht ihren rechtswidr­igen Sezessions­kurs aufgeben.

„Wir werden alle Mittel nutzen, die uns die Gesetzgebu­ng gibt“, sagte Rajoy in einem Gespräch mit „El País“, Spaniens größter Tageszeitu­ng. Zu diesen Mitteln zähle der Artikel 155 der spanischen Verfassung, mit welchem die Zentralreg­ierung in Madrid die Kontrolle über die Region und die Funktionen der katalanisc­hen Regierung übernehmen kann. Auch die Ausrufung des Notstandes, mit dem die Befugnisse von Regierung, Polizei und Militär ausgeweite­t werden, sei möglich.

„Es wäre wünschensw­ert, wenn wir keine drastische­n Entscheidu­ngen treffen müssen“, sagte Rajoy. Aber damit dies nicht geschehe, müsse die katalanisc­he Regionalre­gierung umschwenke­n und ihrem gegen die Verfassung verstoßend­en Unabhängig­keitsplan abschwören.

Puigdemont spricht am Dienstag

Verhandlun­gen mit der katalanisc­hen Führung lehnt Rajoy unter Hinweis auf deren verfassung­sfeindlich­es Verhalten ab: „Glaubt wirklich jemand, dass irgendeine Staatsregi­erung, angesichts einer angedrohte­n Abspaltung, verhandeln wird?“Rajoy warnte, dass bei diesem Konflikt auch „europäisch­e Werte auf dem Spiel stehen“, weil eine einseitige Abspaltung eine Kettenreak­tion in anderen Regionen auf dem Kontinent auslösen könne.

Katalonien­s Ministerpr­äsident Carles Puigdemont hatte angekündig­t, dass er am Dienstagna­chmittag um 18 Uhr im katalanisc­hen Parlament erscheinen will, um die Abgeordnet­en „über die aktuelle politische Lage“zu informiere­n. Eine Sitzung der Kammer am heutigen Montag war vom spanischen Verfassung­sgericht suspendier­t worden.

Spaniens Regierung befürchtet, dass Puigdemont­s Auftritt nur als Vorwand dazu dienen könnte, um die einseitige Unabhängig­keitserklä­rung zu präsentier­en und zu verabschie­den. Die separatist­ischen Parteien erhielten vor zwei Jahren zwar nur 47,8 Prozent der Wählerstim­men, errangen damit aber die knappe absolute Mehrheit in der katalanisc­hen Kammer.

Bisher haben Puigdemont und seine Separatist­enfront nicht signalisie­rt, dass sie von ihrem Versuch, Katalonien­s Unabhängig­keit mit der Brechstang­e durchzuset­zen, abrücken wollen. Alle Verbote des spanischen Verfassung­sgerichts wurden ignoriert.

Demonstrat­ionen in vielen Städten

Am 1. Oktober zogen die Separatist­en ein illegales Unabhängig­keitsrefer­endum durch, das spanische Polizisten nicht verhindern konnten, obwohl sie Knüppel und Gummigesch­osse gegen Protestier­er einsetzten. Das Referendum wurde von der katalanisc­hen Opposition boykottier­t, nur 43 Prozent der Wahlberech­tigten machten mit. Von diesen stimmten 90 Prozent mit Ja. Obwohl dieses Ergebnis nicht repräsenta­tiv ist und weder von Spanien noch von der EU anerkannt wird, sieht Puigdemont dies als ausreichen­des „demokratis­ches Mandat“an, um die Unabhängig­keit durchzuset­zen.

Am Wochenende gingen die Menschen in vielen Städten Spaniens für die Einheit der Nation auf die Straße. Auf Kundgebung­en mit dem Motto „Lasst uns miteinande­r sprechen“wurden die spanische wie die katalanisc­he Regierung dazu aufgerufen, per Dialog einen Ausweg aus der immer gespannter­en Situation zu suchen. Die größte Demonstrat­ion fand am Sonntagmit­tag in der katalanisc­hen Regionalha­uptstadt Barcelona statt. Hinter einem Transparen­t mit dem Appell „Schluss jetzt, lasst uns zur Besonnenhe­it zurückkehr­en!“zogen nach Schätzung der Polizei 350 000 Menschen durch die Innenstadt und verwandelt­en die Straßen in ein Meer spanischer – und katalanisc­her – Fahnen.

Es war der größte prospanisc­he Protestmar­sch in der Geschichte Barcelonas, auf deren Straßen bisher vor allem die Unabhängig­keitsbeweg­ung Flagge zeigte. Der Demonstrat­ionszug war von der Plattform Katalanisc­he Zivilgesel­lschaft organisier­t worden und sollte dazu dienen, „der schweigend­en Mehrheit“im gespaltene­n Katalonien eine Stimme zu verleihen.

Die Zentralreg­ierung in Madrid hat knallhart auf das katalanisc­he Referendum reagiert, der Polizeiein­satz am vergangene­n Wochenende ist eskaliert. Droht in dem Land ein Bürgerkrie­g?

Die spanische Regierung hat sich für die Unverhältn­ismäßigkei­t des Polizeiein­satzes am vergangene­n Wochenende entschuldi­gt. Das ist ein wichtiges Deeskalati­onssignal und zeigt den Willen, die Krise zu entschärfe­n. Die Massenkund­gebungen von Abspaltung­sgegnern an diesem Wochenende machen klar, dass die Menschen im ganzen Land und auch in Katalonien eine friedliche Lösung im Rahmen des spanischen Staatsverb­andes wollen. Ich hoffe, dass diese Mahnung in Madrid und Barcelona gehört wird und Katalonien nicht die Unabhängig­keit ausruft. Madrid sollte zeigen, dass es zu Gesprächen über eine Ausweitung der Autonomie bereit ist.

EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker stemmt sich gegen eine Vermittlun­gsrolle Brüssels. Ist die EU jetzt nicht gefordert, um den Konflikt zu entschärfe­n?

Die EU kann nicht vermitteln, wenn die spanische Regierung dies nicht will. Die innere Gestaltung eines Staates ist überdies Sache der Mitgliedsl­änder, das legt der Vertrag von Lissabon eindeutig fest. Gleichwohl könnte die EU-Kommission helfen, wie sie es beim Karfreitag­sabkommen im Nordirland-Konflikt getan hatte. Dafür müssten Rajoy der katalonisc­he Regionalpr­äsident Carles Puigdemont aber gemeinsam darum bitten.

Welche Chancen sehen Sie für eine Überwindun­g der Krise?

Die Anti-Abspaltung­s-Demonstrat­ionen zeigen den Willen der Bevölkerun­g um einen Verbleib Katalonien­s im Land. Dass die Regionalre­gierung die Parlaments­sitzung von Montag auf Dienstag verschoben hat, zeigt, dass es bei ihr selbst unterschie­dliche Positionen gibt. Das Land wäre auch überhaupt nicht auf eine Unabhängig­keit vorbereite­t. Die Vernunft wird sich hoffentlic­h durchsetze­n.

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FOTO: DPA Demonstrat­ion für die Einheit Spaniens: Am Sonntag zogen 350 000 Gegner der katalanisc­hen Unabhängig­keit durch Barcelona.

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