Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Barcelona zeigt Flagge
In Barcelona demonstrieren Hunderttausende gegen die Unabhängigkeit Kataloniens
Permanent ist die Rede von der Unabhängigkeit und den Abspaltungsbestrebungen Kataloniens. Am Sonntag jedoch gingen in Barcelona Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um für die Einheit zu demonstrieren. Unter anderem trugen sie ein Banner mit einem Herzen aus den Nationalflaggen Kataloniens, Spaniens und Europas durch die Straßen der Metropole (Foto: dpa), um gegen die Pläne der Regionalregierung zur Abspaltung zu demonstrieren. Der Konflikt auf politischer Ebene hält derweil an: Spaniens Premierminister Mariano Rajoy drohte den Separatisten sogar mit Entmachtung.
BARCELONA - An einer Großdemonstration in Barcelona gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien haben mehrere Hunderttausend Menschen teilgenommen. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy drohte der katalanischen Regionalregierung mit Absetzung.
Lange hatte sich Rajoy darüber in Schweigen gehüllt, wie er die einseitige Abspaltung Kataloniens aufhalten will. Nun, kurz vor der erwarteten Unabhängigkeitserklärung, ließ er die Katze aus dem Sack: Rajoy drohte den Separatisten in Barcelona mit der zwangsweisen Entmachtung, wenn sie nicht ihren rechtswidrigen Sezessionskurs aufgeben.
„Wir werden alle Mittel nutzen, die uns die Gesetzgebung gibt“, sagte Rajoy in einem Gespräch mit „El País“, Spaniens größter Tageszeitung. Zu diesen Mitteln zähle der Artikel 155 der spanischen Verfassung, mit welchem die Zentralregierung in Madrid die Kontrolle über die Region und die Funktionen der katalanischen Regierung übernehmen kann. Auch die Ausrufung des Notstandes, mit dem die Befugnisse von Regierung, Polizei und Militär ausgeweitet werden, sei möglich.
„Es wäre wünschenswert, wenn wir keine drastischen Entscheidungen treffen müssen“, sagte Rajoy. Aber damit dies nicht geschehe, müsse die katalanische Regionalregierung umschwenken und ihrem gegen die Verfassung verstoßenden Unabhängigkeitsplan abschwören.
Puigdemont spricht am Dienstag
Verhandlungen mit der katalanischen Führung lehnt Rajoy unter Hinweis auf deren verfassungsfeindliches Verhalten ab: „Glaubt wirklich jemand, dass irgendeine Staatsregierung, angesichts einer angedrohten Abspaltung, verhandeln wird?“Rajoy warnte, dass bei diesem Konflikt auch „europäische Werte auf dem Spiel stehen“, weil eine einseitige Abspaltung eine Kettenreaktion in anderen Regionen auf dem Kontinent auslösen könne.
Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont hatte angekündigt, dass er am Dienstagnachmittag um 18 Uhr im katalanischen Parlament erscheinen will, um die Abgeordneten „über die aktuelle politische Lage“zu informieren. Eine Sitzung der Kammer am heutigen Montag war vom spanischen Verfassungsgericht suspendiert worden.
Spaniens Regierung befürchtet, dass Puigdemonts Auftritt nur als Vorwand dazu dienen könnte, um die einseitige Unabhängigkeitserklärung zu präsentieren und zu verabschieden. Die separatistischen Parteien erhielten vor zwei Jahren zwar nur 47,8 Prozent der Wählerstimmen, errangen damit aber die knappe absolute Mehrheit in der katalanischen Kammer.
Bisher haben Puigdemont und seine Separatistenfront nicht signalisiert, dass sie von ihrem Versuch, Kataloniens Unabhängigkeit mit der Brechstange durchzusetzen, abrücken wollen. Alle Verbote des spanischen Verfassungsgerichts wurden ignoriert.
Demonstrationen in vielen Städten
Am 1. Oktober zogen die Separatisten ein illegales Unabhängigkeitsreferendum durch, das spanische Polizisten nicht verhindern konnten, obwohl sie Knüppel und Gummigeschosse gegen Protestierer einsetzten. Das Referendum wurde von der katalanischen Opposition boykottiert, nur 43 Prozent der Wahlberechtigten machten mit. Von diesen stimmten 90 Prozent mit Ja. Obwohl dieses Ergebnis nicht repräsentativ ist und weder von Spanien noch von der EU anerkannt wird, sieht Puigdemont dies als ausreichendes „demokratisches Mandat“an, um die Unabhängigkeit durchzusetzen.
Am Wochenende gingen die Menschen in vielen Städten Spaniens für die Einheit der Nation auf die Straße. Auf Kundgebungen mit dem Motto „Lasst uns miteinander sprechen“wurden die spanische wie die katalanische Regierung dazu aufgerufen, per Dialog einen Ausweg aus der immer gespannteren Situation zu suchen. Die größte Demonstration fand am Sonntagmittag in der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona statt. Hinter einem Transparent mit dem Appell „Schluss jetzt, lasst uns zur Besonnenheit zurückkehren!“zogen nach Schätzung der Polizei 350 000 Menschen durch die Innenstadt und verwandelten die Straßen in ein Meer spanischer – und katalanischer – Fahnen.
Es war der größte prospanische Protestmarsch in der Geschichte Barcelonas, auf deren Straßen bisher vor allem die Unabhängigkeitsbewegung Flagge zeigte. Der Demonstrationszug war von der Plattform Katalanische Zivilgesellschaft organisiert worden und sollte dazu dienen, „der schweigenden Mehrheit“im gespaltenen Katalonien eine Stimme zu verleihen.
Die Zentralregierung in Madrid hat knallhart auf das katalanische Referendum reagiert, der Polizeieinsatz am vergangenen Wochenende ist eskaliert. Droht in dem Land ein Bürgerkrieg?
Die spanische Regierung hat sich für die Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes am vergangenen Wochenende entschuldigt. Das ist ein wichtiges Deeskalationssignal und zeigt den Willen, die Krise zu entschärfen. Die Massenkundgebungen von Abspaltungsgegnern an diesem Wochenende machen klar, dass die Menschen im ganzen Land und auch in Katalonien eine friedliche Lösung im Rahmen des spanischen Staatsverbandes wollen. Ich hoffe, dass diese Mahnung in Madrid und Barcelona gehört wird und Katalonien nicht die Unabhängigkeit ausruft. Madrid sollte zeigen, dass es zu Gesprächen über eine Ausweitung der Autonomie bereit ist.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker stemmt sich gegen eine Vermittlungsrolle Brüssels. Ist die EU jetzt nicht gefordert, um den Konflikt zu entschärfen?
Die EU kann nicht vermitteln, wenn die spanische Regierung dies nicht will. Die innere Gestaltung eines Staates ist überdies Sache der Mitgliedsländer, das legt der Vertrag von Lissabon eindeutig fest. Gleichwohl könnte die EU-Kommission helfen, wie sie es beim Karfreitagsabkommen im Nordirland-Konflikt getan hatte. Dafür müssten Rajoy der katalonische Regionalpräsident Carles Puigdemont aber gemeinsam darum bitten.
Welche Chancen sehen Sie für eine Überwindung der Krise?
Die Anti-Abspaltungs-Demonstrationen zeigen den Willen der Bevölkerung um einen Verbleib Kataloniens im Land. Dass die Regionalregierung die Parlamentssitzung von Montag auf Dienstag verschoben hat, zeigt, dass es bei ihr selbst unterschiedliche Positionen gibt. Das Land wäre auch überhaupt nicht auf eine Unabhängigkeit vorbereitet. Die Vernunft wird sich hoffentlich durchsetzen.