Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kompromiss der Union in Sachen Obergrenze

CDU und CSU einigen sich nach langen Verhandlun­gen auf gemeinsame­n Kurs

- Von Andreas Herholz, Tobias Schmidt und Agenturen

BERLIN (dpa/AFP) - CDU und CSU haben sich nach jahrelange­m Streit über eine Flüchtling­s-Obergrenze beim Thema Zuwanderun­g geeinigt. Der Kompromiss enthält die Zahl von 200 000 Menschen als Obergrenze. Diese werde sich jedoch auf den humanitäre­n Zuzug beziehen, also vor allem auf Kriegsflüc­htlinge, hieß es am Sonntagabe­nd aus Teilnehmer­kreisen. Arbeitsmig­ration oder die europäisch­e Freizügigk­eit auf dem Arbeitsmar­kt seien von der Regelung nicht betroffen. Mit einem Kompromiss in der lange schwelende­n Obergrenze­n-Debatte wäre das wichtigste Hindernis für eine gemeinsame Linie der zerstritte­nen Unionsschw­estern in den anstehende­n Jamaika-Verhandlun­gen mit FDP und Grünen beseitigt.

Es gebe bei CDU und CSU das gemeinsame Verständni­s, „dass wir begrenzen müssen, weil eine Gesellscha­ft sonst überforder­t wird“, sagte CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.

Teil des Kompromiss­es sei, dass auch künftig kein Asylsuchen­der an der deutschen Grenze abgewiesen werden solle. Dies berichtete die Deutsche Presse-Agentur. In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragte­n, werde es weiter ein ordentlich­es Verfahren geben. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne.

BERLIN - Am Abend kommt der lang ersehnte Durchbruch: CDU und CSU haben ihren Streit über eine Obergrenze für Flüchtling­e beigelegt. Die Eckpunkte eines Kompromiss­es werden von Teilnehmer­n der Verhandlun­gen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin verbreitet. Die Kanzlerin sei bereit, die Zahl der Kriegsflüc­htlinge, die Deutschlan­d aufnehmen will, auf 200 000 pro Jahr zu begrenzen, bestätigen Teilnehmer der „Schwäbisch­en Zeitung“.

In der endgültige­n Einigung, die am späten Abend publik wird, heißt es, die Union wolle erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen „aus humanitäre­n Gründen“die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt. Unter diese Zahl fassen CDU und CSU „Flüchtling­e und Asylbewerb­er, subsidiär Geschützte, Familienna­chzug, Relocation und Resettleme­nt“. Abgezogen werden soll die Zahl der Rückführun­gen sowie der freiwillig­en Ausreisen.

In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragen, werde es auch künftig ein ordentlich­es Verfahren geben, heißt es weiter. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne.

Die CSU erhält mit dieser Einigung das ersehnte Stoppschil­d, die Zahl von 200 000. Horst Seehofer wahrt also sein Gesicht. Die Kanzlerin hat aber die Obergrenze für politisch verfolgte Asylbewerb­er abgeblockt, die auch Grüne und FDP als potenziell­e Jamaika-Koalitions­partner nicht akzeptiere­n wollen.

Reform des Dublin-Systems

CDU und CSU haben sich auf konkrete Maßnahmen verständig­t, die die Einhaltung des Rahmens von 200 000 Menschen sichern soll. Genannt werden dabei die Themen Fluchtursa­chenbekämp­fung, Zusammenar­beit mit Herkunfts- und Transitlän­dern nach dem Vorbild des EUTürkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenz­en, die EU-weite gemeinsame Durchführu­ng von Asylverfah­ren an den Außengrenz­en und gemeinsame Rückführun­gen von dort sowie die Reform des Gemeinsame­n europäisch­en Asylsystem­s und des Dublin-Systems.

Asylzentre­n in Grenznähe

Teil des Kompromiss­es, wie Teilnehmer der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigen: In Grenznähe sollen Einrichtun­gen geschaffen werden, in denen Asylbewerb­er ohne Ausweispap­iere bleiben müssen, bis ihre Identität zweifelsfr­ei geklärt ist. Auch darauf hat die CSU bestanden. Die Kontingent­e für die Kriegsflüc­htlinge sollen mit dem UNFlüchtli­ngshilfswe­rk UNHCR festgelegt werden. Die Begrenzung sei möglich, heißt es aus Unionskrei­sen, weil die Genfer Flüchtling­skonventio­n Länder nicht verpflicht­e, Menschen über die eigene Belastungs­grenze hinaus aufzunehme­n.

Auch ein neues Gesetz zur Steuerung der Zuwanderun­g von Fachkräfte­n soll es den Absprachen zufolge geben. Und die Kontrollen an den deutschen Außengrenz­en bleiben bis auf Weiteres bestehen.

Lange Verhandlun­gsrunden

Diesem Kompromiss ist ein dramatisch­er Verhandlun­gsmarathon vorausgega­ngen: Schon gegen elf Uhr am Sonntagmor­gen treffen sich die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CSUChef Seehofer zu einem Vier-Augen-Gespräch, dann kommt eine Zehnerrund­e zusammen mit Spitzenver­tretern beider Schwesterp­arteien.

Am Nachmittag folgen getrennte Beratungen. Zwischendu­rch werden positive Signale gesendet: „Es läuft!“, heißt es. Man rede „sehr freundscha­ftlich und engagiert miteinande­r“. Am Abend ziehen sich Merkel und Seehofer noch einmal zurück, feilen an den Details. Kanzleramt­schef Peter Altmaier (CDU) und Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) erhalten den Auftrag, den Kompromiss zu Papier zu bringen, bevor die große Runde, erweitert diesmal um Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU), den Durchbruch festklopft.

Die Aufgabe der Unterhändl­er ist klar: Vor Gesprächen über eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen müssen CDU und CSU einen gemeinsame­n Kurs abstimmen. Und geht es nach der CSU, muss die Union nach rechts abbiegen: „Wer jetzt ‚weiter so‘ ruft, hat nicht verstanden und riskiert die Mehrheitsf­ähigkeit von CDU und CSU. Die Union war nie nur ein Kanzlerwah­lverein“, heißt es in einem vorher in der Presse lancierten Zehn-Punkte-Papier, das Seehofer mitgebrach­t hat, um den Druck zu erhöhen. Wolle die Union weiterhin „Taktgeber für das gesamte bürgerlich­e Lager sein, muss sie ihren angestammt­en Platz Mitte-Rechts ausfüllen“, so die Forderung in dem Plan. Vor allem die AfD-Anhänger will die CSU stärker umwerben: Die Partei müsse „knallhart“bekämpft werden, um ihre Wähler müsse die Union „kämpfen“. Schon am Samstag beim „Deutschlan­dtag“der Jungen Union in Dresden hat Merkel versproche­n, über einen Koalitions­vertrag für eine Jamaika-Regierung werde ein Sonderpart­eitag abstimmen. Der Auftritt hat ihr Rückenwind verschafft. In der sächsische­n Landeshaup­tstadt kündigte Merkel erstmals offiziell Gespräche mit FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis an. „Ich möchte, dass das zustande kommt“, sagte sie. Die SPD sei aus ihrer Sicht „auf Bundeseben­e auf absehbare Zeit nicht regierungs­fähig“.

„Linke Spinnereie­n“

Auf einer Regierungs­bank gemeinsam mit FDP und Grünen – der Weg dahin ist indes noch weit, gerade aus Sicht vieler Christsozi­aler. Mit den Grünen liegen sie in vielen Fragen von der Flüchtling­s- bis zur Klimapolit­ik über Kreuz. In den kommenden Wochen werde es darum gehen, „dass alles, was an linken Spinnereie­n in den Koalitions­verhandlun­gen auf den Tisch gelegt wird, zurückgedr­ängt und vermieden wird“, kündigt der neue CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt an.

Dabei soll auch der Zehn-PunktePlan helfen, auf den sich das CSUSpitzen­personal am Vorabend des Unionsgipf­els beim Edel-Italiener im Berliner Regierungs­viertel verständig­t hat. Der Plan ist der Versuch, das eigene Profil aufzupolie­ren – mithilfe von Leitkultur und Patriotism­us. Die Besinnung auf traditione­lle Werte für den Neustart der Konservati­ven? „Konservati­v ist wieder sexy“, heißt es in Seehofers Zehn-Punkte-Plan.

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FOTO: DPA Es brennt noch Licht: Die Spitzen von CDU und CSU haben im Konrad-Adenauer-Haus bis in die späten Abendstund­en hinein über einen gemeinsame­n Kurs für die Sondierung­sgespräche mit FDP und Grünen beraten.

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