Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Künstler würdigen Kurt Tucholsky
Zum literarischen Kabarett in der Linse kommen gerade einmal 20 Zuschauer
WEINGARTEN - „Lerne lachen ohne zu weinen“, so der Titel des Programms von Roswitha Dasch und Ulrich Raue, die damit am Freitagabend im kleinen Saal der Linse in Weingarten vor nur 20 Zuschauern Kurt Tucholsky gehuldigt haben: mit humoristischen und weit in die Zukunft schauenden Texten, amüsanten Gedichten und melancholischen Chansons des Meisters der bissigen Gesellschaftskritik.
Ein Klavier, ein zahnbelagfarbenes Wählscheibentelefon, zwei Kinderschnuller aus dem Faschingsbedarf – das sind die einzigen Requisiten, mit denen die beiden auf der Bühne auskommen. Roswitha Dasch streicht die Violine oder erhebt die klare Stimme, zieht die Nase kraus oder ein Stirnband über die Frisur – und erweckt mit Perlenkette und Gehrock die goldenen 1920er-Jahre zum Leben. Jene Zeit, in der der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935) gefährliche Spitzen gegen die undemokratischen Verhältnisse in der Weimarer Republik abfeuerte – aber auch wunderbar einfühlsame Betrachtungen der Menschen verfasste.
Im Stil eines Bad Wörishofener Kurkonzertes starten Dasch und Raue in den Abend, nämlich mit dem beschwingten Operettenlied „Das ist die Berliner Luft“. Allein, so ganz unbeschwert soll der Abend nicht werden. Das liegt einerseits am mageren, zähflüssigen Linse-Publikum und andererseits auch an der etwas sperrigen Aufmachung des literarischen Kabarettabends der beiden. Da sind einerseits die Gespräche im Dottersack – zu denen die Schnuller Verwendung finden – und anderseits die ungeschönten Perspektiven – wie in „Karrieren“, „Die Gesellschaft“oder bei „Mitgliedschaften“, die dem vereinsmeiernden Deutschen den Spiegel vorhalten.
Neben Politik geht’s um die Liebe
Im zweiten Teil des Abends –der tatsächlich nach einer Nettospielzeit von nicht einmal 90 Minuten jäh und ohne Zugabe zu Ende geht – widmen sich der Pianist und Rezitator Raue und die Kollegin Dusch erst einmal der Liebe. Das macht die Sache unkomplizierter und lässt beinahe so etwas wie Genuss bei den Zuschauern und folgerichtig auch Spielfreude bei den beiden Künstlern fühlbar werden.
„Eine Frau denkt“lässt vergnüglich-sentimentale Betrachtungen über den Mann zu, „Der andere Mann“stellt sich dem vermeintlich fehlerlosen Nebenbuhler, bei „Aus“stellt Tucholsky sich die Frage nach der Schuld bei einer Trennung – und endet mit der schönsten Erkenntnis zum menschlichen Liebes-Bedürfnis, nämlich „Jedes Ich sucht ein Du“.
Klare Worte eines Satirikers, der fast sein ganzes Leben lang nicht still zusehen, sondern dagegen anschreiben wollte. Damit die Welt um ihn herum nicht in Stücke bricht. Im Kleinen wie im Großen. „Da liegt Europa. Wie sieht es aus? – Wie ein bunt angestrichenes Irrenhaus…“– das sind Zeilen aus dem gleichnamigen Text Tucholskys, den er unter dem Pseudonym Theobald Tiger im Jahre 1932 veröffentlichte, den Dasch und Raue auch rezitieren- und auf den Roswitha Dusch anstelle einer Zugabe am Ende des Abends noch einmal Bezug nimmt.
Und damit erklärt die Künstlerin aufs Wunderbarste, weswegen es das Programm „Lerne lachen ohne zu weinen“überhaupt gibt: „Damit an diesen Menschen erinnert wird, der schon solche weitreichende Gedanken gehabt hat.“