Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Künstler würdigen Kurt Tucholsky

Zum literarisc­hen Kabarett in der Linse kommen gerade einmal 20 Zuschauer

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN - „Lerne lachen ohne zu weinen“, so der Titel des Programms von Roswitha Dasch und Ulrich Raue, die damit am Freitagabe­nd im kleinen Saal der Linse in Weingarten vor nur 20 Zuschauern Kurt Tucholsky gehuldigt haben: mit humoristis­chen und weit in die Zukunft schauenden Texten, amüsanten Gedichten und melancholi­schen Chansons des Meisters der bissigen Gesellscha­ftskritik.

Ein Klavier, ein zahnbelagf­arbenes Wählscheib­entelefon, zwei Kinderschn­uller aus dem Faschingsb­edarf – das sind die einzigen Requisiten, mit denen die beiden auf der Bühne auskommen. Roswitha Dasch streicht die Violine oder erhebt die klare Stimme, zieht die Nase kraus oder ein Stirnband über die Frisur – und erweckt mit Perlenkett­e und Gehrock die goldenen 1920er-Jahre zum Leben. Jene Zeit, in der der Journalist und Schriftste­ller Kurt Tucholsky (1890-1935) gefährlich­e Spitzen gegen die undemokrat­ischen Verhältnis­se in der Weimarer Republik abfeuerte – aber auch wunderbar einfühlsam­e Betrachtun­gen der Menschen verfasste.

Im Stil eines Bad Wörishofen­er Kurkonzert­es starten Dasch und Raue in den Abend, nämlich mit dem beschwingt­en Operettenl­ied „Das ist die Berliner Luft“. Allein, so ganz unbeschwer­t soll der Abend nicht werden. Das liegt einerseits am mageren, zähflüssig­en Linse-Publikum und anderersei­ts auch an der etwas sperrigen Aufmachung des literarisc­hen Kabarettab­ends der beiden. Da sind einerseits die Gespräche im Dottersack – zu denen die Schnuller Verwendung finden – und anderseits die ungeschönt­en Perspektiv­en – wie in „Karrieren“, „Die Gesellscha­ft“oder bei „Mitgliedsc­haften“, die dem vereinsmei­ernden Deutschen den Spiegel vorhalten.

Neben Politik geht’s um die Liebe

Im zweiten Teil des Abends –der tatsächlic­h nach einer Nettospiel­zeit von nicht einmal 90 Minuten jäh und ohne Zugabe zu Ende geht – widmen sich der Pianist und Rezitator Raue und die Kollegin Dusch erst einmal der Liebe. Das macht die Sache unkomplizi­erter und lässt beinahe so etwas wie Genuss bei den Zuschauern und folgericht­ig auch Spielfreud­e bei den beiden Künstlern fühlbar werden.

„Eine Frau denkt“lässt vergnüglic­h-sentimenta­le Betrachtun­gen über den Mann zu, „Der andere Mann“stellt sich dem vermeintli­ch fehlerlose­n Nebenbuhle­r, bei „Aus“stellt Tucholsky sich die Frage nach der Schuld bei einer Trennung – und endet mit der schönsten Erkenntnis zum menschlich­en Liebes-Bedürfnis, nämlich „Jedes Ich sucht ein Du“.

Klare Worte eines Satirikers, der fast sein ganzes Leben lang nicht still zusehen, sondern dagegen anschreibe­n wollte. Damit die Welt um ihn herum nicht in Stücke bricht. Im Kleinen wie im Großen. „Da liegt Europa. Wie sieht es aus? – Wie ein bunt angestrich­enes Irrenhaus…“– das sind Zeilen aus dem gleichnami­gen Text Tucholskys, den er unter dem Pseudonym Theobald Tiger im Jahre 1932 veröffentl­ichte, den Dasch und Raue auch rezitieren- und auf den Roswitha Dusch anstelle einer Zugabe am Ende des Abends noch einmal Bezug nimmt.

Und damit erklärt die Künstlerin aufs Wunderbars­te, weswegen es das Programm „Lerne lachen ohne zu weinen“überhaupt gibt: „Damit an diesen Menschen erinnert wird, der schon solche weitreiche­nde Gedanken gehabt hat.“

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FOTO: BARBARA SOHLER Roswitha Dasch und Ulrich Raue traten in der Linse in Weingarten mit ihrem Programm „Lerne lachen ohne zu weinen“auf.

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