Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Luthers Lieder in hoher Gesangskunst
Frieder Bernius tritt mit dem Kammerchor Stuttgart in der Basilika in Weingarten auf
WEINGARTEN - Ein Konzert mit dem Kammerchor Stuttgart in der Basilika in Weingarten ist ein besonderes Erlebnis: hier erweist sich immer wieder, wie wunderbar exzellente Stimmen sich gerade im A-cappella-Gesang in dieser Akustik entfalten können, wenn sie vor der Vierung im weit geöffneten Halbkreis stehen. Zudem sind sie eine Augenweide: die Herren im Frack und Lackschuhen, die Damen mit schwarzen Jacken und einem langen seidigen Rock, üppig gerafft und in warmsattem Rot.
Allein an den zwei Druckseiten im Programm mit dem Verzeichnis der Besetzungen zu den einzelnen Stücken kann man ablesen, welche Bedeutung jeder einzelnen Stimme und Stimmfarbe des Ensembles zukommt. Bei Mendelssohn wurde der Kammerchor zudem vom Continuo begleitet.
Ein sehr informatives Textheft verdeutlichte den Grundgedanken des Programms: Choralmotetten von Telemann, von Johann Christoph Altnickol, Schwiegersohn von J. S. Bach, und von Mendelssohn Bartholdy im ersten Teil und nach einer kurzen Besinnungspause Mendelssohns „Te Deum“, das er im Alter von nur 17 Jahren geschrieben hatte. Die Motetten folgten Texten von Luther, wie „Ein feste Burg ist unser Gott“von Telemann, oder Versen von Paul Gerhardt, wie „Befiehl du deine Wege“, von Altnickol. Mendelssohn verwendete ebenfalls Texte von Luther in den Chorälen „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“oder „Mitten wir im Leben sind“, während das dazwischen gesungene späte „Ave Maria“nach dem Lukas-Evangelium in Lateinisch erklang. Für das zwölfteilige „Te Deum“hingegen vertonte er den legendären Lobgesang des Kirchenvaters Ambrosius, eine Liturgie aus dem vierten Jahrhundert.
Um es gleich vorweg zu sagen: mit den üblichen Begriffen würde man dem Gesamtbild dieses Gesangsensembles in der Basilika nicht gerecht. Weil sie einfach nicht ausreichen. Es ist allein schon ein Genuss, solch eine Anzahl von reinen, hellen, vollen Sopranen oder Altstimmen zu erleben, die selbst im Fortissimo nie gleißen oder im Pianissimo den Ton einbüßen würden. Dasselbe gilt für die Männerstimmen – ob sie in Terzetten oder als Kleinensemble zusammen singen, es ist ein Zusammenspiel der Kräfte jedes Einzelnen, die er in den Dienst des Miteinander stellt.
Und Frieder Bernius? Er dirigiert mit dem ganzen Körper ohne weit auszuholen, wiegt sich manchmal kurz mit der Musik oder macht einen winzigen Tanzschritt. In ihm, dem Chorleiter seit fast 50 Jahren, verbinden sich Erfahrung mit Esprit und Empathie. Man sieht dem Rücken dieses Dirigenten an, dass er das Konzert selbst genießt. Und so spinnt dieses Ensemble auf vielseitigste, gar nicht im Detail zu beschreibende Art – denn Perfektion, Konzentration, Präzision, stupende Technik scheinen selbstverständlich – das Gemüt in einen Kokon von Musikalität ein. Eine so sanfte, unwiderstehliche Kraft ist das, immer wieder gespeist von der Eindringlichkeit eines Textes, der ergreifenden Emotionalität oder der heiteren Stimmung einer musikalischen Passage, dass man ebenso gebannt ist wie gleichsam umfangen und geborgen. Wie hieß es doch in dem zitierten LutherWort? „Ich liebe die Musik ... sie macht fröhliche Herzen, sie verjagt den Teufel, sie bereitet unschuldig Freude“. Ja – und manchmal ist sie zum Weinen schön.