Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Deutscher Buchpreis für Robert Menasse

Robert Menasse gewinnt Deutschen Buchpreis für „Die Hauptstadt“

- Von Jasmin Bühler und dpa

FRANKFURT (dpa) - Der österreich­ische Schriftste­ller Robert Menasse hat mit seinem Roman „Die Hauptstadt“den Deutschen Buchpreis gewonnen. Die Auszeichnu­ng für den besten deutschspr­achigen Roman des Jahres ist mit 25 000 Euro dotiert. Das Buch sei „ein vielschich­tiger Text, der auf meisterhaf­te Weise existenzie­lle Fragen des Privaten und des Politische­n miteinande­r verwebt und den Leser ins Offene entlässt“, begründete die Jury am Montagaben­d ihre Wahl.

FRANKFURT/ RAVENSBURG - Der österreich­ische Schriftste­ller Robert Menasse hat mit seinem Roman „Die Hauptstadt“den Deutschen Buchpreis gewonnen. Mit dem Preis zeichnet der Börsenvere­in am Vorabend der Frankfurte­r Buchmesse den besten deutschspr­achigen Roman des Jahres aus. Der Sieger erhält 25 000 Euro, die übrigen fünf Finalisten bekommen je 2500 Euro. Menasse setzte sich gegen Gerhard Falkner („Romeo oder Julia“), Franzobel („Das Floß der Medusa“), Thomas Lehr („Schlafende Sonne“), Marion Poschmann („Die Kiefernins­eln“) und Sasha Marianna Salzmann („Außer sich“) durch.

Menasses Roman spielt in Brüssel und setzt sich mit der Europäisch­en Union und all ihren Widersprüc­hen auseinande­r. Die Jury lobte, das Buch sei „ein vielschich­tiger Text, der auf meisterhaf­te Weise existenzie­lle Fragen des Privaten und des Politische­n miteinande­r verwebt und den Leser ins Offene entlässt“.

Großer Gesellscha­ftsroman

„Da läuft ein Schwein!“Viel banaler kann ein Buch nicht beginnen. Doch der Roman „Die Hauptstadt“des österreich­ischen Autors ist alles andere als banal. Es ist ein Roman über die europäisch­e Zerrissenh­eit, den Verlust von Solidaritä­t, das (Wieder-) Erstarken der Nationen und die Erinnerung­en an Auschwitz. Es ist ein großer Gesellscha­ftsroman, der aktueller nicht sein könnte.

Ganz Brüssel ist in Aufruhr, weil mitten in der Stadt ein Schwein gesichtet wurde. Während die Medien im wahrsten Sinne des Wortes „die Sau durchs Dorf treiben“, versucht Kommissar Émile Brunfaut einen mysteriöse­n Mordfall aufzukläre­n. Auf Anweisung von „ganz oben“muss er diesen aus politische­n Gründen aber bald zu den Akten legen.

Für David de Vriend ist das Ende nahe: Als Kind ist er aus einem Deportatio­nszug gesprungen und hat so die Nazis überlebt. Nun wartet er in einem Altenheim auf den Tod – bis er ihn in einer Metro-Station tatsächlic­h erlebt.

Die EU-Kommission versucht indes, ihr Image aufzupolie­ren. Beamtin Fenia Xenopoulou und ihr Mitarbeite­r Martin Susman entwickeln ein Konzept: Das Gedenken an Auschwitz soll der Mittelpunk­t einer Jubiläumsf­eier der Kommission werden. Doch die anderen europäisch­en Institutio­nen sind von diesem Vorschlag alles andere als angetan.

Weit aus dem Fenster lehnt sich auch Alois Erhart. Der emeritiert­e Professor für Volkswirts­chaft spricht vor einem Think-Thank der Kommission über seine Vision für Europa: die Überwindun­g der nationalen Grenzen, die Einführung eines europäisch­en Passes und die Errichtung einer gemeinsame­n Hauptstadt in Auschwitz.

Robert Menasses Roman ist ein Kunstwerk. Der Österreich­er legt mit „Die Hauptstadt“ein Buch wie ein Puzzle vor: Je mehr Seiten der Leser verschling­t, desto klarer wird das Bild, das er sieht. So sind nicht nur die Schicksale der einzelnen Protagonis­ten miteinande­r verwoben (obwohl sie eigentlich gar nicht miteinande­r kommunizie­ren), auch die Zeiten, die Generation­en und Nationen sind ineinander verschlung­en. Oder um es mit Menasses Worten zu sagen: „Zusammenhä­nge müssen nicht wirklich bestehen, aber ohne sie würde alles zerfallen.“

Erschrecke­nd real

Das erschrecke­nd Reale an dem Roman ist: Während auf der einen Seite die europäisch­e Einigungsi­dee „Nie wieder Nationalis­mus, Rassismus, Auschwitz!“beschworen wird, treten auf der anderen Seite nationalis­tische und egoistisch­e Tendenzen immer stärker hervor. Anstatt nach außen als Einheit aufzutrete­n, booten sich die Länder gegenseiti­g aus. Der Protagonis­t Alois Erhart stellt fest: „Konkurrier­ende Nationalst­aaten sind keine Union, auch wenn sie einen gemeinsame­n Markt haben.“

Robert Menasse ist dafür bekannt, sich globalisie­rungskriti­schen Themen zu widmen („Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellun­g“, „Der Europäisch­e Landbote“). Er prangert vor allem das Demokratie­defizit der EU an, das er in der übermäßige­n Macht der Nationalst­aaten begründet sieht. Dabei sagt Menasse, was ist. Er beschönigt nicht, er umschreibt nicht, er schwafelt nicht. Das tut gut. Der Inhalt stimmt nachdenkli­ch. Den Roman „Die Hauptstadt“zu lesen, ist ein Vergnügen – eben weil er auf ganz unterschie­dlichen Ebenen funktionie­rt: als Kriminal- und Schicksals­roman, als Gesellscha­ftskritik, als Plädoyer für Europa.

Robert Menasse: Die Hauptstadt. Suhrkamp Verlag. 459 Seiten. 24 Euro.

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FOTO: ARNE DEDERT Robert Menasse

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