Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sprung in der Fassade

Prinzipiel­l gilt Geothermie als eine sichere Form der erneuerbar­en Energien – diverse Zwischenfä­lle geben aber zu denken

- Von Uwe Jauß

WANGEN - Poing ist eine unscheinba­re Gemeinde östlich von München. Wer dort unterwegs ist, findet üblicherwe­ise keinen Grund, um anzuhalten. Es ist also ungewöhnli­ch, wenn Poing plötzlich überregion­ale Beachtung bekommt. Doch dies war nun der Fall – auch wenn die Bürger wohl gerne darauf verzichtet hätten. Es geht nämlich um mehrere Erdbeben und die Frage, ob ein ErdwärmePr­ojekt hinter dem Wackeln von Boden und Wänden steckt.

Zuletzt war der Poinger Untergrund Ende September in Bewegung geraten. Bürgermeis­ter Albert Hingerl ließ sich damals folgenderm­aßen zitieren: „Meine Sorge sind die Menschen und ihre Sicherheit.“Er forderte Transparen­z und meinte damit in erster Linie die Bayernwerk AG, eine Tochter des Energierie­sens Eon. Sie betreibt bei Poing seit fünf Jahren eine Geothermie-Anlage. Fürs Erste versuchten sich Erdwärme-Befürworte­r im Abwiegeln. Schließlic­h sei nichts passiert, sagen sie. Das jüngste Beben habe gerade mal eine 2,4 auf der Richterska­la erreicht. Zum Vergleich: Dramatisch­e Erdbeben fangen meist irgendwo über sechs an. Des Weiteren hieß es vonseiten der Geothermie-Freunde, ein Zusammenha­ng von Kraftwerk und Bodenersch­ütterungen sei nicht erwiesen.

Pannen mit Folgen

Dennoch waren die Poinger Ereignisse sofort für alle Beteiligte­n eine unangenehm­e Geschichte. Dies hängt damit zusammen, dass es bei solchen Erdwärme-Projekten immer wieder zu aufsehener­regenden Pannen kommt. Der bisher berüchtigs­te – und bekanntest­e – Zwischenfa­ll ereignete sich in Staufen im Breisgau. Vor zehn Jahren war dort bei Geothermie-Bohrungen bis in rund 140 Metern Tiefe etwas schiefgega­ngen. Worauf unterirdis­ch Wasser in eine Gesteinssc­hicht aus Anhydrit drang. Sie quoll auf wie ein Schwamm.

Dies hatte üble Folgen: Das historisch­e Zentrum Staufens, ein hoch attraktive­s Fachwerken­semble, hob sich daraufhin 60 Zentimeter in die Höhe. Gleichzeit­ig erfolgte eine seitliche Verschiebu­ng um fast einen halben Meter. 270 Häuser wurden dadurch beschädigt, viele davon schwer. Das sonst so idyllische Staufen war plötzlich sogar für den Katastroph­entourismu­s interessan­t geworden. Der Schaden liegt inzwischen bei über 50 Millionen Euro. Wobei sich der Boden bis heute nicht völlig beruhigt hat.

Prinzipiel­l gilt die Erdwärmenu­tzung in ihren verschiede­nen Varianten als eine längst ausgereift­e Technik. Man unterschei­det üblicherwe­ise oberfläche­nnahe und tiefengeot­hermische Projekte. Grob beschriebe­n, werden dazu Löcher für Sonden gebohrt. Im Extremfall kann es bis zu 5000 Meter in die Tiefe gehen. Dies ist bei kommerziel­len Kraftwerks­anlagen durchaus im Bereich des Möglichen. Die eher für den häuslichen Bedarf gedachte Erdwärmenu­tzung braucht keine solchen gewaltigen Bohrungen. Sie funktionie­rt jedoch nach demselben Grundsatz: Die höheren Temperatur­en in der Tiefe dienen der Energiegew­innung.

In Poing geht es um die sogenannte Tiefengeot­hermie. Der Betrieb läuft über heißes Wasser, das in die Höhe gepumpt wird. Ist es abgekühlt, drücken es Pumpen wieder hinab in den Untergrund. Die Staatsregi­erung in München fördert solche Projekte ausdrückli­ch: „Die Tiefengeot­hermie ist für die Energiewen­de in Bayern eine wichtige Sache“, heißt es aus dem Wirtschaft­sministeri­um.

So zurückhalt­end Ministerpr­äsident Horst Seehofer und seine Mannschaft etwa bei der Windkraft sind, so forsch scheinen sie bei der Förderung von Erdwärme-Kraftwerke­n zu sein. Derzeit existieren in Deutschlan­d 33 solcher Anlagen. 21 davon stehen in Bayern. 15 weitere sind im Bau oder zumindest geplant. Doch ganz so sicher ist man sich der Sache im Wirtschaft­sministeri­um dann auch wieder nicht. Selbst kleinere Vorkommnis­se müssten intensiv untersucht werden, fordert ein ministeria­ler Sprecher.

Wie sind aber nun die Ereignisse in Poing einzustufe­n? Zwei erste, leichte Erdbeben waren im Dezember 2016 registrier­t worden. Worauf das Bergamt Südbayern als Genehmigun­gsbehörde für Geothermie­projekte ein Gutachten in Auftrag gab. Als mögliche Erklärung für die Beben bietet dessen Autorin, die renommiert­e Geophysike­rin Inga Moeck, verschiede­ne Gesteinsar­ten im Poinger Untergrund an. Es werde ja Wasser in der Tiefe bewegt. Es könne sich bei einer wenig durchlässi­gen Schicht aufstauen und Druck erzeugen. Für gefährlich­e Beben sei er jedoch bei Weitem nicht hoch genug, glaubt sie.

Eine weitere Erklärung bieten Experten des Bund für Umwelt und Naturschut­z in Baden-Württember­g an. Sie verweisen auf das erdgeschic­htlich entstanden­e Molassebec­ken im Voralpenra­nd, eine Ansammlung von Verwitteru­ngsschutt eines urzeitlich­en Gebirges. Die Münchner Gegend befindet sich ebenso darin wie der Bodenseera­um. Laut den Umweltschü­tzern existieren in einem solchen Untergrund häufig Kohlenwass­erstoffe. Dies mache Tiefenbohr­ungen heikel – vor allem wenn der Kohlenwass­erstoffträ­ger Erdgas ist. Unterirdis­che Entladunge­n drohen.

Im eidgenössi­schen St. Gallen unweit des südlichen Bodenseeuf­ers wäre es 2013 fast so weit gewesen. Dort sollte heißes Wasser aus Juragestei­n geothermis­ch genutzt werden. Es gab eine Bohrung bis in eine Tiefe von 4450 Metern. Als die Bohrlochso­hle mit verdünnter Salzsäure gereinigt wurde, kam es überrasche­nd zur Freisetzun­g von Erdgas. Fast wäre es zur Explosion gekommen. Letztlich konnten Ingenieure durch verschiede­ne Maßnahmen das Loch stabilisie­ren. In diesem Zusammenha­ng registrier­ten Erdbebenwa­rten mehrere Erdstöße bis zu einer Magnitude von 3,6. Aus der Umgebung wurden 120 Sachschäde­n gemeldet. Inzwischen hat die Stadt St. Gallen das Projekt eingestell­t.

Im benachbart­en Kanton Thurgau machte indes 2016 das Städchen Diessenhof­en unheimlich­e Erfahrunge­n mit der Tiefengeot­hermie. Wasser aus einer Bohrung floss wegen eines Leitungsle­cks in den Hochrhein. Das Problem: Es war mit Erdöl verschmutz­t. Diessenhof­ens Stadtrat versucht seitdem die Stilllegun­g der Anlage zu erzwingen.

Die Liste solcher Pannen lässt sich problemlos verlängern. Im Elsass bei Straßburg zerbricht gerade das Dorf Lochwiller wegen aufquellen­dem Gestein. Bemerkensw­erterweise finden sich aber überpropor­tional viele betroffene Orte in BadenWürtt­emberg. Die Breisgau-Stadt Staufen wurde schon erwähnt. Zwischenfä­lle gab es jedoch auch in Böblingen nach Bohrungen im Jahr 2009. Hier könnten auch AnhydridSc­hichten die Ursache sein. Über 80 Häuser sind inzwischen beschädigt. Über die genaue Ursache wird aber noch gestritten.

Unweit davon war der Leonberger Teilort Eltingen betroffen. 2011 haben Probebohru­ngen bis in eine Tiefe von 80 Metern offenbar zum Abfluss von Grundwasse­r geführt. Hier senkte sich der Boden. Dies tat er auch nach Bohrungen in Wurmlingen bei Rottenburg und in Schorndorf. Ein Dorf bei Rudersberg im Welzheimer Wald erlebte wiederum ein Ansteigen des Bodens. Wegen einer Bohrpanne war ein Loch undicht geworden. Hier quoll dann der Gipskeuper auf.

Anders als etwa in Bayern betrachtet die baden-württember­gische Landesregi­erung Geothermie skeptische­r. Für eine oberfläche­nnahe Nutzung der Erdwärme dürfen nur noch Bohrungen bis zur obersten, grundwasse­rführenden Schicht gemacht werden. Etwaige Wasserprob­leme sollen so von vorneherei­n ausgeschlo­ssen werden. In Stuttgart hat man vor allem aus den Ereignisse­n in Staufen und Böblingen gelernt – und dabei auch erfahren, dass die Schadensbe­gleichung problemati­sch ist.

Die Ursachensu­che nimmt Zeit in Anspruch. Oft ist es schwer, einen Schuldigen zu benennen. Bohrfirmen sind finanziell überforder­t, sollte der Schwarze Peter bei ihnen landen. Im Fall von Staufen springt das Land mit Fördermitt­eln zur Sanierung ein. „Das Land wird Staufen nicht im Stich lassen“, versprach Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n höchstpers­önlich.

Indes gibt sich die Geothermie­branche selbstbewu­sst. Entspreche­nde Projekte seien „bei der Beachtung von einschlägi­gen Regelwerke­n sicher umzusetzen“, heißt es aus Kreisen des Bundesverb­ands Geothermie.

Betont wird auch: „In der letzten Zeit hat der Markt für oberfläche­nnahe Geothermie-Anlagen wieder deutlich angezogen.“Vergangene­s Jahr seien mit 20 700 Anlagen deutlich mehr gebaut worden als 2015. Da waren es nur 17 000 Anlagen gewesen. Auch die Tiefengeot­hermie habe wieder „etwas Schwung“aufgenomme­n. Hier sei jedoch wichtig, „dass langfristi­g Ruhe in den Markt kommt“.

Im bayerische­n Poing herrscht gerade so etwas wie Ruhe bei der Tiefengeot­hermie – aber wohl anders als es sich der Branchenve­rband vorstellt. Bürgermeis­ter Hingerl ist nach Druck aus der Bürgerscha­ft den Anlagenbet­reiber Bayernwerk AG angegangen. Er solle doch bis zum Abschluss der Ursachensu­che für die Erdbeben das Kraftwerk ruhen lassen. Und wirklich: Die Bayernwerk AG hat die Pumpen der Anlage bis auf Weiteres abgestellt.

„Meine Sorge sind die Menschen und ihre Sicherheit.“ Albert Hingerl, Bürgermeis­ter des erdbebenge­plagten Poing in Bayern

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FOTO: DPA „Staufen darf nicht zerbrechen“: Auch zehn Jahre nach dem Zwischenfa­ll bei Geothermie-Bohrungen hat sich in der Breisgaust­adt der Boden noch nicht völlig beruhigt.

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