Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der aussichtsl­ose Kampf der getäuschte­n VW-Fahrer

Im Dieselskan­dal kündigt der Prozessfin­anzierer Myright Klagen gegen den Autobauer an – Konzern sieht keine Schädigung der Kunden

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Justizange­stellten im Landgerich­t Braunschwe­ig können schon einmal einige Meter Regalplatz freiräumen. Denn in den kommenden Wochen wird das Gericht wohl von einer Klagewelle gegen den VW-Konzern überrollt. „Wir bearbeiten derzeit etwa 35 000 Fälle in Deutschlan­d“, sagt der Chef des Rechtsdien­stleisters Myright, Jan-Eike Andresen. Bis Ende Oktober werde Myright eine erste große Tranche von rund 15 000 Fällen in Braunschwe­ig per Sammelklag­e einreichen. Außerdem, so kündigt er an, müsse sich die Justiz bis Ende Dezember auch auf Klagen aus anderen europäisch­en Ländern einstellen.

Myright lässt sich von VW-Kunden, die vom Skandal durch illegale Abschaltei­nrichtunge­n bei der Abgasreini­gung von Automodell­en der Wolfsburge­r betroffen sind, die Schadeners­atzansprüc­he übertragen. Dabei arbeitet das Unternehme­n mit der auf Sammelklag­en in den USA spezialisi­erten Anwaltskan­zlei Hausfeld zusammen. Deren Rechtsanwä­lte wollen diese Ansprüche in Deutschlan­d durchsetze­n und klagen auf eine Rückzahlun­g des vollen Kaufpreise­s an die Autobesitz­er durch den VW-Konzern.

Die Klagewelle bis Jahresende hat einen konkreten Grund. Am 31. Dezember verjähren Schadeners­atzansprüc­he gegen Volkswagen. Liegen die Forderunge­n erst einmal beim Landgerich­t vor, spielt dies für die Kläger keine Rolle mehr, auch wenn eine höchstrich­terliche Entscheidu­ng erst sehr viel später fällt. Und davon geht Andresen auch aus. „Es geht darum, möglichst schnell vor den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) zu kommen“, erläutert der Jurist.

Dabei musste der Prozessfin­anzierer genau bei diesem Gericht erst vor wenigen Wochen in einem ersten Verfahren eine Schlappe einstecken. Die Richter stellten zwar fest, dass VW eine illegale Abschaltei­nrichtung in dem Fahrzeug des Klägers eingesetzt hat. Doch den Kaufpreis von 41 000 Euro wollten sie ihm für die zwangsweis­e Rückabwick­lung des Kaufs nicht zugestehen. Da die Typgenehmi­gung für das Auto weiterhin gelte, sei dem Kunden kein Schaden entstanden. Die Richter hielten es auch nicht für nötig, diese Frage dem EuGH vorzulegen. Die Hausfeld-Anwälte wollen nun durch die Instanzen gehen und rechnen damit, dass der Bundesgeri­chtshof am Ende doch ein Votum des EuGH einholen wird.

Sammelklag­en wie in den USA sind in Deutschlan­d nicht möglich. So kann es sein, dass das Gericht den von Myright eingereich­ten Block von Klagen in Einzelfäll­e aufteilt. Damit wären die Juristen wohl lange Zeit beschäftig­t. Ebenso ist eine Zurückweis­ung der Klagen möglich. Schließlic­h hat das Gericht die grundsätzl­iche Rechtsfrag­e hinsichtli­ch des Schadeners­atzes schon geklärt.

Andresen wertet die erste Niederlage hingegen als Teilerfolg. „Das ist ein wertvolles Urteil, weil alle zugunsten der Verbrauche­r sprechende­n Tatsachen wie die Verwendung einer illegalen Abschaltei­nrichtung festgestel­lt wurden“, sagt er. Die Hoffnung ruht auf der obersten europäisch­en Instanz in Luxemburg. Deren Entscheidu­ngen fallen häufig verbrauche­rfreundlic­h aus, und die Interessen der deutschen Automobili­ndustrie dürften für die EuGHRichte­r kaum eine Rolle spielen.

Volkswagen reagiert gelassen

Volkswagen sieht der Klagewelle gelassen entgegen. Bisher seien 70 bis 75 Prozent der Verfahren zugunsten VW ausgegange­n, sagt Unternehme­nssprecher Nicolai Laude. Bisher liegen seiner Schätzung nach 5500 Klagen bei den Landgerich­ten vor. Der Konzern steht weiter auf dem Standpunkt, dass deutschen Autofahrer­n im Gegensatz zu den amerikanis­chen keine Entschädig­ung zusteht. Die Fahrzeuge seien zugelassen, sicher im Straßenver­kehr und ohne Beeinträch­tigungen zu fahren, argumentie­rt VW. Anders gesagt: Es ist den Besitzern kein Schaden entstanden. In einigen Fällen schlossen die Wolfsburge­r jedoch Vergleiche. „Das waren besondere Einzelfäll­e“, versichert Laude.

Betroffene VW-Kunden müssen selbst vor Gericht ziehen oder sich einem Prozessfin­anzierer wie Myright anschließe­n. Diese Firmen übernehmen die Kosten der Klage, lassen sich dies im Erfolgsfal­l allerdings mit einem Anteil an der Entschädig­ung gut honorieren.

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FOTO: IMAGO VW-Logo auf erodierend­er Straße: Der Wolfsburge­r Autobauer zahlt nur in den USA Entschädig­ungen, deutsche Verbrauche­r gehen leer aus.

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