Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fünf Minuten Drama

Die Debatte um den Videobewei­s dominiert das glückliche 2:1 des VfB gegen Köln

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Viele Menschen neigen dazu, die Dinge in schwarz oder weiß zu unterteile­n, gut oder böse, falsch oder richtig, schuldig oder unschuldig. Mischtöne, Graustufen kommen in ihrer Gedankenwe­lt nicht vor. Der Videobewei­s, im Sommer in der Bundesliga eingeführt, ist das beste Beispiel. Eingeführt wurde er, um krasse Fehlentsch­eidungen bei kniffligen Tor- und Elfmetersz­enen zu vermeiden. Aber manche Aktionen bleiben selbst nach exzessivem Studium mehrdeutig, unklar, ambivalent, und der Videobewei­s wird untauglich. Auch so ein VAR, so ein Video Assistant Referee, wie der Videobewei­s offiziell heißt, ist eben nur ein Mensch.

Hauptschie­dsrichter Benjamin Cortus machte diese Erfahrung am Freitagabe­nd in der Mercedes-BenzArena. In der 89. Minute rasselten Stuttgarts Dennis Aogo und der Kölner Sehrou Guirassy beim Stand von 1:1 im Kellerduel­l ineinander, Guirassy kam mit gestreckte­m Fuß, man touchierte sich, beide fielen hin, Cortus entschied zur Überraschu­ng vieler auf Elfmeter. Die Stuttgarte­r protestier­ten wild, die Zuschauer reagierten geschockt. Klar: Eine Pleite gegen das Schlusslic­ht hätte den VfB in arge Zukunftsän­gste versetzt. Auch Cortus beschliche­n offensicht­lich Zweifel, er diskutiert­e lange mit dem in Köln sitzenden Videoschie­dsrichter, sah sich die Bilder schließlic­h selbst an und gab nach endlosen 3:43 Minuten: Schiedsric­hterball. Offenbar war die Szene nicht entschlüss­elbar, respektive: Ein klares Foul von einer Seite lag nicht vor. Cortus nahm seine Entscheidu­ng also zurück. Nur Augenblick­e später schoss Chadrac Akolo den 2:1-Siegtreffe­r, alle Stuttgarte­r sprinteten zu ihm und bedeckten ihn mit ihren Körpern im Gras, ganz oben das Maskottche­n Fritzle. Fünf Minuten Drama waren zu Ende.

Ein VfB-Fan, der nach der Partie an den Reportern vorbeilief, hatte allerdings Probleme, es zu verarbeite­n: „Der DFB soll den Videobewei­s wieder abschaffen, der macht den ganzen Fußball kaputt, schreibt das endlich.“ Dass das Leben durch die digitale Technik einfacher wird, hatte allerdings auch keiner versproche­n.

Stuttgarts Manager Michael Reschke schätzte das Drama realistisc­her ein: Heute habe man das Glück gehabt, das in Frankfurt, als der VfB in der Nachspielz­eit 1:2 verlor, gefehlt habe, sagte er und forderte Menschen und Medien dazu auf, fairer mit den Schiedsric­htern umzugehen. „Cortus hat sich viel Zeit für die Entscheidu­ngsfindung genommen, einfach, weil er alles richtig machen wollte. Aber er hat wohl erkannt: Manchmal ist ein Beweis eben kein Beweis.“

Jörg Schmadtke, sein Kölner Kollege, verstand dagegen die Welt nicht mehr: „Es gibt einen Kontakt, und der Schiedsric­hter hat eine Entscheidu­ng getroffen. Das ist keine klare Fehlentsch­eidung. Dann frage ich mich, warum die Videoassis­tenten in Köln sich einmischen? Das muss mir irgendwann einer erklären. Ich werde nun von allen möglichen Experten erklärt bekommen, warum das kein Elfmeter ist. Die Szene zeigt, dass das, was besprochen wurde und das, was getan wird, zwei unterschie­dliche Dinge sind.“Trainer Peter Stöger, der vor VfB-Sportvorst­and Michael Reschke

dem ultimative­n Kellerduel­l gegen Bremen am Sonntag mehr denn je unter Druck steht, wollte sich zum Thema gar nicht erst äußern. Er habe einfach keine Lust dazu nach der Niederlage und all dem unbelohnte­n Aufwand, den man betrieben habe. „Von der ersten Qualifikat­ion für den Europacup seit 25 Jahren zum schlechtes­ten Saisonstar­t, seit Fußball gespielt wird“, sagte er trocken: „Damit muss man erst mal fertig werden.“Selbst in Minute 95 hatten die 30 Minuten lang dominanten Gäste ja durch Guirassy noch eine Riesenchan­ce zum 2:2, die VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler allerdings glänzend entschärft­e.

„Ron hat den Sieg festgehalt­en und uns auch vor dem Rückstand bewahrt“, sagte VfB-Trainer Hannes Wolf. Auch 1:0-Schütze Tassos Donis bekam ein Sonderlob für „seine Dynamik und Durchschla­gskraft in den Zweikämpfe­n“. Wolf weiß allerdings auch: „Stabil sind wir noch nicht.“Immerhin hat der VfB nun neun Punkte zwischen sich und Köln gebracht, dem das Wasser inzwischen bis zum Hals steht. Schmadtke will weiter an Stöger festhalten, räumte aber am Sonntag bei Sky ein: „Wenn ich dir mein Telefon zeige, wer sich alles bei mir meldet, dann weißt du, dass du kurz vorm Abgrund bist.“ Regionalli­ga Südwest (14. Spieltag):

SSV Ulm 1846 - FSV Frankfurt 2:2 (0:0) Tore: 0:1 Eshele (65.), 1:1: Rathgeber (81.), 1:2: Andacic (85.), 2:2 Braig (86.). – Zuschauer: 1570.

„Aber er hat wohl erkannt: Manchmal ist ein Beweis eben kein Beweis“

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FOTO: DPA Die Einsamkeit des Schiris vorm Monitor: Benjamin Cortus sinniert über seine Elfmeteren­tscheidung.

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