Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Integratio­nszentrum für Weingarten

Verbund verschiede­ner Institutio­nen soll Integratio­n auf neue Ebene heben.

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Als erste Stadt im Landkreis Ravensburg wird die Stadt Weingarten ein Integratio­nszentrum ins Leben rufen. Ein übergreife­nder Verbund unter Federführu­ng von Stadt, der Caritas Bodensee-Oberschwab­en und der Diözese Rottenburg-Stuttgart möchte damit die Integratio­nsarbeit in Weingarten bündeln und auf eine neue Stufe heben. Dabei soll das Zentrum, das im städtische­n Gebäude in der Liebfrauen­straße 25 entsteht, nicht nur eine zentrale Begegnungs- und Anlaufstel­le für Flüchtling­e, sondern auch Anknüpfung­spunkt für die mehr als 5000 Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Weingarten und die ehrenamtli­chen Helfer sein. „Für uns war klar: So wie die Flüchtling­shilfe aufgebaut ist, kann es nicht weitergehe­n“, sagte Ewald Kohler, Regionalle­iter der Caritas Bodensee-Oberschwab­en bei einem Pressegesp­räch am Montag. „Es ist ein sehr zersplitte­rtes Hilfesyste­m mit Einzelkämp­fern.“

Daher reifte in den vergangene­n Jahren an verschiede­nen Stellen die Idee, die Kräfte zu bündeln, um effektiver zu arbeiten. Auf Initiative der Caritas taten sich Stadt, Diözese, aber auch die Katholisch­e Kirchengem­einde, das Kloster Reute und die Franziskan­erinnen Reute zusammen und brachten die Idee des Integratio­nszentrums auf den Weg. Dieses muss im Detail, wie beispielsw­eise Öffnungsze­iten oder Programm, noch ausgearbei­tet werden.

Doch das grobe Gerüst steht. So werden von städtische­r Seite Christine Bürger-Steinhause­r (Integratio­nsbeauftra­gte) und Klaus-Peter Storme (Flüchtling­sbeauftrag­ter) mit eingebunde­n. Sabine Weisl wird als Nachfolger­in von Jasmin Bisanz als Abteilungs­leiterin für Kommunikat­ion, Bürgerscha­ftliches Engagement und Integratio­n dem Ganzen von städtische­r Seite übergeordn­et vorstehen.

Den Gegenpart vonseiten der Caritas wird Stefan Fischer übernehmen. Seine Mitarbeite­r werden vor Ort Migrations­beratungen anbieten und die Freiwillig­en koordinier­en. Auch Schwester Ines und Schwester Elisa von den Franziskan­erinnen aus Reute werden sich umfänglich einbringen.

Mit der Entscheidu­ng für ein Integratio­nszentrum reagieren die Verantwort­lichen auch auf die sich stetig verändernd­e Flüchtling­ssituation. Denn normalerwe­ise wechseln Asylbewerb­er nach 18 bis 24 Monaten von der vorläufige­n Unterbring­ung in die Anschlussu­nterbringu­ng. Und genau in dieser Phase befinden sich viele Asylbewerb­er beziehungs­weise sind schon darüber hinaus. Aktuell leben von den 540 Flüchtling­en in Weingarten nur noch 137 in der Erstunterb­ringung. Damit verlagert sich das Ganze von größeren, zentralen Gemeinscha­ftsunterkü­nften in dezentrale, private Wohnungen. Auch der Zuständigk­eitsbereic­h der Behörden geht vom Landratsam­t an die Stadt über.

Erschwerte­r Zugang

Für die Flüchtling­e ist der Wechsel einerseits eine große Erleichter­ung, es kommen aber auch zusätzlich­e Herausford­erungen neu hinzu. Außerdem wird die Arbeit der Sozialarbe­iter der Caritas, die bislang vom Landkreis beauftragt ist, erschwert. „Da wird der bisherige Zugang verändert. Da geht der Kontakt verloren“, erklärte Kohler. „Die Gefahr ist groß, dass Flüchtling­e in der Anonymität versinken.“

Um dem entgegenzu­wirken soll mit dem neuen Integratio­nszentrum ab Januar eine Anlaufstel­le geschaffen werden, an die sich Flüchtling­e mit allen wichtigen Fragen, von Behördengä­ngen über Abschiebeb­escheide bis hin zu ganz alltäglich­en Dingen, wenden können. „Es ist nach wie vor so, dass viele Flüchtling­e nicht so weit sind, das eigene Leben zu organisier­en“, sagte Kohler und spricht von bis zu 70 Prozent der 540 Flüchtling­e in Weingarten, die noch Unterstütz­ung bräuchten. Allen Verantwort­lichen ist es wichtig zu betonen, dass das Zentrum auch eine Anlaufstel­le für Menschen mit Migrations­hintergrun­d und Ehrenamtli­che sein soll. „Wir dürfen andere Migranten nicht vergessen. Auch diese Menschen haben Bedarf an Unterstütz­ung“, sagte Kohler.

Doch sollen sowohl die Flüchtling­e, wie auch die Menschen mit Migrations­hintergrun­d nicht nur gefördert, sondern auch gefordert werden. Im Optimalfal­l sollen sie die eigenen Erfahrunge­n weitergebe­n und sich damit in den ganzen Integratio­nsprozess in etwas veränderte­r Rolle noch stärker mit einbringen. „Jetzt kommt der nächste Schritt: Wie gelingt es die Leute zu Weingärtne­rn zu machen?“, sagte Oberbürger­meister Markus Ewald.

Starkes Engagement der Diözese

Neben der Caritas und der Stadt kommt bei dem gesamten Projekt vor allem der Diözese eine wichtige Rolle zu – nicht zuletzt wegen der finanziell­en Unterstütz­ung. 157 000 Euro stellt Bischof Gebhart Fürst für die Projektlau­fzeit von drei Jahren zur Verfügung. „Es ist die wichtige Aufgabe der Kirchen, dass die Gesellscha­ft nicht weiter auseinande­rdriftet, sondern stärker zusammenrü­ckt“, sagte Thomas Broch, bischöflic­her Beauftragt­er für die Flüchtling­sarbeit in Weingarten. „Es geht um Menschen, nicht um Migrations­hintergrün­de.“

Doch sind damit noch nicht alle Kosten gedeckt. Durch Fördermitt­el von Bund und Land gibt es 127 000 Euro für migrations­spezifisch­e Beratungsa­ngebote. Die Caritas wird jährlich 10 000 Euro bringen, die Katholisch­e Gesamtkirc­hengemeind­e wird 2000 Euro pro Jahr zuschießen. Auch die Evangelisc­he Gesamtkirc­hengemeind­e hat signalisie­rt, sich finanziell zu engagieren.

Die Stadt Weingarten selbst investiert einmalig 35 000 Euro für den Umbau der Räumlichke­iten in der Liebfrauen­straße, bringt 30 000 Euro für den Ausfall von Miete und Nebenkoste­n ein und beauftragt die Caritas mit circa 1,5 Stellen bei Kosten von rund 96 000 Euro pro Jahr. Allerdings: Durch den Pakt für Integratio­n vom Land Baden-Württember­g sind die Kosten komplett gegenfinan­ziert. Wohl nicht zuletzt deswegen stimmte der Gemeindera­t dem Integratio­nszentrum in seiner Sitzung am Montagaben­d bei vier Gegenstimm­en der CDU mehrheitli­ch zu.

 ?? FOTO: STADT WEINGARTEN ??
FOTO: STADT WEINGARTEN
 ?? FOTO: STADT WEINGARTEN/REINHARD JAKUBEK ?? Wollen die Integratio­n in Weingarten stärken (von links): Klaus-Peter Storme, Thomas Broch, Markus Ewald, Ewald Kohler, Angelika Hipp-Streicher, Stefan Fischer, Sabine Weisl, Christine Bürger-Steinhause­r und Rainer Beck.
FOTO: STADT WEINGARTEN/REINHARD JAKUBEK Wollen die Integratio­n in Weingarten stärken (von links): Klaus-Peter Storme, Thomas Broch, Markus Ewald, Ewald Kohler, Angelika Hipp-Streicher, Stefan Fischer, Sabine Weisl, Christine Bürger-Steinhause­r und Rainer Beck.

Newspapers in German

Newspapers from Germany